Technik:Plastik aus Zucker, Holz und Schlachtabfall

Plastik-Besteck

Es muss nicht immer Silber sein: Aus nachwachsenden Rohstoffen kann auch Plastikbesteck entstehen

(Foto: oh)

Statt Erdöl lassen sich auch zahlreiche nachwachsende Rohstoffe zur Plastik-Produktion nutzen. Manche der neuen Kunststoffe werden bereits in großem Stil hergestellt.

Von Andrea Hoferichter

Die Jute-statt-Plastik-Zeiten sind vorbei, die Trennlinien zwischen den Materialien verwischen. Heute gibt es Frischhaltefolien aus Zuckerrohr, Plastikbecher aus Mais und Pumps mit Kunststoffabsätzen auf Holzbasis. Biokunststoffe sollen eine Lücke schließen, wenn einst keine Erdölquellen mehr sprudeln.

Dabei können die neuen Materialien bioabbaubar sein - müssen es aber nicht. Dem Branchenverband Plastics Europe zufolge werden zurzeit weltweit fast 300 Millionen Tonnen Kunststoffe im Jahr produziert. Davon stammt kaum ein halbes Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen.

Zwar rechnen Marktforscher damit, dass sich der Anteil in den nächsten drei Jahren gut vervierfacht. "Aber auch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt Henning Storz vom Thünen-Institut in Braunschweig. Wann die 100 Prozentmarke erreicht sein wird, sei nur schwer vorherzusagen: "Mittelfristig sicher nicht, frühestens in 50 Jahren", glaubt er. Die Kunststoffe auf Pflanzenbasis seien noch zu teuer, um sich durchzusetzen. Technisch sei der Umstieg aber kein Problem.

"Die Industrie setzt vor allem auf biobasierte, konventionelle Kunststoffe, sogenannte Drop-In-Replacements", sagt Storz' Kollege Ulf Prüße. Dabei werden die Bausteine für die langkettigen Kunststoffmoleküle statt aus Erdöl aus Zucker oder Stärke hergestellt und zu den heute gängigen Kunststoffen weiterverarbeitet. Die Unternehmen müssen so weder Anlagen verändern, noch in neue Produktzulassungen investieren. Und sie riskieren keine bösen Überraschungen, was die Eigenschaften neuer Materialien betrifft.

Vom Zuckerrohr zum Polyethylen

Bekanntestes Beispiel für eine Biovariante eines etablierten Kunststoffs ist Polyethylen (PE), aus dem vor allem Folien gefertigt werden. "Polyethylen kann sehr gut aus Ethanol und dieser wiederum aus zuckerhaltigen Pflanzen hergestellt werden, zum Beispiel aus Zuckerohr, Mais oder Weizen. Das wurde schon vor dem Zweiten Weltkrieg so gemacht", erzählt der Thünen-Forscher. Marktführer für die Bio-PE-Produktion ist heute das brasilianische Unternehmen Braskem, das künftig auch den Massenkunststoff Polypropylen (PP) aus Bioethanol herstellen will.

Zum Motor der Plastikwende könnten Getränkeflaschen werden. Vor drei Jahren brachte Coca Cola in den USA die "Plant Bottle" auf den Markt, die nach Unternehmensangaben zu 30 Prozent aus biobasiertem PET (Polyethylenterephtalat) besteht. Bis 2020 will der Konzern alle rein fossilen Plastikflaschen ersetzen. Auch Heinz Ketchup füllt Grillsoßen und Tomatenketchup in die Flaschen mit dem Coca-Cola-Patent.

Der Autohersteller Ford webt das Material in Faserform zu Sitzbezügen und Dachhimmel. Doch für 100-prozentiges PET muss noch eine Hürde genommen werden. "Vom PET ist bisher nur der Ethylenbaustein biobasiert", sagt Prüße. Sein Team arbeitet an einer Bio-Alternative für den zweiten Baustein des Polymers, die Furandicarbonsäure. Sie lässt sich etwa aus Fruchtzucker herstellen. Das niederländische Unternehmen Avantium, das mit Coca Cola zusammen arbeitet, produziert den neuen Stoff in einer Pilotanlage.

Für Aufsehen sorgte kürzlich auch eine Substanz namens 1,4-Butandiol, die heute aus Erdöl hergestellt wird und Ausgangsstoff für die Produktion verschiedener Kunststoffe und Lösungsmittel ist. Das kalifornische Unternehmen Genomatica hat ein Rezept entwickelt, wie auch aus Zucker Butandiol werden kann. Die Metamorphose gelingt mit gentechnisch veränderten Bakterien. Laut Pressemitteilung hat der Chemiekonzern BASF mit der Technologie schon erste kommerzielle Mengen Bio-Butandiol produziert.

