Streit um Vogelgrippe-Studien:Wo die Freiheit der Forschung aufhört

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Das Vogelgrippe-Virus H5N1 könnte sich zu einem ansteckenden Supervirus entwickeln, mit lebensgefährlichen Folgen für Millionen Menschen. Das haben neueste Untersuchungen ergeben. Veröffentlicht werden dürfen diese Experimente aber nicht - aus Furcht, dieses Wissen könnte missbraucht werden.

Katrin Blawat

Wie weit reicht die Freiheit der Forschung? Sollen - oder dürfen - Wissenschaftler alles ausprobieren, was technisch möglich ist, auch auf die Gefahr hin, dass Verbrecher ihre Erkenntnisse verwenden? Zurzeit sind es Virologen, die darüber diskutieren. Es geht um künstlich veränderte Erreger der Vogelgrippe in einem Hochsicherheitslabor des Medizinischen Zentrums der Erasmus-Universität Rotterdam.

Der Virologe Ron Fouchier hatte in seinen Studien ein mutiertes H5N1-Virus geschaffen, das sich über die Atemluft übertrug und tödlich-ansteckend wirkte. Veröffentlichen darf er seine Erkenntnisse jedoch nicht. (Foto: CDC/Cynthia Goldsmith/Jackie Katz)

Das in der Natur bislang vorkommende H5N1-Virus ist für Menschen zwar gefährlich, sechs von zehn Infektionen führen zum Tod. Bislang aber sprangen die natürlichen Erreger kaum von Mensch zu Mensch. Anderen Influenzaviren, etwa dem Erreger der Schweinegrippe, fällt das viel leichter. Nun hat der Virologe Ron Fouchier das H5N1-Virus so verändert, dass es nicht nur tödlich, sondern auch hoch ansteckend ist. Über seine Versuche hat Fouchier bereits auf einer öffentlichen Konferenz berichtet - publizieren darf er sie derzeit jedoch nicht.

Der Virologe wollte klären, was Seuchenexperten seit Jahren umtreibt: Könnten sich die Erreger auch ohne das gezielte Eingreifen des Menschen in ein "Supervirus" verwandeln, das Millionen Menschen töten könnte? "Wir haben entdeckt, dass dies möglich ist, und zwar einfacher, als wir bislang dachten", heißt es nun auf der Internetseite von Fouchiers Institut. "Theoretisch kann so etwas auch in der Natur passieren", bestätigt Hans-Dieter Klenk, Influenza-Experte an der Universität Marburg.

Eine Handvoll Veränderungen im Erbgut der Viren genügte, um sie sowohl tödlich als auch extrem ansteckend zu machen - auch wenn bei den Versuchen bislang nur Frettchen infiziert wurden. Diese Säugetiere haben sich seit Jahrzehnten in der Influenzaforschung als Modelltiere bewährt. Zunächst veränderten die Forscher das Vogelgrippevirus an drei Stellen gentechnisch so, dass es sich auch in den Frettchen vermehren konnte. Vereinzelt seien ähnliche Mutationen auch schon in der Natur aufgetreten, sagt der Virologe Klenk. Doch reichten diese Veränderungen noch nicht aus, damit sich das Virus über die Atemluft von Tier zu Tier ausbreiten konnte. Dazu infizierten die Rotterdamer Forscher gesunde Frettchen mit den Virus-Varianten von erkrankten Artgenossen. Diese Übertragung wiederholte Fouchier zehnmal. Dann hatte er ein Virus geschaffen, das sich über die Atemluft übertrug - wie jedes saisonale Grippevirus. Nur dass die mutierten Vogelgrippeviren sieben von zehn Frettchen töteten.

So zumindest schilderte es Fouchier im September auf einer Konferenz in Malta, wie seine Kollegen Klenk und Gülsah Gabriel vom Hamburger Heinrich-Pette-Institut, die die Tagung mit organisiert hat, bestätigen. "Das ist eine ernstzunehmende Arbeit aus einer seriösen Forschergruppe", sagt Klenk über die Studie aus Rotterdam. Sie habe auf der Konferenz großes Interesse geweckt.

Nun ist dieses Interesse auch außerhalb der Gemeinde der Influenzaforscher gestiegen: weil das amerikanische Gremium für Biosicherheit (NSABB) die Veröffentlichung der Versuche im Fachmagazin Science blockiert. Terroristen könnten das Wissen nutzen, um die Viren zu Biowaffen umzubauen, befürchtet das Gremium. Ebenso zurückgehalten wird eine Studie von Yoshihiro Kawaoka, der an der University of Wisconsin Ähnliches erreicht haben soll wie Fouchier. Vergleichbare Bedenken wurden schon einmal vor sechs Jahren laut, als Forscher um den Amerikaner Jeffrey Taubenberger das Erbgut des Erregers der Spanischen Grippe im Labor zusammengebastelt hatten. Diese Influenza-Welle kostete vor gut 90 Jahren mehr als 20 Millionen Menschen das Leben.

