Süddeutsche Zeitung

Zoologie:Die lange Lust der Wanzen

Manche Insektenarten paaren sich bis zu zehn Tage am Stück. Biologen rätseln, warum das so lange dauert.

Von Katrin Blawat

Was lässt sich in zehn Tagen nicht alles schaffen. Man könnte Haus und Garten in Ordnung bringen, in den Urlaub fahren oder sich an Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" heranwagen. Für die Südliche Stinkwanze ist das alles nichts. Sie weiß mit ihrer Zeit Besseres anzufangen: Eine einzige Paarung dieser Insekten dauert manchmal ganze zehn Tage. Kaum weniger ausdauernd ist die Gemeine Feuerwanze, die in einigen Fällen immerhin siebeneinhalb Tage am Stück kopuliert. Allerdings brauchen die beiden Wanzen nicht immer so lang, manchmal ist auch alles in wenigen Minuten erledigt.

Diese schwankenden Gewohnheiten geben Biologen Rätsel auf. Wer oder was entscheidet darüber, ob eine Paarung der promisken Insekten nur Minuten oder mehr als eine Woche dauert? Verspricht eine längere Kopulation einen größeren Fortpflanzungserfolg? Antworten darauf erhoffte sich ein Team um Matthew Sears von der Elon University in North Carolina von der sogenannten Kürbiswanze (Behavioural Processes). Deren Paarungen dauern zwischen zwei Minuten und 23 Stunden. Letzteres erscheint zwar immer noch kurz, verglichen mit manch anderen Wanzen. Doch es genügt, um die Insekten vor die gleichen Probleme zu stellen, die alle diese Tiere während einer extrem langen Kopulation haben. Während der Paarung sind die zusammenhängenden Männchen und Weibchen leichte Beute für potenzielle Räuber. Und wenn ein Verhalten derart bedeutende Nachteile hat, vermuten Biologen stets, dass es auf der anderen Seite auch erhebliche Vorteile mit sich bringen muss, sonst wäre das Verhalten im Lauf der Evolution irgendwann verschwunden.

Auf die Zahl der Eier hatte die Paarungszeit keinen Einfluss

Im Fall der Kürbiswanze besteht der Nutzen der verlängerten Paarung überraschenderweise jedoch nicht in einem gesteigerten Fortpflanzungserfolg, wie die Studie ergab. Die Forscher ermittelten die Kopulationszeiten mehrerer Wanzenpaare und die resultierende Anzahl der Eier. Im Mittel dauerte eine Paarung knapp vier Stunden, allerdings gab es große Schwankungen zwischen zwei Minuten und 23 Stunden. Die Anzahl der produzierten Eier hing davon jedoch nicht ab. Entscheidend war allein der Ernährungszustand des Weibchens, wohlgenährte Tiere produzierten deutlich mehr Eier als hungernde.

Was spricht dann aus Wanzensicht für eine lange Kopulation? Möglicherweise schützt sich das Weibchen auf diese Weise vor Übergriffen weiterer Männchen - beide Geschlechter dieser Insekten sind sehr promisk. Mehrmals beobachteten Sears und seine Kollegen, wie ein Weibchen ein paarungswilliges Männchen abschüttelte oder vor ihm flüchtete. Vor diesem Hintergrund erscheint es denkbar, dass Wanzenweibchen lieber eine extrem lange Kopulation mit all ihren Gefahren in Kauf nehmen, anstatt sich mit verschiedenen Männchen kürzer zu paaren.

Umgekehrt könnte auch das Männchen ein Interesse an einer langen Kopulation haben. Solange es selbst am Zug ist, haben Konkurrenten schließlich keine Chance. Um diese möglichen Erklärungen weiter zu untersuchen, wäre es wichtig zu wissen, welcher der beiden Partner die Kopulation jeweils beendete, schreiben die Autoren. Die Kürbiswanze wird sich also wohl noch häufiger im Dienst der Wissenschaft bei ihren Paarungen beobachten lassen müssen.

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