SZ Wissen: Sie wirken gar nicht unglücklich.
Kosmisches Zufallsprodukt und Sinnsymbol: Der vom Weltraumteleskop Hubble fotografierte Helixnebel NGC 7293 befindet sich etwa 650 Lichtjahre von unserer Erde entfernt. Esoteriker in Internetforen bezeichnen ihn als "Auge Gottes".
(Foto: Foto: AP)Bernulf Kanitscheider: Wieso sollte ich denn?
SZ Wissen: In Ihren kosmologischen Schriften betonen Sie, dass wir Menschen auf unserer kleinen Erde eine einsame, schnell vorübergehende, periphere Existenz in einem unbedeutenden Durchgangsstadium eines sinnlosen Universums führen. Spätestens in vier Milliarden Jahren werde unser Planet den Wärmetod sterben.
Kanitscheider: Dies folgt schon aus dem gut bestätigten Standardmodell der Kosmologie, und die neuesten theoretischen Vorstöße in der Quantengravitation verschärfen diese Diagnose sogar noch. Begründete mathematische Spekulationen deuten darauf hin, dass wir sogar nur in einem von 10.500 Universen leben. Es ist natürlich trotzdem nicht völlig ausgeschlossen, dass wir irgendwann in unserer Galaxie auf irgendwelche anderen intelligenten Lebewesen stoßen.
SZ Wissen: Würde uns die Bekanntschaft mit Marsmännchen weiterbringen?
Kanitscheider: Wahrscheinlich nicht, zumal sie sich womöglich eher für das überaus aufregende Sozialleben der Ameisen auf der Erde als für uns Menschen interessieren würden. Ansonsten hätten extraterrestrische Intelligenzen wahrscheinlich die gleichen Sinnfindungsprobleme wie wir: Der Kosmos schweigt auch für sie.
SZ Wissen: Der französische Physiker und Philosoph Blaise Pascal seufzte deshalb: "Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume macht mich schaudern."
Kanitscheider: Pascal lebte in dieser Umbruchphase, als das endliche, sehr kleine vorkopernikanische Universum endgültig seinen Rand und seine Mitte verlor, und der unendliche Raum sichtbar wurde. Das musste die intellektuelle Welt des 16. Jahrhunderts in der Tat erst einmal emotional verarbeiten.
SZ Wissen: Also noch mal die Frage: Warum also sitzen Sie hier so gut gelaunt?
Kanitscheider: Ich habe akzeptiert, dass man aus dem Kosmos keine Handlungsanweisungen ableiten kann, auch sonst nicht aus der Natur. Wir sind in unserer endlichen Existenz auf uns selber zurückgeworfen. Man ist auf einem Irrweg, wenn man glaubt, dass nur das wirklich bedeutsam ist, was ewig währt. Es stimmt nicht, dass der Tod die einzige bedeutungsvolle Sache im Leben ist.
Wer immer nur auf das Ende des Daseins blickt, nimmt sich die Chance, sein Leben erfüllt zu gestalten. Man kann es auch umgekehrt sehen: Es ist gerade die Sterblichkeit, die ein menschliches Leben kostbar macht. Wenn wir unendlich viel Zeit zur Verfügung hätten, könnten wir jedes Ziel in die unbegrenzte Zukunft verschieben.
SZ Wissen: Wie kann man ohne Gott Ziele für sein Leben finden?
Kanitscheider: Der griechische Philosoph Aristippos von Kyrene hat bereits im fünften Jahrhundert v. Chr. die Denkschule des Hedonismus begründet. Sie geht von der Einsicht aus, dass alle Lebewesen - Menschen und Tiere - Schmerz vermeiden und nach Lust und Freude streben. Diesem Streben sollten wir nachgeben und uns überlegen, wie wir diese Lust steigern können.
Epikur hat diese Ethik verändert und die entscheidende Frage gestellt: Wenn wir das Streben nach Lust als Prinzip setzen, wie können wird darauf eine gedeihliche Sozialstruktur aufbauen, bei der die Interessen aller Menschen vereinbar werden?
Hedonismus bedeutet mehr als Wein, Weib und Gesang. Mehr dazu auf Seite zwei.