Tabakindustrie:Das blutige Geschäft mit den Tabak-Sklaven

Tabakindustrie: Malawi: Ein junges Mädchen sortiert Tabakpflanzen.

Malawi: Ein junges Mädchen sortiert Tabakpflanzen.

(Foto: Kai Loeffelbein)

Seife, Handschuhe und Gesichtsmasken sollen die Bauern auf den Tabakplantagen Malawis vor giftigem Nikotin schützen. Um ihre Gesundheit schert sich fast niemand - auch nicht um die der Kinderarbeiter.

Reportage von Tobias Zick, Malanda (Malawi)

Das Zuhause von James Mwale riecht wie eine frisch geöffnete Zigarettenschachtel; wesentlich größer ist es auch nicht. Eineinhalb mal drei Meter nackter Boden, die Hälfte des Raumes nehmen hüfthoch gestapelte Tabakblätter ein, bräunlich, duftend. Er lehnt an einem der Stapel, die Arme verschränkt, und späht ständig durch die offene Tür nach draußen; niemand soll mitbekommen, was er jetzt über sein Dasein erzählt, jeder der Nachbarn könnte ihn bei seinem Chef verpfeifen, besser gesagt: seinem Herrn, und dann Gnade ihm Gott.

James Mwale, der in Wirklichkeit ein bisschen anders heißt, trägt ein fleckiges Hemd über der Hose, die Füße nackt, schwielig und rissig. "Was Sie hier sehen, ist alles das Werk meiner Hände", erklärt er: Tabak anpflanzen, ernten, die Blätter trocknen und bündeln, dafür bekommt er Essen und Seife und ein Gehalt, das der Chef nach Gutdünken festlegt: Diesmal hat er ihm 95 000 Malawische Kwacha ausgezahlt, rund 130 Euro - für die Arbeit einer ganzen Saison. Die Marktpreise sind schlecht, sie werden jedes Jahr schlechter, so erklärt der Chef es ihm. "Es gibt leider Menschen", sagt James Mwale, "die sind nicht allzu gottesfürchtig." Sein Herr sei ein durchaus wohlhabender Mann, er habe fünf Kühe, dazu Schweine und Ziegen. Und acht Kinder.

James Mwale selbst hat praktisch nichts; seine Frau hat ihn vor sechzehn Jahren verlassen, kurz nach der Geburt des Sohnes, den er seither nie wieder gesehen hat, "sie wollte nicht mit einem Mann zusammen sein, der ihr nichts bieten kann", sagt er. "Gott sei Dank habe ich noch gesunde Hände und Füße und kann arbeiten." Zwar tun ihm oft die Knochen weh nach einem langen Tag, doch dann bekommt er von seinem Herrn Schmerztabletten, oder einen Hustenstiller, wenn er dieses Stechen im Brustkorb spürt. Damit er am nächsten Morgen wieder aufs Feld gehen und zupacken kann.

Rohtabak wird in der Landeswährung vergütet, Saatgut jedoch in US-Dollar in Rechnung gestellt

Malawi, ein kleines, hügeliges Land im Südosten Afrikas, ist so tabakabhängig wie kein anderer Staat der Erde; 70 Prozent seiner Deviseneinnahmen bezieht es aus dem Export der getrockneten, nikotinreichen Blätter. Beflügelt von der damals enormen Nachfrage auf dem Weltmarkt, förderte die Regierung in den 1970er Jahren massiv den Anbau von Tabak. Zunächst auf großen, staatlich kontrollierte Farmen, dann öffnete die Regierung auf Druck von Weltbank und Internationalem Währungsfonds den Sektor für alle. Hunderttausende Kleinbauern begannen in den 1990er Jahren, Tabak anzupflanzen, die Preise fingen an zu sinken, die Einkäufer verschärften den Trend mitunter noch, indem sie illegale Kartelle bildeten - und bis heute gibt in der Handelskette jeder den Druck nach unten weiter. Ganz unten stehen Menschen wie James Mwale.

Oder Dalitso Batison, elf Jahre alt. Der Husten, den man bei der Tabakernte bekommt, sei anders als bei einer Erkältung, sagt Dalitso Batison, der in einem rissigen lila Hemd auf einer Bastmatte vor dem Haus seines Vaters sitzt: "Es tut stärker weh. Ein stechender Schmerz im Brustkorb."

Dalitso Batison lebt in Malanda, einem Dorf im Herzen von Malawi; er gehe gern zur Schule, sagt er, später will er gern selbst Lehrer werden und "dazu beitragen, dass das Volk von Malawi bessere Bildung bekommt." Doch momentan kann er sich selbst nicht immer so dem Lernen widmen, wie er es gern würde: Nach dem Unterricht hilft er seinen Eltern beim Anpflanzen, Ernten und Trocknen des Tabaks; "es ist harte Arbeit", sagt er. Sein Vater Charles, der neben ihm sitzt, schaut zu Boden; "ich würde ihn lieber heute als morgen von dieser Arbeit befreien", sagt er, "und statt dessen erwachsene Erntehelfer anheuern, aber ich kann nichts machen, die Preise sind inzwischen so lächerlich niedrig."

