Studie kritisiert Geflügelzüchter:Zu viele Antibiotika in der Hähnchenmast

Verstoßen Geflügelmastbetriebe in Deutschland regelmäßig gegen Gesetze? Antibiotika dürfen zwar als Medikament, aber nicht als Wachstumshilfe in der Tierzucht verwendet werden. Denn Bakterien können Resistenzen entwickeln. Einer Studie zufolge kommen sie aber offenbar häufig - und falsch - zum Einsatz.

Antibiotika sind die wichtigsten Waffen im Kampf gegen bakterielle Krankheiten. Doch etliche Keime sind inzwischen resistent gegen die Mittel. Nicht zuletzt deshalb sterben der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge allein in den Ländern der EU jedes Jahr mehr als 25.000 Menschen an Infektionen mit Bakterien.

Studie kritisiert Geflügelzüchter: Ist ein Huhn mit gefährlichen Bakterien infiziert, muss der gesamte Bestand behandelt werden. Je höher die Tierdichte, desto mehr Hühner sind natürlich betroffen - und das Risiko von Antibiotikaresistenzen wächst.

Ist ein Huhn mit gefährlichen Bakterien infiziert, muss der gesamte Bestand behandelt werden. Je höher die Tierdichte, desto mehr Hühner sind natürlich betroffen - und das Risiko von Antibiotikaresistenzen wächst.

(Foto: AP)

Dass immer mehr Keime den Medikamenten widerstehen, liegt vor allem an deren falscher und sogar missbräuchlicher Verwendungen. Und gerade der übermäßige Gebrauch von Antibiotika in der Tierzucht führt zur Resistenz von Krankheitserregern wie Salmonellen, Campylobacter und anderen Keimen, die auch Menschen infizieren können.

Deshalb hatte die Europäische Union 2006 mit der EG-Verordnung Nr. 1831/2003 verboten, Antibiotika zur Wachstumsförderung als Futterzusatzstoffe einzusetzen.

Trotzdem werden in der Hähnchenmast in Deutschland offenbar noch immer viel zu viele antibakterielle Mittel eingesetzt. Nicht um kranke Tiere zu behandeln, was vorgeschrieben ist, sondern als Dopingmittel. Darauf deutet eine bundesweite Studie des nordrhein-westfälischen Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz hin, wie der Hörfunksender NDR Info berichtet.

Demnach wurden in 83 Prozent der untersuchten Mastdurchgänge - das bedeutet vom Schlüpfen bis zur Schlachtung - Mittel gegen Bakterien eingesetzt. In mehr als der Hälfte der untersuchten Fälle hätten Mäster über einen Zeitraum von nur ein bis zwei Tagen zusammen mit dem Futter bis zu acht verschiedene Antibiotika verabreicht.

Das aber ist verboten, da es sich um eine Unterdosierung handelt, die die Wahrscheinlichkeit der Resistenzbildung erhöht. Im Falle einer Infektion muss vielmehr drei bis sechsTage lang behandelt werden. Und in Betrieben mit hoher Tierdichte bekommen nicht nur die erkrankten Hühner Medikamente, sondern der ganze Bestand.

Die Überwachungsbehörden hatten die Daten von 962 Hähnchenmastdurchgängen aus 182 Betrieben im ersten Halbjahr 2011 ausgewertet. Das Verbraucherschutzministerium in Nordrhein-Westfalen wollte die Untersuchung dem NDR zufolge noch nicht kommentieren, da die Auswertung noch nicht beendet sei. Wie der Sender, dem die Studie in Auszügen vorliegt, feststellt, legten die Ergebnisse aber den Schluss nahe, dass Mäster Antibiotika trotz Verbots weiterhin als Wachstumsdoping einsetzen.

Einen geringeren Antibiotika-Einsatz konnte die Behörde bei kleinen Betrieben mit weniger als 20.000 Tieren feststellen. Bekannt ist auch, dass Hühner auf Öko-Bauernhöfen seltener mit den Medikamenten behandelt werden müssen.

NDR Info berichtet, dass das Ministerium aufgrund der Studie ein weiteres Problem sieht: die Frage, ob für Tiere eine Schlachterlaubnis erteilt werden darf, bei denen zum Zeitpunkt der Schlachtung noch ein legal vorhandener Rückstand der Antibiotika nachgewiesen wird.

Bereits 2010 hatte das Robert Koch Institut (RKI) festgestellt, dass in fast jeder dritten Probe von tiefgekühltem Mastgeflügel multiresistente Bakterien (MRSA) im Auftauwasser vorkommen. Und eine Untersuchung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zeigte dieses Jahr, dass 42,2 Prozent der Putenfleischproben und 22,3 Prozent der Hähnchenfleischproben mit MRSA belastet sind.

Die aktuelle Studie hatte Nordrhein-Westfalens Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) in Auftrag gegeben. Eigentlich sollte eine solche Untersuchung gar nicht notwendig sein. Schließlich existiert seit Januar 2011 ein elektronisches Meldesystem beim Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), das ermöglichen soll, die Folgen des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung besser abzuschätzen und Missbrauch vorzubeugen.

Pharmazeutische Unternehmer und Großhändler melden seitdem die jährlich abgegebene Gesamtmenge von Arzneimitteln. Dabei müssen sie die ersten beiden Postleitzahlen der Anschrift des behandelnden Tierarztes angeben.

Das gilt jedoch nicht für "Arzneimittel, die ausschließlich für Geflügel zugelassen sind" - und zwar "zum Schutz personenbezogener Daten", wie die Bundesregierung erklärt. Es gebe in Deutschland schließlich nur wenige ausschließlich auf die Behandlung von Geflügel spezialisierte Tierärzte. Und diese wären bereits durch die Angabe der ersten beiden Ziffern der Postleitzahl, insbesondere in schwach besiedelten Gebieten und in Kombination mit dem Erhalt ausschließlich für Geflügel zugelassener Arzneimittel, eindeutig zu identifizieren, wie ein Regierungssprecher im Juli NRD Info erklärt hatte.

Dem haben allerdings sowohl der Beauftragte der Bundesregierung für den Datenschutz, Peter Schaar, als auch sein schleswig-holsteinischer Kollege Thilo Weichert widersprochen.

Der agrarpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, Friedrich Ostendorff, hatte im Juli bereits Lobbyinteressen hinter der Ausnahme für Geflügel vermutet: "Ich bin lange im Geschäft und ich weiß, warum auf einmal in so einer Verordnung alle Tierarten erfasst sind bis auf Geflügel", sagte er dem NDR. "Da weiß ich sofort, hier haben Lobbyinteressen gewirkt."

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