Archäologie:Warum Menschen seit 5000 Jahren Eier bemalen

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Die Eierschale speichert für die Landschaft typische Isotope - so konnten Forscher nachweisen, welch weite Wege die Straußeneier bereits zurückgelegt hatten. (Foto: Tamar Hodos/dpa)

Seit der Steinzeit verzieren Menschen Straußeneier. Die Kunstobjekte dienten als wertvolle Statussymbole - und künden vom Beginn einer globalisierten Welt.

Von Hubert Filser

Auf den ersten Blick sind es einfach nur fünf prächtig dekorierte Eier. Ihre Oberfläche zieren Pflanzenornamente, geometrische Muster, Tiere und sogar eine Schar Soldaten mit Speeren. Vier der fünf Straußeneier sind nicht nur bemalt, sondern zudem aufwendig graviert, mächtige Greife und ein Widderkopf mit gekrümmten Hörnern sind in die Schale eingearbeitet. Archäologen hatten die Eier bereits im Jahr 1839 in Mittelitalien gefunden, als luxuriöse Beigabe in dem etruskischen Grab in Vulci.

Die vielleicht schönsten verzierten, vollständig erhaltenen Straußeneier der Welt sind nicht nur frühe, 2600 Jahre alte Meisterwerke der Kunst. Sie verweisen auch auf die symbolische Bedeutung derartiger Objekte in der Menschheitsgeschichte. Und sie künden vom Beginn einer globalisierten Welt, von weit verzweigten Handelsrouten, die sich in einer Zeit etablierten, als die Menschen sesshaft wurden.

Die Tradition, Eier zu bemalen, gab es schon lange vor dem christlichen Osterritual

Heute finden sich die etruskischen Eier im British Museum in London, neben gut zwanzig weiteren, teilweise gut erhaltenen Exemplaren aus dem Mittelmeerraum, Nordafrika und dem Nahen Osten. Ihre Geheimnisse haben Archäologen der Universitäten Bristol und Durham nun in einer im Fachmagazin Antiquity veröffentlichten Studie gelüftet.

Die Tradition, Eier zu verzieren, begleitet die Menschheit schon erstaunlich lange, weit bevor Christen das Ritual für ihr wichtigstes Fest entdeckten. "Eier sind in vielen Kulturen ein Symbol für Fruchtbarkeit und Wiedergeburt", sagt Tamar Hodos, Archäologin an der Universität Bristol. Die ältesten, verzierten Eier fanden Archäologen nahe der Westküste Südafrikas, unter einem mächtigen Felsüberhang namens Diepkloof. Es waren bunte Bruchstücke von Straußeneiern, 60 000 Jahre alt, in den Farben blau, orange, braun, schwarz und einem leuchtenden Rotton. Zwar könnten einige dieser Farben zufällig entstanden sein, so könnte die Hitze eines nahen Lagerfeuers die Schale verfärbt haben. Für Rot und Blau gibt es jedoch keine natürliche Erklärung, ebenso wenig für die eingravierten geometrischen Muster, kreisförmig ums Ei führende Linien und Bänder sowie rechtwinklige Schraffuren.

Bemerkenswerterweise entstanden die Straußeneier-Muster in einer Phase der Menschheitsgeschichte, in der sich allgemein symbolisches Denken entwickelte. Zeichen und Ritzungen finden sich auf Ockerstücken, Muscheln - und eben auf den Straußeneiern. Deren Schalen sind ziemlich hart, die Menschen mussten kräftig mit scharfen Feuersteinklingen ritzen, um Linien zu hinterlassen.

Insgesamt fanden Archäologen der Universität Bordeaux 270 verzierte Bruchstücke in verschiedenen Schichten der südafrikanischen Höhle. Dies deutet auf eine Jahrtausende andauernde Tradition hin, berichtet Pierre-Jean Texier im Fachmagazin PNAS. Er sieht hinter den Gravuren eine klare Absicht, es seien symbolische Darstellungen. "Die Linien werden durch Schraffierung rechtwinklig oder schräg gekreuzt. Durch die Wiederholung dieses Motivs teilten sich die frühen Menschen etwas mit", so Texier. Er vermutet, dass die Gravuren auf den Straußeneiern entweder eine Art persönliche Signatur des Besitzers waren oder eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einem sozialen Netzwerk anzeigte.

Strauße sind aggressiv, sie können menschlichen Dieben schwere Wunden zufügen

Straußeneier waren schon ohne kunstvolle Verzierungen wertvoll, schwer zu ergattern. Die Menschen mussten sie aus den Nestern stehlen - ein Wagnis, denn Strauße können sehr aggressiv werden und Menschen mit ihrem harten Schnabel tiefe Wunden zufügen. Dennoch waren die Eier begehrt. Die Buschmänner Südafrikas nutzten sie als Wasserbehälter, mit deren Hilfe sie in neue Lebensräume vordringen konnten, etwa in die Kalahari-Wüste. Dafür legten die Jäger an ihren Wegen gezielt Wasservorräte an. Es gibt Hinweise, dass die Menschen solche Eier mehrere Jahre im Einsatz hatten.

Immer wieder finden sich Hinweise, dass Straußeneier in prähistorischen Zeiten genutzt wurden, zunächst in anderen Regionen Afrikas, wo die Tiere heimisch waren, später dann auch im Vorderen Orient. Ab dem dritten Jahrtausend vor Christus tauchen die Straußeneier im Mittelmeerraum auf, in Mittelitalien, auf Ibiza und sogar in einem Grabhügel im heutigen Belgien. So markieren sie eine fundamentale Entwicklung der Menschheit: Sie zeugen vom Beginn einer globalisierten Welt, in der begehrte Luxusgüter und Kultgegenstände wie die Straußeneier über Tausende Kilometer gehandelt wurden.