"So tragen wir das Risiko von Währungsschwankungen"

Charles Batison holt ein paar zerknitterte Blätter Papier aus seiner Hütte; Abrechnungen von Alliance One, einer der großen internationalen Firmen, die in Malawi den Rohtabak der Bauern aufkaufen und an Zigarettenhersteller wie British American Tobacco und Philip Morris weiterverkaufen. Charles Batison hat sich per Vertrag verpflichtet, seinen Tabak komplett an Alliance One zu liefern statt ihn an der Börse anzubieten; die Firma stellt ihm auf Kredit das Saatgut und den Dünger zur Verfügung - doch mit dem Erlös für seine Ernte schafft er es kaum, die Schulden abzutragen.

Die Unterlagen zeigen: Seinen abgelieferten Rohtabak bekommt Charles Batison von Alliance One in der Landeswährung Kwacha vergütet - Saatgut und Dünger dagegen werden ihm in US-Dollar in Rechnung gestellt. "So tragen wir das Risiko von Währungsschwankungen", sagte er. Alliance One erklärt auf Anfrage der SZ, die Kredite würden über Banken abgewickelt und daher in Dollar berechnet - was für die Bauern den Vorteil niedrigerer Zinsen bringe. Die niedrigen Preise erklärt das Unternehmen mit den "widrigen Wetterbedingungen" der vergangenen Saison, unter der die Qualität der Blätter gelitten habe.

Die internationale Kinderhilfsorganisation Plan International hat vor sieben Jahren das Ausmaß und die Folgen von Kinderarbeit auf malawischen Tabakplantagen untersucht und kam zu dem Schluss, dass etwa 80 000 Minderjährige in dem Land regelmäßig an Ernte und Verarbeitung von Rohtabak beteiligt sind - und viele davon unter schmerzhaftem Husten leiden, unter Kopf- und Bauchschmerzen und unter Muskelschwäche: alles typische Symptome einer Nikotinvergiftung. Ein Kind, das ohne Schutzkleidung auf einer Tabakplantage arbeitet, nimmt einer US-Studie zufolge bis zu 54 Milligramm Nikotin über die Haut auf; so viel, als hätte es 50 Zigaretten geraucht.

Etwa 400 Millionen Dollar nimmt Malawi jedes Jahr aus dem Export von Tabak ein

Als "Green Tobacco Sickness" (GTS), Grüne Tabakkrankheit, bezeichnen heute auch die internationalen Konzerne selbst das unter Plantagenarbeitern verbreitete Leiden - British American Tobacco schreibt auf seiner Website: Obwohl der Stand der Forschung noch "begrenzt" sei, erkenne man ein mögliches Gesundheitsrisiko an - und empfehle Plantagenarbeitern, möglichst keine regennassen Blätter zu verarbeiten und grundsätzlich wasserdichte Schutzkleidung zu tragen.

Schutzkleidung? "Ja, die bekommen wir von Alliance One gestellt", sagt Charles Batison und verschwindet wieder kurz in seiner Hütte. Zurück kommt er mit einem Paar Einmal-Handschuhe aus Latex, wie man sie in einem deutschen Drogeriemarkt im Hunderter-Pack für rund fünf Euro bekommt. Alliance One erklärt dazu, die in Malawi angebaute Tabaksorte Burley habe einen vergleichsweise niedrigen Nikotingehalt, dennoch informiere man die Vertragsbauern über die Notwendigkeit, langärmlige Hemden zu tragen und nach der Arbeit die Hautpartien, die mit Tabakblättern in Berührung gekommen sind, zu waschen. Jeder Bauer erhalte jährlich "vier Paar Latexhandschuhe, vier Gesichtsmasken und zwei Stück Seife".

Seit Plan International seinerzeit zusammen mit dem UN-Kinderhilfswerk Unicef die Zustände auf den Plantagen anprangerte, hat die malawische Regierung der Kinderarbeit wiederholt den Kampf angesagt - doch Kritikern zufolge werden Gesetze nur selten angewandt; die Praxis geht weiter, ein wenig verborgener als früher. Alliance One erklärt, man arbeite "aktiv" daran, Kinderarbeit aus der Lieferkette zu beseitigen, indem man die Vertragsbauern überwache und sie darin schule, ihre "Arbeitspraktiken zu verbessern". Der Zigarettenhersteller British American Tobacco teilt der SZ mit, man stelle gegenüber allen Zulieferern klar, "dass ausbeuterische Kinderarbeit nicht toleriert wird." Die Zwischenhändler Alliance One und Universal, von denen man malawischen Tabak kaufe, hätten ihrerseits "strenge Richtlinien".

"Grüne... wie? Tabakkrankheit?"