Zu den Studien von Fouchier und Kawaoka erarbeite das NSABB derzeit eine Stellungnahme, sagt dessen Sprecherin Jennifer Haliski. Vorher wolle sie sich nicht äußern. Dauerhaft verbieten kann das Gremium die Veröffentlichungen jedoch nicht. Fouchier schweigt mittlerweile gegenüber der Presse, "weil er das Gremium nicht beeinflussen will", wie seine Assistentin sagt, und auch Kawaoka äußert sich nicht.

Virologen sind geteilter Meinung über die Experimente. Klenk warnt vor allzu schnellen Schlussfolgerungen: "Frettchen sind zwar sehr gute Modelltiere. Trotzdem ist damit noch nicht gesagt, dass sich das Virus im Menschen genauso verhält." Zudem können die Versuche eine weitere wichtige Frage nicht klären: Würde ein mutiertes Vogelgrippevirus wirklich zu einer millionenfach tötenden Pandemie führen? Ein Virus, das sehr schnell seine Opfer tötet, beraubt sich seiner eigenen Wirte. "Möglicherweise würde eine Pandemie recht schnell wieder stoppen, wenn das Virus zum Beispiel die Hälfte der Infizierten innerhalb kurzer Zeit tötet", sagt Klenk.

Thomas Inglesby, Direktor des Center for Biosecurity der University of Pittsburgh und NSABB-Mitglied, hält es dagegen für "keine gute Idee, ein tödliches Virus in ein tödlich-ansteckendes Virus zu verwandeln", zitiert ihn die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. "Und es ist ebenfalls keine gute Idee, das dann auch noch zu veröffentlichen."

Andere Experten widersprechen dem. "Diese Studien sind äußerst wichtig, zum einen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, und zum anderen können die daraus resultierenden Ergebnisse Informationen für die Verbesserung des öffentlichen Gesundheitswesens beinhalten", sagt die Hamburger Vogelgrippe-Expertin Gabriel. "Ich halte Versuche wie die von Fouchier für notwendig, um zu wissen, wie und warum sich das H5N1-Virus verändert", argumentiert auch Klenk.

Sein Marburger Kollege Stephan Becker ergänzt: "Das Problem ist nicht, dass Forscher solche Experimente machen, sondern dass sich die Viren auf die gezeigte Weise verändern. Wir müssen lernen, warum sie das tun. Andernfalls können die Folgen für die öffentliche Gesundheit dramatisch sein, wenn es wirklich zu einem Ausbruch kommt." Noch mehr Unverständnis ruft bei einigen Virologen die zurückgehaltene Veröffentlichung hervor. "Ich finde es müßig, jetzt noch darüber zu diskutieren", sagt Becker. Schließlich habe Fouchier seine Arbeit bereits vor Monaten öffentlich präsentiert - und auch genügend Informationen geliefert, damit in der Genetik versierte Menschen sie nachmachen könnten, argumentieren Klenk und Becker. Unklar ist noch, wie detailliert die bei Science eingereichten Manuskripte sind. Üblicherweise werden die dort veröffentlichten Studien so knapp dargestellt, dass die verwendeten Techniken nur grob geschildert werden. "Soweit ich es beurteilen kann, sind die von Fouchier und Kawaoka angewandten Methoden in der virologischen Forschung in hoch spezialisierten Laboren bekannt und etabliert", sagt Gabriel.

Dabei bestreitet keiner der Forscher, dass die Erkenntnisse über die veränderten Viren missbraucht werden könnten. "Wenn die Ergebnisse nicht veröffentlicht werden, weckt das erst recht das Interesse an ihnen", sagt Klenk. Bestätigt wird dies durch eine gerade im Fachblatt Virology erschienene Studie (online). Darin berichten Forscher um Li-Mei Chen von der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC in Atlanta von ähnlichen Versuchen, wie sie Fouchier gemacht hat. Allerdings waren die mutierten Vogelgrippeviren der CDC-Forscher etwas weniger ansteckend als die im Rotterdamer Labor. Das Team um Chen konnte seine Studie ohne Aufregung veröffentlichen.

© SZ vom 03.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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