Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Das liebe Vieh:Todesurteil in der Klinik

Hustende Ferkel und humpelnde Sauen landen im Schweine-Krankenhaus. Lebendig kommen sie dort aber nicht heraus. Skurriles aus der Tiermedizin, Folge 2.

Von Tanja Warter

Bayern ist ein ordentlicher Saustall: 3,3 Millionen Schweine leben hier in 5900 Mast- und Zuchtbetrieben. Ein einzelner Schweinebauer hält durchschnittlich also 600 Tiere. In so großen Gruppen schleicht sich schnell eine Krankheit ein. Husten, Erbrechen, Durchfälle, Gelenksprobleme oder Fruchtbarkeitsstörungen sind besonders häufige Symptome.

Als Ursache kommen sehr viele verschiedene Viren oder Bakterien infrage, die Diagnose erfordert spezialisiertes medizinisches Wissen. Der örtliche Tierarzt ist mit seinem Latein da schnell am Ende und überweist die kranken Tiere in die Klinik für Schweine an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Hier bekommen die borstigen Patienten dann alles geboten, was die Veterinärskunst zu bieten hat: Zuerst teilen die Ärzte jedem Schwein eine Nummer zu und schreiben sie auf die Speckschwarte. Herz- und Atemfrequenz, Körpertemperatur, das Gangbild, die Schleimhäute an Augen, Maul und Rüssel - alles wird detailliert dokumentiert. Blutabnahmen, Nasentupferproben, Lungenspülungen oder entnommene Rückenmarksflüssigkeit bringen die Detektive für Schweinekrankheiten auf die richtige Spur.

Der so zielgerichtete Ansatz im Hospital der Fleischlieferanten nimmt dann allerdings eine überraschende Wendung. Die untersuchten Tiere erwartet gar keine heilende Therapie. Sie dürfen auch nicht nach Hause zu ihren Stallkollegen. Im Gegenteil: Ist die Diagnose da und gesichert, bekommen die Patienten eine Todesspritze verpasst.

Dem kranken Schwein wird die Lunge gespült, die Nase betupft. Dann kommt die Todesspritze

Das Schwein kam nur zu Diagnosezwecken in die Klink, therapiert werden nur die übrigen Tiere im heimischen Stall. Die Ärzte nehmen an, dass die diagnostizierte Krankheit auch die übrige Herde befallen hat. Man kennt das von Läusen im Kindergarten. Ist ein Kind befallen, sind es bald alle anderen. In der Massentierhaltung ist es ganz ähnlich. Hustet erst ein Ferkel, hustet rasch der ganze Wurf. Blitzschnell sind alle Stallkollegen angesteckt. "Durchseuchung" heißt das im Fachjargon.

Die Strategie der Fachtierärzte für Schweine lautet deshalb "Bestandsbetreuung". Jene Tiere, die in die Klinik kommen, sind lediglich ein Gradmesser für die Gesundheit der daheim gebliebenen Artgenossen. Haben die Ärzte eine Diagnose, kennen sie in der Regel auch die Therapie. Sie wird prophylaktisch bei allen Stallgenossen angewendet.

Schweineärzte sind also keine gefühllosen Wesen. Sie wissen einfach um das Tempo, mit dem sich Krankheiten im Stall verbreiten. Oft werden sie vom Personal eingeschleppt. Das hat dazu geführt, dass große Schweineställe nur noch mit betriebseigener Schutzkleidung betreten werden dürfen. Eine Unachtsamkeit, schon hat eine Seuche den ganzen Stall im Griff. Der letzte Ausbruch der Schweinepest in den Niederlanden kostete zwölf Millionen Schweine das Leben.

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Quelle:
SZ vom 04.08.2015
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