Süddeutsche Zeitung

Super-Virus entwickelt:US-Regierung empfiehlt Forschern zu schweigen

Virologen ist es gelungen, den Vogelgrippe-Erreger hochansteckend zu machen. Nun empfiehlt das US-Gesundheitsministerium Fachzeitschriften, die entsprechenden Daten nicht zu veröffentlichen, weil Terroristen mit ihrer Hilfe Biowaffen basteln könnten.

Katrin Blawat

Das amerikanische Gesundheitsministerium empfiehlt, Erkenntnisse über gefährliche Viren geheim zu halten. Zwei Forscherteams, die mit mutierten Vogelgrippe-Erregern experimentiert haben, sollen Einzelheiten über ihre Versuche zurückhalten.

Das Ministerium stützt sich auf die gleichlautenden Empfehlungen des unabhängigen Expertengremiums NSABB. Nur die Schlussfolgerungen aus den Versuchen sollen in den Fachzeitschriften Science und Nature erscheinen - nicht aber, wie die Forscher vorgegangen sind und wie die Viren im Detail aussehen.

So will das NSABB verhindern, dass Terroristen die Erkenntnisse der Forscher missbrauchen, um Biowaffen zu basteln. Das 2001 gegründete Gremium hat zum ersten Mal eine solche Empfehlung ausgesprochen. Sie ist jedoch nicht bindend.

Ihr vorausgegangen war eine wochenlange Diskussion darüber, wie Forscher mit heiklen Erkenntnissen umgehen sollen: Alles offenlegen, wie es in der Wissenschaft üblich ist - oder brisante Versuche unterlassen und erst recht nicht veröffentlichen?

Aktuell wurde diese Frage durch die Studien von Ron Fouchier von der Erasmus Universität in Rotterdam und Yoshihiro Kawaoka von der University of Wisconsin. Beide Teams untersuchten, was passieren muss, damit ein sogenanntes Supervirus entsteht: ein hochgefährlicher und zugleich sehr ansteckender Erreger. Dazu experimentierten die Forscher mit Vogelgrippeviren.

Diese sind für den Menschen zwar in vielen Fällen tödlich, aber kaum ansteckend. Gefährlich wird es jedoch, wenn ein solcher Erreger von einem anderen Erregertyp die Fähigkeit erhält, sich über die Atemluft zu verbreiten, wie es zum Beispiel das Schweinegrippevirus macht.

Unklar ist aber, wie wahrscheinlich dieses Szenario ist. Er habe gezeigt, dass es dazu nur weniger Mutationen bedürfe, die in der Natur leicht zusammen auftreten könnten, sagte Fouchier erstmals auf einer Konferenz im September. Die Versuche von Kawaoka sollen ähnliche Ergebnisse gebracht haben.

Beide Forscher rechtfertigen ihre Arbeit damit, dass sich nur so Therapien und Impfungen gegen ein Supervirus entwickeln ließen. Einzelheiten über die Arbeiten sind aber bislang nicht bekannt - und werden es nach dem Willen des Beratergremiums auch nicht. Auch Thomas Inglesby, Direktor des Zentrums für Biosicherheit an der University of Pittsburgh, schreibt im Fachblatt Biosecurity and Bioterrorism, es sei besser, die Manuskripte zu überarbeiten und nicht alles zu veröffentlichen.

Für die Rotterdamer Virologen hingegen steht damit "die Freiheit der Forschung und der Presse auf dem Spiel", wie es in einer Erklärung heißt. Unklar ist noch, inwieweit sie und die Fachjournale den Empfehlungen des NSABB folgen.

Die Rotterdamer Forscher würden der Haltung des Gremiums zwar nicht zustimmen, hätten ihr Manuskript für das Fachmagazin Science aber bereits überarbeitet, berichtet das Magazin Science Insider (das wie das Fachblatt Science von der American Association for the Advancement of Science herausgegeben wird). Die University of Washington habe sich dazu ebenfalls bereit erklärt, auch wenn einem Sprecher zufolge noch niemand weiß, welche konkreten Änderungen sich das NSABB wünscht.

Science-Chefredakteur Bruce Alberts schreibt in einer Erklärung, er nehme die Empfehlung des Gremiums ernst. Allerdings habe "Science Bedenken, möglicherweise wichtige Informationen für die öffentliche Gesundheit von verantwortungsvollen Influenzaforschern fernzuhalten".

Alberts dringt vor allem darauf, dass "jeder Forscher mit berechtigtem Interesse auf Nachfrage alle Informationen" erhalten müsse. Ein derartiges System werde es bald geben, versprach Agenturberichten zufolge Anthony Fauci von den National Institutes of Health (NIH). Die NIH haben Fouchiers und Kawaokas Arbeiten finanziert.

Auch die Nature-Redaktion diskutiere, wie sie den Zugang zu den wissenschaftlichen Daten in Kawaokas Studie so organisieren könne, dass es den Empfehlungen des NSABB entspreche, schreibt Chefredakteur Philip Campbell. "Es ist für die öffentliche Gesundheit notwendig, dass alle Details jeder wissenschaftlichen Analyse zu Influenzaviren Forschern zugänglich sind."

"Dem stimme ich voll zu", sagt der Marburger Influenzaexperte Hans-Dieter Klenk. "Hält man einen Teil der Forschung geheim, verleiht es ihr Sensationscharakter - und niemand kann nachprüfen, ob das gerechtfertigt ist."

Klenk bezweifelt aufgrund einer weiteren, bereits veröffentlichten Studie einer dritten Arbeitsgruppe, dass es wirklich so leicht ist wie Fouchier behauptet, Vogelgrippeviren hochansteckend für den Menschen zu machen. "Damit sie Fouchiers Schlussfolgerungen nachvollziehen können, müssen andere Forscher alle Informationen erhalten."

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SZ vom 22.12.2011/mcs
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