Tarnkappenforschung:Physik des Verschwindens

Es gibt sie tatsächlich: erste Tarnkappen, die kleine Objekte unsichtbar machen. Wird es eines Tages gelingen, einen ganzen Menschen verschwinden zu lassen?

Jan Oliver Löfken

Unsichtbar zu sein für Freund und vor allem Feind - dieser Traum durchzieht seit Jahrtausenden die Mythen der Menschheit. Im Nibelungenlied verbarg sich Siegfried unter der Tarnkappe des Zwergenkönigs Alberich. Hades, der griechische Gott der Unterwelt, kämpfte - geschützt durch einen Tarnhelm - gegen die Titanen. Und zuletzt schlich Harry Potter unter einem Tarnmantel durch die verschlungenen Gänge von Hogwarts.

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Elizabeth Shue in dem Film "Hollow Man": Unsichtbare Menschen oder Objekte? Wissenschaftler arbeiten daran.

(Foto: Foto: AP)

Physiker dagegen stehen im Allgemeinen nicht im Ruf, sich ernsthaft um Mythen zu kümmern. In ihrer Welt der Experimente, Berechnungen und harten Fakten haben Tarnkappen nichts verloren. Oder doch? Seit ein paar Jahren denken einige von ihnen tatsächlich ernsthaft darüber nach.

Erste Theorien geistern durch die Fachwelt. Tarnkappen sollten prinzipiell möglich sein, berichtete im Mai 2006 Sir John Pendry vom Imperial College in London. Und nur fünf Monate nach der Veröffentlichung im renommierten Fachblatt Science schafften es Forscher um David Schurig und David Smith an der amerikanischen Duke University in Durham tatsächlich: Sie ließen einen wenige Zentimeter kleinen Kupferblock verschwinden.

So hoch die Wellen schlugen, das menschliche Auge konnte durch dieses Experiment noch nicht getäuscht werden. Denn die Tarnkappe der Duke-Forscher funktionierte nicht für die Wellen sichtbaren Lichts, sondern nur für Mikrowellen in einem schmalen Frequenzbereich um neun Gigahertz. Aber wie?

"Die Wellen bewegen sich ähnlich wie Flusswasser, das um einen glatten Stein herumfließt", erklärt David Schurig, der den Tarnmantel maßgeschneidert hat. Hätte der Mensch Augen, die auf Mikrowellen und nicht auf sichtbares Licht reagieren, könnte er Schurigs getarnte Objekte nicht sehen. Nur die Wellen, die von dahinterliegenden Objekten kommen, könnten das Auge erreichen. Denn sie werden wie fließendes Wasser um einen Stein hinter dem Tarnmantel abgelenkt und an der Vorderseite wieder zusammengeführt.

Es ist so, als ob überhaupt nichts den Weg der Wellen versperrte. Und alles, was sich im Innern des Tarnmantels befindet, bleibt ebenso unsichtbar wie dieser selbst. Mit aufwendigen Computersimulationen kam Schurig auf die komplizierte Struktur seiner Mikrowellentarnung.

Das praktische Ergebnis: Zehn kreisrunde Ringe aus einem dünnen Teflonkunststoff setzte er ineinander. Der äußerste hat einen Durchmesser von etwa zwölf Zentimetern, der innerste knapp sechs. Zwischen jedem der gut einen Zentimeter hohen Ringe bleibt ein Abstand von etwa einem halben Zentimeter. An einen Tarnmantel im mythischen Sinne erinnert dieser Aufbau nicht, vielmehr an das Modell eines Labyrinths für Zwerge.

Stoffe zum Träumen

Diese konzentrischen Kunststoffringe allein könnten jedoch noch keine einzige Mikrowelle hinters Licht führen. Der Clou der Tarnung offenbart sich erst beim genauen Hinsehen: Auf der Oberfläche von allen Ringen befinden sich Tausende von winzigen Kupferstreifen. Jeder einzelne bildet ein abgerundetes Quadrat, das an einer Seite eine Öffnung hat.

Erst mit der hochsymmetrischen Anordnung all dieser Kupferquadrate können die Mikrowellen getäuscht werden. Denn jedes Quadrat misst etwa drei Millimeter, die Mikrowelle dagegen ist zehnmal so lang: drei Zentimeter. Millimeterstrukturen können Mikrowellen daher schlicht nicht erkennen. Dennoch werden sie von ihnen beeinflusst, umgelenkt und auch wieder zusammengeführt.

