Suche nach dem Ehec-Erreger:Getarnt wie ein alter Bekannter

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Experten im Labor züchten Kolonie um Kolonie, Stuhlproben werden quer durch die Republik verschickt, aber woher genau der Ehec-Erreger kommt und wie er in die Körper der Kranken gelangt, darauf gibt es bislang keine Antwort. Eigentlich ist eine Ehec-Infektion nichts Besonderes, auch in der Vergangenheit gab es Fälle. Aber nie verlief die Krankheitswelle so gravierend wie derzeit.

Christina Berndt

Tagtäglich gehen die Mikrobiologen am Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt mit gefährlichen Keimen um. Doch in diesen Tagen sehen sie mehr davon, als ihnen lieb ist. Unter Hochdruck züchten sie Kolonie um Kolonie an. Denn halb Deutschland will wissen, weshalb sich der mitunter lebensbedrohliche Darmkeim Ehec (Enterohämorrhagische Escherichia coli) derzeit auf so mysteriöse Weise ausbreitet.

Sogar die Kühlschränke der Betroffenen werden inspiziert. Wie Kriminalisten suchen Experten derzeit nach der Quelle des Ehec-Erregers. (Foto: dpa)

Nachgewiesenermaßen hat er bereits bei mindestens 80 Menschen zu der lebensbedrohlichen Komplikation HUS geführt. Die meisten von ihnen leben in Hamburg und Niedersachsen, aber die Krankheitswelle hat auch schon südlichere Bundesländer wie Hessen und das Saarland erreicht, am Dienstag wurden die ersten zwei Fälle aus Bayern bekannt.

Schon jetzt ist klar: Die Zahl der Menschen mit blutigem Durchfall wird vorerst weiter wachsen, ständig werden neue Personen mit HUS-Verdacht gemeldet, deren Ausscheidungen im Labor untersucht werden müssen. Inzwischen gab es einzelne Todesfälle: Zwei mehr als 80 Jahre alte Frauen aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein waren nachgewiesenermaßen mit Ehec infiziert, und eine junge Frau aus Bremen zeigte vor ihrem Tod die typischen Symptome.

Ein bisher unbekannter Bakterienstamm?

Stuhlproben dieser und anderer Opfer werden per Kurier durch die Republik verschickt, vor allem an das zuständige Konsiliarlabor von Helge Karch an der Universität Münster. Die Mitarbeiter dort testen, welcher Art Keim in den Exkrementen der Kranken enthalten ist. Handelt es sich um gewöhnliche Ehec-Erreger, wie sie seit den 1980er- Jahren immer wieder zuschlagen, oder um einen besonderen, bisher unbekannten Stamm?

Nach Ansicht von Karch verläuft die Krankheitswelle zu schwer für einen alten Bekannten. Zahlreiche Kranke liegen auf Intensivstationen und werden beatmet. Manche befinden sich im Koma. Nicht wenige ringen mit dem Tod. "Es ist wahrscheinlich ein anderer Erreger als bei den bisherigen HUS-Ausbrüchen", sagt Karch, der die Lage in Deutschland gerade mit Fachleuten aus aller Welt in Innsbruck diskutieren kann, wo just ein Fachkongress zum Thema HUS stattfindet.

"Der aktuelle Ausbruch liefert ein extrem dramatisches Bild, das so noch nie in Europa oder Amerika gesehen wurde." Dieses Bild lasse sich kaum mit einem der mehr als 40 verschiedenen HUS-Erreger erklären, die bereits bekannt sind. So schädige der aktuelle Keim den Darm viel stärker, als dies für all seine Vettern typisch wäre. "Manchen Patienten musste der halbe Dickdarm entfernt werden", sagt Karch. Stuhl-Proben von vielen Betroffenen sind inzwischen in sein Labor gebracht worden. Dort hat er sie angezüchtet und untersucht. "Es handelt sich immer um denselben Erreger", sagt er. Nun müsse er noch ein genaues Täterprofil erstellen.