Wie die Regierung das Thema Gesundheitsrisiken bei der Tabakernte angeht, davon vermittelt ein Anruf im Gesundheitsministerium einen Eindruck. Charles Mwansambo, in Großbritannien ausgebildeter Kinderarzt, ist Leiter der Abteilung staatliches Gesundheitswesen. "Grüne... wie? Tabakkrankheit?" fragt er am Telefon. "Das ist uns nicht bekannt, dafür haben wir keine Kategorie. Schicken Sie mir eine E-Mail mit der genauen Bezeichnung, dann kann ich das mal für Sie googeln."

Und was sagt ein unabhängiger Mediziner zu dem Thema? Besuch bei John Chisi, Professor an der medizinischen Fakultät der Universität von Malawi und zugleich Vorsitzender der malawischen Ärztekammer. Ein kompakt gebauter Mann in grauem Nadelstreifenanzug; er empfängt am frühen Abend in seinem Büro, auf der Besuchercouch sitzen zwei weitere Männer. "Nun, ich bin Mediziner, aber auch Politiker", erklärt er zur Begrüßung, "da muss ich meine Worte gut abwägen." Chisi hat 2014 zum ersten Mal bei der Präsidentschaftswahl kandidiert, mit mäßigem Erfolg, aber nächstes Mal werde er es schaffen, da gibt er sich selbstbewusst. Und nun zu den medizinischen Fragen: "Grüne Tabakkrankheit, sagen Sie? In der seriösen Medizin brauchen Sie Beweise. Wie wollen Sie dieses grüne Was-Auch-Immer diagnostizieren? Über Antikörper im Blut?"

Gesundheitsgefährdung durch Tabak sei nur beim Rauchen erwiesen, darauf beharrt der Professor, "und die Malawier rauchen nicht, weil sie schlicht kein Geld haben." Aber selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärt doch, dass Kinder, die Tabak ernten, durch die Grüne Tabakkrankheit "besonders gefährdet" seien. "Ja, die WHO", sagt der Mediziner, "wissen Sie, jede Organisation hat doch eine bestimmte Agenda." Dann schaltet sich einer der beiden Männer auf der Couch in das Gespräch ein; er stellt sich vor als der politische Sprecher des Präsidentschafts-Anwärters John Chisi - und als Sohn eines malawischen Tabak-Großbauern. "Es mag ja sein, dass Leute Atemprobleme bekommen", sagt er, "aber dann eher von Pestiziden. Bei uns auf der Farm benutzen wir Traktoren, um Pestizide auszutragen, da kommt kein Arbeiter direkt in Berührung damit."

Sklaven des Systems - zusammen mit den Kindern

Kein Zweifel, der Tabak hat Malawi und seine politische Landschaft fest im Griff. Immerhin ruft die Regierung inzwischen Bauern dazu auf, sich von Monokulturen und Preisschwankungen unabhängiger zu machen und verstärkt Soja oder Erdnüsse anzubauen. Nachfragen dazu beantwortet das Landwirtschaftsministerium auch nach mehrmaliger Erinnerung nicht, dafür erklärt sich der Vorsitzende des Agrarausschusses im Parlament, Felix Jumbe, zu einem Gespräch bereit. Es sei ein Fehler gewesen, den Tabaksektor für Kleinbauern zu öffnen, sagt er; das habe sie "zu Sklaven des Systems gemacht, zusammen mit ihren Kindern."

Der Abgeordnete selbst hätte genug Land, um Tabak im großen Stil anzubauen, rund 300 Hektar, "aber ich wollte mich nie diesem System unterwerfen." Selbst rauchen tut er auch nicht - "es liegt schlicht nicht in unserer Kultur", sagt er, "wir lernen schon als Kinder, dass man das nicht tut." In der Tat, die Bestrebungen der Tabakkonzerne, in Afrika neue Kunden zu gewinnen (siehe Text "Arm und ausgeliefert"), tragen in Malawi bislang nicht allzu viele Früchte. Bei einer Reise durchs Land sieht man kaum Tabakwerbung und nur sehr vereinzelt Menschen mit einer Zigarette in der Hand.

Doch die "globale Nichtraucherlobby", wie Felix Jumbe sie nennt, tue dem Land auch keinen Gefallen. Denn wenn in Europa immer weniger Menschen Zigaretten kaufen - was wird aus den Einnahmen für Malawis Tabakbauern? "Wovon sollen unsere Leute die Schulgebühren für ihre Kinder zahlen?" Etwa 400 Millionen Dollar nimmt das Land jedes Jahr aus dem Export von Tabak ein - von dieser Abhängigkeit wird sich Malawi, wenn überhaupt, nur unter Schmerzen kurieren lassen. Felix Jumbe möchte deshalb das Gespräch nutzen, um einen Solidaritäts-Aufruf an die Menschen in Europa zu richten: "Rauchen Sie, in Ihren Ländern ist es doch so kalt. Es wärmt Sie, es ist gut für Sie. Tun Sie es für Malawi."

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