Süddeutsche Zeitung

Stürme und Überschwemmungen:Das Wetter spielt verrückt

Überschwemmungen in Südamerika, Tornados in den USA, Rekordregen in England. Am Ende des Jahres scheint das globale Wetter aus den Fugen geraten zu sein.

Von Christoph Behrens

Rekorde, Chaos und Anomalien gab es 2015 viele am Himmel, doch zum Ende des Jahres steuert das Klimasystem auf ein turbulentes Finale zu. Über dem Pazifik, dem amerikanischen Kontinent und dem Atlantik herrschen teilweise extreme Temperaturen und Druckverhältnisse. Der Überblick:

Südamerika - El Niño schlägt zu

Am gravierendsten ist die Lage derzeit wohl in Paraguay, Brasilien, Argentinien und Uruguay, wo ununterbrochen Regenfälle die Flüsse über die Ufer treten lassen. Mindestens 170 000 Personen mussten in den vergangenen Tagen ihre Häuser verlassen, allein in Paraguay brachten die Behörden 140 000 Menschen in Sicherheit. Im Nordosten Argentiniens flohen 20 000 Einwohner vor den Fluten.

Die Ursache für den Dauerregen liegt Tausende Kilometer westlich. Mitten im Pazifik braut sich seit Monaten ein Rekord-"El Niño" zusammen. Das zyklisch wiederkehrende Wetterphänomen bringt die globalen Luftströme durcheinander und löst dadurch einen Dominoeffekt in der Atmosphäre aus. Hohe Temperaturen im tropischen Pazifik lassen mehr heiße Luft nach oben gelangen, das Risiko für Stürme steigt. Während etwa in Indonesien Dürren und Waldbrände wahrscheinlicher werden, bekommen beide amerikanische Kontinente mehr Regen ab.

Alle Rückkopplungen und Auswirkungen dieses Phänomens sind bislang nicht verstanden, als Faustregel gilt jedoch: Je wärmer die pazifischen Wassertemperaturen, umso stärker und chaotischer sind die Effekte. Und derzeit ist es extrem heiß im Pazifik. Neueste Bilder des Umweltsatelliten "Jason 2" zeigen, dass die Anomalien der Wassertemperatur an den bisher stärksten El Niño von 1997 heranreichen:

"El Niño 2015 hat bereits Wetterchaos rund um die Welt erzeugt", erklärt das Jet Propulsion Laboratory der Nasa. Die Forscher rechnen damit, dass dies noch mehrere Monate lang so weiter geht, und die Turbulenzen sich räumlich ausbreiten - im Frühjahr sollen etwa heftige Regenfälle die USA treffen.

USA - Überschwemmungen im Süden

In Nordamerika geht es auch jetzt bereits rund. Schnee, schwere Niederschläge, Überflutungen und Tornados - seit den Weihnachtsfeiertagen liegen der Südwesten und die geografische Mitte der USA unter einem gewaltigen Tiefdruckgebiet:

Am 27. Dezember fegte etwa ein Tornado der zweithöchsten Stufe mit über 250 Kilometern pro Stunde über Dallas hinweg. Von Texas über Missouri und Illinois bis nach Ohio im Nordosten warnten die Behörden vor Sturzfluten. Die Warnungen vor Überschwemmungen betreffen damit 18 Millionen US-Bürger. Nahe der Stadt Chester in Illinois wird der Mississippi-Fluss nach Einschätzung des nationalen Wetterdienstes am Neujahrstag einen Allzeit-Rekordpegel von 15,2 Meter erreichen. In Oklahoma stand das Wasser des Illinois River einigen Häusern bis zum Dach.

Nicht nur die Stärke der Niederschläge, auch der Zeitpunkt ist historisch gesehen ungewöhnlich. So weist die Washington Post darauf hin, dass schwere Überschwemmungen am Mississippi bislang fast ausschließlich im Frühling oder Sommer auftraten. Da Winterluft in der Regel kälter ist, kann sie nicht so viel Feuchtigkeit aufnehmen und als Niederschlag abgeben. Die Winterflut 2015 könnte daher ein Indiz dafür sein, dass sich die Temperaturmuster infolge des Klimawandels langfristig verschieben.

Großbritannien und Atlantik

Regen sind die Briten eigentlich gewöhnt, aber dieser Monat ist in großen Teilen von England und Wales der nasseste der Geschichte. Bereits in der ersten Adventswoche brachte Sturm "Desmond" Rekordregen. In der Stadt Honister in der Grafschaft Cumbria fiel innerhalb von 24 Stunden 341 Millimeter Niederschlag. Zum Vergleich: Seit dem Elbhochwasser 2002 liegt der Rekord in Deutschland bei 312 Millimetern.

Damit nicht genug für Großbritannien: Einen Tag vor Heiligabend traf das Sturmtief "Eva" die Insel, seit Dienstagnacht bringt Sturm "Frank" weiteren Regen. Das Resultat sind drei schwere Flutwarnungen, 46 "normale" Warnungen und 94 Alarme - die nächstniedrigere Warnstufe - allein in England und Wales. Die schottische Umweltbehörde SEPA warnt praktisch in ganz Schottland vor Überschwemmungen, einzig Edinburgh im Osten ist als größere Stadt ausgenommen.

Schuld am stürmischen Wetter dürfte ein Rekord-Tiefdruckgebiet über dem Nordatlantik sein, das warme Luft ansaugt. Tropisch warme Luft gelangt vom Atlantik bis zum Nordpol. Forscher der US-Atmosphärenbehörde NOAA vermuten, am Nordpol könne es mehr als 30 Grad Celsius wärmer als gewöhnlich werden. Derzeit werden zwei bis vier Grad über dem Gefrierpunkt gemessen. Über dem Baltikum wiederum schaufelt Hoch "Christine" warme Luft nach Norden. Die britischen Inseln sind zwischen diesen Systemen derzeit eingeklemmt: "Tiefs rennen von Westen gegen Hoch Christine an und regnen sich über England ab", sagte Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst.

2015 ist ein Extremjahr

Zwar ist die aktuelle Großwetterlage als Einzelereignis kaum auf den Klimawandel zurückzuführen. Allerdings war das gesamte Jahr von klimatischen Extremen geprägt. Europa und der Nahe Osten verzeichneten beispielsweise eine langanhaltende Dürre im Sommer, in China gab es zwischen Mai und Oktober 35 Mal schwere Regenfälle. Insgesamt ist das Jahr nach Angaben der Weltorganisation für Meteorologie WMO das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen.

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