Physikalisch lässt sich das mit den Auswirkungen erklären, die eine solche Tarnkappenstruktur auf die zwei grundlegenden Charakteristika jeder elektromagnetischen Welle hat, auf das sichtbare Licht ebenso wie auf Mikrowellen. Jede Welle wird durch ein elektrisches und ein magnetisches Feld beschrieben. Genau diese beiden Felder werden durch die komplizierten Strukturen aus Kupferbahnen wie gewünscht manipuliert.

Physik des Verschwindens

Metamaterialien nennen Physiker diese symmetrischen Strukturen mit ihren verblüffenden Auswirkungen auf Wellen. Nicht nur die Suche nach einer Tarnkappe lässt dieses noch sehr junge Forschungsfeld boomen. "Man lernt die Optik wieder von Anfang an", sagt Stefan Linden von der Universität Karlsruhe. Denn Metamaterialien beeinflussen die Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen völlig anders als alle in der Natur existierenden Substanzen.

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"Es ist unmöglich, sich alle Anwendungen vorzustellen, die auf Metamaterialien aufbauen könnten", sagt auch David Schurig. Die Ideen reichen von der Tarnkappe über ultraflache Linsen bis hin zu besseren, optischen Datenkanälen. "Metamaterialien haben gerade fünf bis sechs Jahre auf dem Buckel", sagt Linden. Jede neue Technik brauche Zeit, um zu reifen.

Und den Tarnkappenprojekten steht er ohnehin eher skeptisch gegenüber: "Im sichtbaren Bereich ist das sehr viel schwieriger als mit Mikrowellen", sagt er. Ein Grund dafür liegt in den viel kürzeren Wellenlängen von rotem, gelbem oder blauem Licht. Sie liegen im Bereich von 400 bis 780 Nanometern. Sollen Metamaterialien hier wirksam sein, müssten die Strukturen noch viel winziger sein: etwa zehn millionstel Millimeter groß.

Die Zukunft ist unsichtbar

Doch genau dieses Ziel hat Stefan Linden mit seinen Kollegen Costas Soukoulis und Martin Wegener bereits erreicht. Im Januar stellten sie das erste Metamaterial für sichtbares Licht überhaupt vor. Die Forscher ätzten winzige Strukturen im Fischnetzdesign in dünne Lagen aus Silber und Magnesiumfluorid.

Mit nur etwa 100 millionstel Millimeter kleinen Löchern in diesen Schichten konnte rotes Licht mit 780 Nanometern Wellenlänge in die "falsche" Richtung abgelenkt werden. Physiker sprechen vom "negativen Brechungsindex".

In der Natur lässt sich dagegen nur die positive Lichtbrechung beobachten. Auch vergleichbare Metamaterialien für andere Farben sind technisch möglich. Die Grundlage für eine Tarnkappe, die auch Augen und nicht nur Mikrowellensensoren täuscht, ist damit gelegt. Im Prinzip. "Aber ich halte es für ausgeschlossen, größere Objekte unsichtbar zu machen", sagt Linden. Das sei technologisch zu aufwendig. Und nach allem, was die Lichtforscher bisher wissen, könnte es auch nur für einen kleinen Spektralbereich, beispielsweise für Rot klappen. Alle anderen Farben, von Grün über Gelb bis Blau, könnten eine solche Tarnkappe nicht umlenken - und das Objekt wäre mit Tarnkappe meist genauso gut sichtbar wie ohne.

So sind die derzeitigen Versuche nette Experimente. Einen Nutzen, gar zur Tarnung von Soldaten oder militärischem Gerät, hätten sie wohl kaum. Dennoch ist Linden enthusiastisch. Er sagt zwar, Tarnkappen blieben "weiter im Bereich von Science-Fiction und Fantasy". Doch wer weiß, was in Zukunft möglich ist?

Wer glaubte zu Jules Vernes Zeiten an den Flug zum Mond? Wer las Mitte des Jahrhunderts "1984" und hielt es für möglich, dass Videoüberwachung eines Tages allgegenwärtig sein würde? Und wer sah in den Sechzigern Captain Kirks handlichen Klappkommunikator und dachte, dass bald alle Welt so telefonieren könnte?

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