Studie zur Midlife-Crisis:Tristesse ohne Entrinnen

Ob arm oder reich, ob Nord- oder Südländer - das Tief in der Mitte des Lebens trifft jeden. Mit 70 blühen die meisten dann wieder auf.

Werner Bartens

Die gute Nachricht zuerst: Es geht wieder aufwärts. Meistens zumindest. Die schlechte Nachricht: Entrinnen kann der Midlife-Crisis anscheinend niemand. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die demnächst im Fachblatt Social Science and Medicine erscheint.

Midlife-Crisis; ddp

Niemand kann der Midlife-Crisis davonlaufen.

(Foto: Foto: ddp)

Zwei Wirtschaftswissenschaftler aus den USA und Großbritannien haben für ihre Untersuchung die Daten von mehr als zwei Millionen Menschen aus 80 Nationen ausgewertet. David Blanchflower vom Dartmouth College und Andrew Oswald von der Universität Warwick kommen zu dem Schluss, dass die Krise in der Lebensmitte ein globales Phänomen ist - und dass sie jeden trifft. Ob Mann oder Frau, West oder Ost, arm oder reich, verheiratet oder ledig - niemals ist das Risiko für Depressionen und Unzufriedenheit größer als in den Jahren zwischen 40 und 50.

"Manche Leute leiden natürlich stärker als andere", sagt Andrew Warwick. "Aber wie vielen Menschen es international ähnlich geht, ist schon überraschend. Wir wissen auch nicht, warum dieses Phänomen so konstant ist."

Der britische Ökonom und sein amerikanischer Kollege hatten Umfragen zum Wohlbefinden der Menschen in Westeuropa, den USA, Asien, Afrika, Australien und Lateinamerika analysiert. Die Erhebungen fanden zwischen 1972 und 2006 statt. Aus den Antworten der Befragten, wie zufrieden und glücklich sie waren, errechneten die Wissenschaftler für jede Nation das Durchschnittsalter, in dem die Stimmung auf dem Tiefpunkt war.

Weltweit scheinen sich die Menschen mit etwa 44 Jahren am schlechtesten zu fühlen. Die Deutschen - hier wurden fast 55.000 Menschen befragt - kommen dem miserablen Mittelwert mit 42,9 Jahren sehr nahe.

Mit 70 so glücklich wie mit 20

Ein weiteres überraschendes Ergebnis für die Forscher war, dass sich die Stimmung und das Wohlbefinden im höheren Alter offenbar weltweit auch wieder verbessern. "Viele Menschen sind mit 70 Jahren - wenn sie noch gesund sind - wieder genauso glücklich, wie sie es mit 20 Jahren waren", sagt Oswald.

Aus ihren Daten schließen die Wissenschaftler, dass die internationale Stimmungskurve einen U-förmigen Verlauf hat - mit dem traurigen Tiefpunkt in der Mitte des Lebens. "Im höheren Alter werden die Menschen wieder zufriedener", sagt Bruno Allolio, Hormonexperte an der Universitätsklinik Würzburg. "Das liegt auch daran, dass dann zumeist die Verantwortung sinkt und Gelassenheit einkehrt."

Tristesse ohne Entrinnen

Über die Ursachen dafür, dass die Menschen rund um den Globus eine erstaunlich ähnliche Phase angeben, in der es ihnen schlechtgeht, können Forscher nur spekulieren. Ein Grund könnte sein, dass man sich in mittleren Jahren endgültig eingestehen muss, dass manche Ziele unerreichbar bleiben werden.

Für die bessere Stimmung nach der Midlife-Crisis gibt es andere Erklärungen: Ältere Menschen werden dankbarer dafür, dass sie noch leben und ihren Alltag genießen können. Zudem könnte es sein, dass unzufriedene Menschen früher sterben und die glücklichen Überlebenden die Stimmungskurve im Alter nach oben biegen.

Obwohl die britisch-amerikanische Studie erneut zeigt, dass die Midlife-Crisis ein natürliches Phänomen ist, wurde immer wieder versucht, sie als krankhaft darzustellen. "Dass Frauen seit den sechziger Jahren massenhaft Hormone verschrieben bekommen, ist das erste Beispiel dafür, dass ein ganzer Lebensabschnitt medikalisiert wird", sagt Norbert Schmacke, Gesundheitswissenschaftler an der Universität Bremen.

Medikalisierung bezeichnet den Versuch von Pharmafirmen oder Ärzten, Krankheiten zu erfinden und normale Entwicklungen als therapiebedürftig darzustellen. "Das Bild von der Frau als emotional labiles und hormongetriebenes Wesen wurde gezielt ausgenutzt", sagt Schmacke. "Manche Frauen nehmen die Hormone dann ja unbefristet weiter."

"Die Idee, mit Hormonen das Alter aufhalten zu wollen, ist gescheitert - bei Männern wie bei Frauen", sagt Bruno Allolio. Trotzdem reden fragwürdige Anti-Aging-Propheten auch Männern ein, dass sie in die Wechseljahre kommen würden. Um im Alter langsam absinkende Testosteronspiegel und die natürlicherweise nachlassende Leistungskraft anzuheben, gibt es etliche medizinisch nutzlose Präparate.

"Die Wechseljahre des Mannes existieren nicht", sagt Allolio. Der Zusammenhang zwischen männlichem Befinden und der Höhe des Testosteronspiegels sei äußerst dünn. Kommerziell erfolgreich war die Kampagne bisher auch nicht. "Hier rettet die Männer ausnahmsweise wohl ihr wenig ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein", sagt Norbert Schmacke.

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