Steinzeitmenschen in Europa:Die Evolution der Milchbärte

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Steinzeit-Europäer bekamen durch Kuhmilch noch Bauchschmerzen. Dank der schnellen Ausbreitung einer Mutation in den letzten 7000 Jahren vertragen ihre modernen Nachfolger heute fast alle das Getränk.

Steinzeitmenschen in Europa konnten noch keine Milch verdauen.

Erst seit 7000 Jahren vertragen Nordeuropäer Milch. (Foto: Foto: dpa)

Darauf deuten Erbgutanalysen bei neun Skeletten aus der Jung- und Mittelsteinzeit. Mainzer Forscher haben die Ergebnisse ihrer Studien jetzt zusammen mit britischen Kollegen in den Proceedings der US-Akademie der Wissenschaften ( PNAS; DOI: 10.1073/pnas.0607187104) vorgestellt.

Die Fähigkeit zur Milchverdauung hat demnach bei der Evolution der Europäer eine wesentliche Rolle gespielt.

Während erwachsene Menschen in Europa vor 8000 Jahren überwiegend noch keine Milch verdauen konnten, seien heute mehr als 70 Prozent der Nordeuropäer dazu in der Lage, sagte der Anthropologe an der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität, Joachim Burger.

Die Fähigkeit zur Milchverdauung hat nach seiner Einschätzung den "entscheidenden Vorteil bei der Entwicklung sesshafter Ackerbauern und Viehzüchter im mittleren und nördlichen Europa" gebracht.

Im Körper ist das Enzym Laktase dafür verantwortlich, Milchzucker und damit Milch zu verdauen. Im Säuglingsalter ist es zunächst in ausreichender Menge vorhanden, nach dem Abstillen wird es bei den meisten Menschen auf der Welt nur noch in geringem Maße produziert.

Eine Ausnahme bilden Europäer und einige wenige Bevölkerungsgruppen in Afrika: Hier wird Laktase auch bei Erwachsenen gebildet, Milch kann verdaut werden.

Für ihre Studien haben die Mainzer Paläogenetiker gemeinsam mit Kollegen des University College London (UCL) Erbgutproben von neun Skeletten aus der Jung- und Mittelsteinzeit untersucht.

Keiner dieser frühen Europäer konnte den Ergebnissen zufolge Milch verdauen. Die Schlussfolgerung der Forscher: Als die ersten domestizierten Ziegen, Schafe und Rinder vor rund 8000 Jahren nach Europa gebracht wurden, konnte die Mehrzahl der Bauern deren Milch nicht vertragen.

"Evolutionäre Erfolgsgeschichte" einer Minderheit

Die kleine Minderheit, deren Körper auch im Erwachsenenalter Laktase produzierte, erlebte laut Burger von da an eine "evolutionäre Erfolgsgeschichte".

"Mit Milch konnte die hohe Rate der Kindersterblichkeit nach dem Abstillen reduziert werden", sagte der Mainzer Juniorprofessor. Zudem überlebten solche Familien ein Jahr mit schlechter Ernte besser.

Mark G. Thomas vom University College London, der an der Studie beteiligt war, betonte, diese vererbte Fähigkeit müsste sich sehr schnell verbreitet haben - in Maßstäben der Evolution sind 8000 Jahre eine eher kurze Zeit.

"Nun scheint es wahrscheinlich, dass die heutigen Nord- und Mitteleuropäer eine kleine Gruppe von Milch trinkenden Viehbauern des fünften vorchristlichen Jahrtausend als ihre Vorfahren bezeichnen können", schließt Burger.

Als faszinierende und wichtige Studie bezeichnete Clark Larsen von der Ohio State University in Columbus die Untersuchung im Wissensmagazin New Scientist.

Allerdings seien größere Studien an Fossilien notwendig, um zu bestätigen, dass die Laktose-Toleranz im Europa der Steinzeit tatsächlich noch nicht existierte. Auch sei die Untersuchung fossilen Erbgutes kompliziert und anfällig für Fehler.

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