„Nur eines weiß ich: Wenn die Grenze zwischen innen und außen verschwimmt, dann muss man aufpassen, dass damit nicht auch der Parlamentarismus weggespült wird. Im Gegenteil: Ich glaube – ich weiß –, Sie, die Parlamentarier, müssen die Fährleute zwischen den beiden Ufern von innen und außen sein und müssen es bleiben.“ Diese Sätze stammen aus einer Rede von 2017, die Frank-Walter Steinmeier, damals Außenminister, vor dem Bundestag gehalten hat. Sind sie für Sie auf Anhieb verständlich? Wenn nicht, könnte das damit zusammenhängen, dass Steinmeier diese Rede im Januar gehalten hat, an einem deutlich kühleren Tag als heute.
Denn an warmen Tagen drücken sich Politikerinnen und Politiker einfacher aus. Das legt eine Studie nahe, die gerade im Wissenschaftsjournal iScience erschienen ist. Dass sich Umweltfaktoren auf die Denkleistung auswirken, haben Forscher immer wieder festgestellt; womöglich spiegeln sich Klimaveränderungen in der Menschheitsgeschichte sogar in der Gehirngröße. Jetzt legen parlamentarische Reden nahe: Bei Hitze denkt sich’s schlechter. Der Demografieforscher Risto Conte Keivabu vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock und der Politologe Tobias Widmann von der Aarhus University haben über sieben Millionen solcher Reden aus den USA, dem Vereinigten Königreich, Österreich, den Niederlanden, Neuseeland, Dänemark, Spanien und Deutschland analysiert.
Um festzustellen, wie komplex die Reden sprachlich waren, nutzten die Forscher eine Formel, die ursprünglich zum Bewerten von geschriebenen Texten entwickelt worden ist: den Flesch-Kincaid-Lesbarkeitsindex. Mit ihm lässt sich ein Wert für die Verständlichkeit ermitteln, der die durchschnittliche Satz- und Wortlänge berücksichtigt. Und Letztere sei geringfügig, aber signifikant kürzer an heißen Tagen und die Reden somit sprachlich weniger komplex, so die Studie.
Bei Hitze fließt womöglich mehr Energie in die Temperaturregulierung
Die Forscher gingen davon aus, dass die Komfortzone bei Temperaturen von zwölf bis 18 Grad Celsius liegt. Sie verglichen Reden, die an kühleren sowie an heißeren Tagen gehalten wurden, mit jenen unter diesen idealen Bedingungen. Und sie stellten fest: Bei Hitze, vor allem ab 24 Grad Celsius, verwendeten die Redner kürzere Wörter.
Und dabei spielt auch das Alter der Redner eine Rolle. Das bemerkten die Forscher bei der Analyse der Reden im Deutschen Bundestag. Zwar wirkten sich hohe Temperaturen bei älteren Personen nicht stärker auf die Sprache aus als bei jüngeren. Doch die Älteren waren empfindlicher: Ihnen setzten schon Temperaturen ab 21 Grad Celsius sprachlich zu, während der Effekt bei den jüngeren Politikerinnen und Politikern erst bei mehr als 24 Grad Celsius auftrat.
Woran es liegt, dass die Sprache an heißen Tagen einfacher wird, haben die Forscher nicht untersucht. Denkbar sei aber, dass bei Hitze der Körper mehr Energie benötigt, um seine Temperatur zu regeln, oder dass der Schlaf unter ihr leidet – zulasten der Denkleistung.
Falls Sie diesen Text gut verständlich fanden: Geschrieben wurde er übrigens bei Außentemperaturen von rund 17 Grad Celsius.