Im Britischen Museum in London sind zahlreiche der Straußeneier aus dieser Zeit bewahrt, darunter Exemplare aus Alexandria oder Naukratis in Ägypten, aus Italien und der legendären Stadt Ninive. Das älteste Straußenei der Sammlung ist 5000 Jahre alt und stammt aus einem der Königsgräber von Ur, einer der ältesten Städte der Menschheit. Dort fanden Archäologen nicht nur Schalen von Straußeneiern, die an den Rändern mosaikartig verziert waren, sondern auch jeweils ein Objekt aus Gold und eines aus Silber, die exakt die Form eines Straußeneis besaßen. Das goldene Ei war zudem an der Öffnung aufwendig mit Lapislazuli, rotem Kalkstein, Muscheln und Bitumen verziert.

Die Eier waren bislang eher kunsthistorisch beschrieben worden, nun haben die Archäologen aus Bristol und Durham sie erstmals naturwissenschaftlich untersucht. Die Forscher scannten die Eier hochaufgelöst unter einem Mikroskop, um kleinste Bearbeitungsspuren zu erkennen. Zudem nahmen sie von beschädigten Eiern Proben, die sie mithilfe von Isotopenanalysen hinsichtlich ihrer Herkunft untersuchten. Die Idee dahinter: Die Eierschale speichert für eine Landschaft charakteristische Isotope, die das Muttertier über die Nahrung aufgenommen hat. Die Signaturen von Strontium oder Sauerstoff verraten dann, ob ein Ei eher aus einer trockenen, wüstenartigen Umgebung stammt oder aus feuchteren Regionen wie dem Niltal.

Den längsten Weg legte ein Ei aus Belgien zurück, das ursprünglich aus der Levante stammt

Die Ergebnisse waren verblüffend, zeigten sie doch, dass die Eier bisweilen über weite Strecken gehandelt wurden. Rekordhalter ist das Ei aus Belgien, das ursprünglich aus der Levante stammte, der östlichsten Region des Mittelmeers. "Es muss damals im Mittelmeerraum einen frühen globalen Handel gegeben haben", sagt Tamar Hodos, Archäologin an der Universität Bristol. "Die Eier aus Vulci etwa stammen sehr wahrscheinlich aus dem östlichen Mittelmeerraum, entweder aus der Nilregion oder der Levante. Die Regionen weisen ähnliche Umweltsignaturen auf."

Dazu passen auch Funde aus anderen Ausgrabungen. Der ägyptische Hafenort Marsa Matruh etwa war vor rund 3400 Jahren ein wichtiger Warenumschlagplatz für Güter aus dem Nildelta in Richtung Ägäis, auch für Straußeneier. Auf einem Frachtkahn, dem sogenannten Schiff von Uluburun, das im 14. Jahrhundert v. Christus vor der Südwestküste der Türkei sank, fanden Archäologen undekorierte Straußeneier als Ladung.

Die Isotopendaten zeigen zudem, dass es beim Handel der wertvollen Güter schon früh Konkurrenzangebote gab. Die Eliten erwarben nämlich Eier aus verschiedenen Herkunftsorten, auch wenn es vor Ort Straußeneier zu finden gab. Selbst an Fundorten in der Levante, wo die Tiere heimisch waren, entdeckten Forscher bei Ausgrabungen Eier aus Nordafrika. "Das war sehr überraschend für uns", sagt Hodos. "Das gesamte System der Produktion dekorierter Straußeneier war sehr viel komplexer, als wir es uns vorgestellt hatten."

Die Straußeneier zeichnen ein Bild der frühen Globalisierung im Mittelmeerraum

Wie wertvoll die Objekte einst waren, zeigen noch zwei andere Erkenntnisse der Antiqutiy-Studie. "Wir glauben, dass die Eier über einen längeren Zeitraum gelagert werden müssen, bevor sie zum Schnitzen bereit sind", sagt Hodos. Das bedeutet, dass jemand die Vögel verfolgen, ihnen die Eier stehlen und an einen sicheren Ort bringen musste, um sie für viele Monate zu lagern. Dies stellte eine Investition von Arbeit und Zeit dar und trug sicher zum Wert der fertigen Objekte bei.

Die Analyse der Forscher zeigte außerdem, dass die Kunstwerke von wahren Spezialisten gefertigt wurden. Erst polierten sie die Schalen auf verschiedene Arten. Die Motive selbst schabten, glätteten, schliffen und pickten sie dann in die Oberflächen. "Wir konnten sehen, in welcher Reihenfolge die Motive entstanden, und sogar Markierungen und Einschnitte identifizieren, die den Künstlern halfen, die Verzierung im Verhältnis zur Krümmung des Eis zu halten", sagt Hodos.

Über die Kunsthandwerker selbst konnten die Forscher kaum etwas herausfinden. Verzierte Straußeneier wie die Vulci-Exemplare etwa könnten sowohl von lokalen etruskischen Handwerkern verziert worden sein, die mit den Methoden und Stilen des östlichen Mittelmeerraums vertraut waren. Oder auch von eingewanderten phönizischen Handwerkern. Möglicherweise mischten sich fremde Traditionen auch mit einheimischen Ideen. "Es ist eine Zeit der Globalisierung im Mittelmeerraum, in der viele Kulturen ähnliche Dinge verwenden, sie aber auch in einer Weise nutzen, die ihre eigenen Gesellschaften, Gewohnheiten und Traditionen anspricht", sagt Hodos. Und mittendrin in dieser Welt waren die exotischen Straußeneier begehrte Luxusobjekte, die es den Eliten erlaubten, ihren Status sichtbar zu demonstrieren.

© SZ vom 11.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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