Der Hinweis eines Hamburger Labors, die Erreger seien bereits gegen Antibiotika resistent, muss dabei nicht beunruhigen: Mit Ehec infizierte Patienten sollten auf keinen Fall Antibiotika nehmen, warnt der Infektiologe Thomas Schneider von der Berliner Charité: "Wenn die Bakterien durch das Antibiotikum in großem Umfang zerfallen, werden vermehrt Gifte freigesetzt." Das könne den Krankheitsverlauf verschlimmern.

Eine Infektion mit Ehec ist an sich ja nichts Besonderes. Alljährlich ziehen sich hierzulande rund tausend Menschen Ehec-Keime zu, bei denen es sich um eine unangenehme Variante des einfachen Darmbakteriums E.coli handelt, die ihr Dasein üblicherweise in Wiederkäuern fristet.

Nur etwa 65 dieser tausend mit Ehec infizierten Menschen aber erleiden in normalen Jahren die schwere HUS-Komplikation, die zu Nierenversagen führen und tödlich enden kann. Schon nach wenigen Tagen also hat die aktuelle Krankheitswelle Fallzahlen erreicht, wie sie sonst in einem ganzen Jahr nicht auftreten.

Zugleich befällt der neue Keim besonders häufig Frauen, obwohl sonst vor allem kleinere Kinder an HUS erkranken. Auch so ein Rätsel, das sich Forscher bisher allenfalls damit erklären können, dass meist Frauen in der Küche das Gemüse putzen. "Klassisch sind sonst eigentlich Schulkinder, die sich auf dem Bauernhof infizieren", heißt es beim Robert-Koch-Institut.

Experten schauen auch in die Kühlschränke der Betroffenen

Woher kommt der Keim, der so anders ist als seine Vorgänger? Wie Kriminalisten suchen die Mitarbeiter des Hygieneinstituts im besonders betroffenen Hamburg nach Hinweisen. Im gesamten Stadtgebiet sammeln die Experten um den Lebensmittelchemiker Anselm Lehmacher Lebensmittelproben - "auf Großmärkten und Wochenmärkten, aber auch in normalen Geschäften", wie eine Sprecherin sagt.

Denn üblicherweise infizieren sich Menschen beim Verzehr von Ehec-verseuchten Lebensmitteln. Auch in die Kühlschränke der Kranken haben die Experten schon geschaut: Kontaminiertes Speisen haben sie dort aber nicht gefunden. Auch brachten die Auskünfte, die die Kranken über ihr Essen der letzten Zeit gaben, die Mikroben-Fahnder nicht weiter. Im Gegenteil: Rohmilch, Frischkäse und nicht durchgegartes Fleisch, die sonst üblichen Verdächtigen bei einem Ehec-Ausbruch, schließt Lehmacher seitdem eher aus. Die Patienten hätten nur wenig Fleisch gegessen, sagt er.

Jetzt sucht Lehmachers Team nach kontaminiertem Gemüse, weil viele Betroffene offenbar gerne Rohkost essen. Gefunden hat er bisher nichts. Ein Fahndungserfolg auf Salat oder Spinat würde ohnehin wieder auf etwas Ungewöhnliches hindeuten: In Deutschland sei noch nie ein Ehec-Ausbruch auf pflanzliche Lebensmittel zurückgeführt worden, so das Bundesinstitut für Risikobewertung. Theoretisch könnten die Keime über die Gülle infizierter Tiere auf die Felder gelangen - eine Düngung, die in Deutschland allerdings dem Bauernverband zufolge bei Gemüse "eigentlich kein gängiges Verfahren" ist. Genauso gut könne mit Fäkalien infiziertes Wasser der Quell des Übels sein.

Womöglich wird die Wissenschaft das Geheimnis der aktuellen HUS-Welle nie ergründen. Zu einem schweren Ausbruch war es auch im Herbst 2002 gekommen, als 48 Patienten in Süddeutschland erkrankten und sechs starben. Hauptverdächtiger war damals Apfelsaft, weil viele Familien berichtet hatten, frischen selbstgepressten Saft getrunken zu haben. Doch der Verdacht bestätigte sich nicht. Gefunden wurde der Übeltäter nie.

© SZ vom 25.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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