Strafjustiz:Richten mit zweierlei Maß

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Die äußeren Faktoren eines Angeklagten sollten egal sein, sind es aber oft nicht. (Foto: dpa)

Die klassische Justitia trägt eine Binde vor den Augen, um unvoreingenommen zu entscheiden. US-Richter nicht: Sie verurteilen Ausländer zu höheren Strafen als einheimische Bürger.

Von Kim Björn Becker

Es hat einen Grund, warum Justitia, die Personifikation der Gerechtigkeit, stets eine Augenbinde trägt: Wer über einen anderen zu urteilen hat, dem soll es egal sein, was für ein Mensch vor ihm steht - entscheidend sind allein die Argumente, die für oder gegen den Angeklagten sprechen. So weit die Vorstellung. Dass es in der Realität oft ein wenig anders aussieht, wird kaum jemand bezweifeln. In den vergangenen Jahren haben die Sozialwissenschaften mehrmals den Verdacht bestätigt, dass beispielsweise die Richter im Justizsystem der USA nicht immer vorurteilsfrei waren. Schwarze und Lateinamerikaner haben es zum Beispiel tendenziell schwerer als Weiße auf der Anklagebank.

Nun hat ein Team von amerikanischen Soziologen um Michael Light von der Purdue-Universität herausgefunden, dass neben der Hautfarbe vor allem die Staatsangehörigkeit eine wesentliche Rolle dabei spielt, ob ein Angeklagter den Gerichtssaal in den USA als freier Mann verlassen kann oder nicht - zumindest in der statistischen Betrachtung einer Vielzahl von Fällen.

Light und Kollegen haben die Daten von mehr als 54 000 Verfahren ausgewertet, die im Jahr 2008 vor amerikanischen Bundesgerichten verhandelt worden sind. In 88 Prozent aller Fälle wurden die Angeklagten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Inhaftierungsquote der Angeklagten mit US-Staatsbürgerschaft liegt mit 85 Prozent unter diesem Mittelwert, Ausländer kommen hingegen in 96 Prozent aller Fälle hinter Gitter. Um die Daten vergleichbar zu machen, haben die Autoren die Straftatbestände der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts herausgerechnet.

Allerdings sagt dieser Wert noch nicht allzu viel über eine tatsächliche Ungleichbehandlung aus - es wäre schließlich auch möglich, dass Immigranten tatsächlich häufiger Straftaten begehen als US-Bürger und darum häufiger hinter Gitter müssen. Um Störfaktoren wie diese aus den Daten herauszufiltern, haben Light und Kollegen die Zahlen einer Regressionsrechnung unterzogen.

Für Nichtamerikaner ergibt sich ein düsteres Bild: Selbst nach Abzug einer Vielzahl von möglichen Erklärungen haben Ausländer im Vergleich zu US-Bürgern eine vierfach höhere Wahrscheinlichkeit, in einem Strafprozess zu einer Gefängnisstrafe verurteilt zu werden - die Staatsangehörigkeit überstrahlt dabei sogar die üblichen Faktoren wie Ethnie, Geschlecht, Alter und Bildung.

© SZ vom 06.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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