Suizid-Prävention:Alarmsignal Lebenskrise

Um Selbstmorde zu verhindern, fahnden Ärzte und Psychologen nach Zeichen einer Depression. Dabei erwägen auch psychisch Gesunde erstaunlich häufig den Freitod.

Christian Weber

Wer die Infobroschüren und Webseiten der Suizid-Präventionskampagnen in Deutschland liest, kann den Eindruck gewinnen, dass hinter dem Entschluss, das eigene Leben zu beenden, so gut wie immer eine Depression steht. Eine neue Studie korrigiert dieses Bild: Wie ein 25-köpfiges Forscherteam unter der Leitung des Gesundheitspsychologen Matthew Nock von der Harvard University in der Internet-Publikation Public Library of Science Medicine (PLoS Medicine) berichtet, spielen andere psychische Störungen sowie nicht krankhafte Gründe eine weitaus größere Rolle als bisher angenommen.

Das folgern die Forscher aus der Auswertung von Gesprächen mit weit über 100.000 Menschen aus 21 Ländern, die an einem psychiatrischen Untersuchungsprogramm der Weltgesundheitsbehörde WHO teilnehmen - den World Mental Health Surveys.

Zu den wichtigsten Ergebnissen der neuen Studie gehört, dass affektive Störungen nur in Industrienationen der häufigste Grund für Suizidversuche sind. Hier erhöht etwa eine Depression das Risiko um 200 Prozent. Global gesehen seien es jedoch vor allem Angstkrankheiten und Störungen der Impulskontrolle, die dazu führen, dass Suizidvorhaben tatsächlich ausgeführt werden.

In den unterentwickelten Ländern spielten zudem Krankheiten, die durch Alkohol- und Drogenmissbrauch entstehen, sowie posttraumatische Störungen eine besonders große Rolle. Überraschend war auch die Erkenntnis, dass weltweit in der Hälfte der Fälle Menschen ernsthaft einen Suizid erwägen, die gar nicht unter einer psychischen Krankheit leiden. Risikofaktoren seien insbesondere schwere Lebenskrisen und Schicksalschläge, eine einschlägige Familiengeschichte oder der Suizid eines Freundes oder Verwandten.

Neue Ansätze in der Vorbeugung

Die neuen Studienergebnisse haben nach Ansicht der Forscher Bedeutung für die Präventionspolitik. In Zukunft dürften sich Ärzte und Psychologen nicht mehr darauf beschränken, Patienten nach den Warnsignalen der Depression zu untersuchen. "Es müssten vielmehr auch Wege gefunden werden, wie man die Menschen findet, die auch ohne psychische Störungen zu suizidalem Verhalten neigen."

Neue Ansätze sind in der Vorbeugung dringend nötig, betonen die PLoS-Autoren. Schließlich sei Suizid eine der häufigsten Todesursachen auf der Welt, "alle 40 Sekunden begeht irgendjemand irgendwo Suizid", so Psychologe Nock. Insgesamt eine Million Menschen sterben jedes Jahr durch die eigene Hand. In Deutschland sind es circa 12.000. Die Zahl der Suizidversuche wird sogar bis auf das 20-Fache dieser Summe geschätzt.

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