Weiter Weg vom Klimakiller zum Kassenknüller

Neben den Klassikern der chemischen Industrie sind eine ganze Reihe neuer Kunststoffkreationen auf dem Markt. Bekanntestes Beispiel ist die Polymilchsäure (kurz: PLA für Polylactid Acid), die mit Hilfe von Bakterien aus Stärke gewonnen wird. Weil das Polymer biologisch gut abbaubar ist, arbeiten Chirurgen seit Jahrzehnten mit Fäden und Schrauben aus PLA. Aus Polymilchsäure können auch Folien und Becher, T-Shirts und Autositzbezüge gemacht werden. Der Biokunststoff hat allerdings ein Manko: Er verformt sich bei Temperaturen von mehr als 60 Grad Celsius.

Becher aus PLA sind so für heißen Kaffee nicht geeignet. "Eine neue Mischung aus zwei spiegelbildlichen Arten von Milchsäuremolekülen soll aber bald Abhilfe schaffen", sagt Johannes Ganster vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung in Potsdam. Auch gegen eine gewisse Sprödigkeit des Werkstoffes haben die Wissenschaftler ein Mittel gefunden. "Wir mischen Zellulosefasern unter", sagt der Physiker. "Das funktioniert sehr gut, ist aber zurzeit noch zu teuer."

Höherer Preis im Vergleich zur fossilen Konkurrenz

Der höhere Preis im Vergleich zur fossilen Konkurrenz ist ein Nachteil fast aller Biokunststoffe. Ein zweiter ist, dass sie um Anbauflächen für Nahrungsmittel konkurrieren. Der Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe zufolge wird die Biokunststoffproduktion in zwei Jahren weltweit gut eine Million Hektar Ackerland brauchen. Das ist ein Anteil von 0,02 Prozent an der Gesamtfläche. Langfristig könnten es bis zu sieben Prozent werden. "Allerdings muss man im Vergleich zur Diskussion um Biokraftstoffe auch die Kirche im Dorf lassen", sagt der Thünen-Forscher Prüße. Schließlich sei der Bedarf für die Kunststoffproduktion deutlich kleiner.

Dennoch versuchen Wissenschaftler, auch Abfälle zu nutzen, zum Beispiel Lignin. Die Substanz fällt vor allem in der Papierindustrie ab, wenn Holz zu Zellstoff verkocht wird. Die Idee, Kunststoff aus Holz herzustellen, hatten die Geschäftsführer Helmut Nägele und Jürgen Pfitzer der Firma Tecnaro im baden-württembergischen Ilsfeld-Auenstein vor gut 15 Jahren. Heute sind sie im Besitz von rund 2500 Rezepturen. Bekannt geworden sind sie mit Pumps von Gucchi, deren Absätze aus einem ligninbasiertem Kunststoff bestehen.

Das Unternehmen produziert auch bioabbaubares Material für Urnen und Särge, für Lenkräder und Blumenübertöpfe. "Wir versuchen ein bisschen die Grenzen auszuloten, was geht und was nicht, aber zwischen 100 und 200 Materialien produzieren wir schon in Serie", sagt Pfitzer.

Hoher Energieaufwand

Auch das Treibhausgas Kohlendioxid kann der Kunststoffproduktion dienen. Das Bundesforschungsministerium fördert dazu aktuell 30 Verbundvorhaben mit 100 Millionen Euro. Hinzu kommen 50 Millionen Euro von Industriepartnern. Von ersten Erfolgen und teilweise aus Kohlendioxid produzierten Produkten wie Staubsaugergehäusen und Matratzen berichteten vor knapp einem Jahr die Konzerne BASF und Bayer.

Doch der Weg vom Klimakiller zum Kassenknüller ist noch weit: Der Energieaufwand, um den im Kohlendioxid komplett verbrannten Kohlenstoff zu reaktivieren, ist hoch und der Prozess nur ökologisch sinnvoll, wenn die Energie dafür aus regenerativen Quellen stammt.

Sogar Schlachtabfälle und Molke aus der Käseproduktion lassen sich mithilfe von Bakterien in Plastik verwandeln. Das hat ein Team um Martin Koller von der Technischen Universität Graz in Laborversuchen gezeigt. Je nach eingesetzter Bakterienart können daraus Verpackungsfolien oder Hartplastik werden, etwa für Rührschüsseln.

Jetzt wartet der Forscher auf eine Zusage für weitere Fördergelder, um die Methode im großen Maßstab zu testen. Ihre Herkunft sieht man den tierischen Biokunststoffen natürlich nicht an, und glücklicherweise verrät sie sich auch olfaktorisch nicht. "Der Geruch geht während der Aufarbeitung vollständig verloren", sagt Koller.

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