Medizin:Weniger schlecht sterben

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Glückliches Leben: Der Tod hat bitte zu warten (Foto: Gemma Ferrando/imago/Westend61)

Ohne Tod kein Leben: Warum der Blick auf die Biologie die Angst vor dem eigenen Sterben etwas mildern kann.

Kommentar von Felix Hütten

Sterben ist nicht schön. Das ist klar, und die Medizin als Forschungs- wie Behandlungsdisziplin tut wohl alles dafür, die Endlichkeit der Menschen wenigstens ein bisschen hinauszuschieben. Das ist gut und richtig, und man kann als Mensch und Patient nur dankbar sein, wenn einem Ressourcen wie ein modernes Krankenhaus oder evidenzbasierte Forschung als Alternative zum Nichtstun oder zu Schwurbelheilern zur Verfügung stehen.

Der Tod also, so viel steht fest, hat doch bitte eigentlich noch ein bisschen zu warten, das ist im Grunde die Kernidee der Gesundheitsversorgung. Einerseits.

Andererseits sind Altern und Sterben nun mal Teil eines jeden Lebens, interessanterweise nicht erst mit Mitte 90, sondern von Beginn an. Ohne Tod, das ist die Perspektive der Biomedizin, ist Leben gar nicht möglich. So ist etwa der programmierte Zelltod, die Apoptose, ein zentraler Bestandteil der Embryogenese, also der Entstehung eines Kindes im Mutterleib. Der Körper formt sich - wie eine Sandburg, die man zunächst grob aufschüttet und dann immer weiter verfeinert. Hier noch eine Muschel hin, dort noch ein kleines Löchlein rein. Die Natur nutzt dazu nicht Eimer und Schaufel, sondern das Prinzip Zellwachstum und Zelltod.

Die Vorstellung, dass der eigene Tod den Regeln der Natur folgt, kann trösten

Auch später, mitten im Leben, sortiert der Körper Zellen aus, die kaputt sind, die ihm lästig werden oder gar unheimlich. Bei der Zellteilung entstehen immer wieder fehlerhafte Kopien, und die müssen in den Müll, bevor sie sich weiter vermehren zu einem Haufen und damit zur Bedrohung werden. Krebs, wenn man so will, ist ein Versagen der Todesmechanismen des Körpers. Ohne Tod also kein Leben.

Auch aus Sicht der Evolution wäre der Fortbestand aller Lebewesen ohne den Tod wohl undenkbar. Die Erde würde aus allen Nähten platzen, vor allem aber könnten Mutationen im Erbgut von Tieren oder Pflanzen, die eigentlich zum Tod führen, weitergetragen werden. Eine Anpassung an die Umwelt gelingt ohne Sterben also nicht. Ohne Tod kein Leben.

Das alles klingt zugebenermaßen theoretisch ganz gut und praktisch ein bisschen ernüchternd, denn was hilft einem schon die Perspektive der Zellbiologie, wenn man selbst verständlicherweise eher leben und weniger gerne sterben möchte? Wahrscheinlich nicht viel, und vielleicht doch ein bisschen. Vielen Menschen jedenfalls gelingt es am Lebensende, das weiß die Palliativmedizin seit Jahrzehnten, ein bisschen besser zu sterben, wenn sie sich nicht gegen das Sterben auflehnen. Der Tod, so bitter es klingt, ist eine Naturgewalt, gegen die nichts ankommt. Das aber heißt nicht, dass das eigene Lebensende per se zur Tragödie werden muss. Die Vorstellung, dass der eigene Tod den Regeln der Natur folgt, kann zum Trost werden. Und Trost ist Medizin, die zwar das eigene Sterben nicht abwenden, aber es zumindest ein kleines Stückchen erträglicher machen kann.

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