Steinkreise:Revolution in der Steinzeit

Akustisches Phänomen in Stonehenge

Stonehenge ist wohl der berühmteste Steinkreis, doch bei weitem nicht der einzige

(Foto: dpa)

Vor 5200 Jahren entstanden auf den schottischen Orkney-Inseln erste Steinkreise, die Vorläufer von Stonehenge. Wozu bloß nahmen die Steinzeitmenschen all die Plackerei auf sich?

Von Hubert Filser

Der Scheiterhaufen im Steinkreis ist schon aufgerichtet. Vom Fluss Avon strömen die Menschen den langen geschwungenen Weg hoch und begleiten ihren toten Anführer bis zu den Erdwällen, die den Kreis der Megalithen umgeben. Zuvor hatten sie nur drei Kilometer entfernt den Fluss hinauf in der heute als Durrington Walls bekannten Anlage ein großes Fest gefeiert und Schweine und Rinder im Feuer gebraten. Jetzt ist die Zeit des Abschieds, der Anführer soll in Stonehenge feierlich verbrannt werden.

So ein Szenario hält der englische Archäologe Michael Parker-Pearson vom University College in London für plausibel. Seine Daten zeigen, dass es in der Nähe des Flusses Avon im Südwesten Englands vor rund 4600 Jahren zwei große Anlagen mit unterschiedlichen Zwecken gab. In der 500 Meter im Durchmesser großen, von Erdwällen und Gräben umgebenen Anlage von Durrington Wells fanden sich 80 000 Knochen von Schweinen und Rindern, in der nahegelegenen Siedlung verzierte Keramiktöpfe mit Spuren von Milchprodukten und Schweinefett, in Stonehenge dagegen Aschereste von mehr als 60 Feuerbestattungen. Stonehenge sei also ein Ort der Toten, Durrington Wells mit seiner nahegelegenen Siedlung der des Lebens und der Feste. Sie hatten "exakt gegensätzliche" Funktionen, so Parker-Pearson.

Innovation aus dem Norden

Vor Kurzem belegten englische Forscher im Fachmagazin Science (Bd. 343, S. 19, 2014), dass die Wurzeln für die bedeutenden Steinkreisanlagen des prähistorischen Britanniens weit oben im Norden liegen, auf den entlegenen schottischen Orkney-Inseln. Die Innovationen und damit verbunden ein neuer Lebensstil hätten sich, so Pearson, von dort aus bis Irland und England ausgebreitet. Bei Ausgrabungen in Ness of Brodgar auf der Orkney-Insel Mainland fanden sich an einem Engpass zwischen einem idyllisch gelegenen Süß- und einem Salzwassersee 5200 Jahre alte Spuren von Steinbauten. Viele Steine waren mit eingravierten Schmetterlings-Mustern verziert. Das auf einer Fläche von 10 000 Quadratmetern ausgedehnte Gelände war möglicherweise ein überregionales rituelles Zentrum.

300 Jahre später entstand dort auch der Ring of Brodgar, ein gewaltiger Steinkreis mit 104 Metern Durchmesser, bestehend aus 60 bis zu 4,5 Meter hohen Monolithen. Reste davon stehen auch heute noch leicht erhoben über dem See. Unweit des Rings gibt es auch eine bäuerliche Siedlung, gebaut in einem speziellen Stil. Alle Häuser hatten einen zentralen Herd, steinerne Betten und eine Art steinerne Kommode für Haushaltsgegenstände. Solche Häuser tauchen Hunderte Jahre später auch in Durrington Wells auf.

Es scheint sich also um eine gemeinsame Kultur zu handeln. Die großen Wallanlagen wie Stonehenge hatten eine enorme Bedeutung. "Sie waren ein sozialer und ökonomischer Bezugspunkt für weit verstreut lebende Menschengruppen", sagt Johannes Müller. Der Kieler untersucht derzeit in einem Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Entstehung der Megalithik. "Die Anlagen sind auch Ausdruck einer hierarchischen Struktur in der Gesellschaft der frühen Bauern und Viehzüchter." Wenn die Menschen aus unterschiedlichen Regionen Baumaterialien herantransportieren, bauen sie dadurch eine gemeinsame Identität auf. Je größer der Aufwand, umso intensiver der Zusammenhalt, vermutet Johannes Müller. Die tonnenschweren Blausteine von Stonehenge stammen beispielsweise aus den Bergen von Wales, 240 Kilometer entfernt, eine gewaltige Distanz.

"Unglaublich aufwändige Architektur"

Stonehenge ist dabei zwar eine der berühmtesten Henges, aber sie steht bei Weitem nicht am Anfang. Die älteste bekannte kreisförmige Monumentalanlage ist schon vor gut 11 500 Jahren im Südosten der heutigen Türkei nahe der syrischen Grenze entstanden. Doch als Vorbild für Stonehenge taugt der Kultort nicht, zu groß ist der zeitliche Abstand.

Johannes Müller hält eher frühe Grabenwerke auf dem europäischen Festland für die Vorläufer der englischen Henges. "Sie tauchen erstmals vor 6300 Jahren im Pariser Becken auf", sagt Müller. "Es sind rituelle Versammlungsplätze in der Landschaft, die die Menschen immer und immer wieder aufsuchen." Bisweilen wurden auch Menschen dort bestattet. Die Erdwerke aus Gräben und Wällen sind bis zu 140 Hektar groß, das ist eine Fläche von 200 Fußballfeldern. Grabungen der Forscher belegen, dass die Nutzer die Gräben immer wieder vertieften und auch die Anlagen selbst ständig umbauten.

"Das ist unglaublich aufwendige Architektur", sagt der Kölner Archäologe Andreas Zimmermann, der mit Müller im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms "Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung" arbeitet. Um aus Holz und Erde die 6300 Jahre alte Anlage von Urmitz am Niederrhein zu bauen, waren rund 100 000 Arbeitsstunden nötig. "Sie diente als Versammlungsort für eine Population von etwa 6000 Menschen, die in einem Umkreis von 1000 Quadratkilometern lebten", sagt Zimmermann. Die Spuren solcher Erdwerke sind oft im Lauf der Jahrtausende völlig verwischt. Nur auf Luftbildaufnahmen kann man anhand dunkler Verfärbungen noch die Reste wahrnehmen.

"Die Bauten sind Abbild des Weltverständnisses"

Als sich vor etwa 6000 Jahren die Ackerbauern und Viehzüchter vom Kontinent aus nach Norden in Richtung England oder Skandinavien ausbreiten, nahmen sie offenbar nicht nur ihre Tiere und Säcke voller Emmer und Einkorn mit. Sie gaben auch ihre Ideen an die Einheimischen weiter. In manchen Regionen stieg die Bevölkerungsdichte, da es das neue Wirtschaftsmodell erlaubte, mehr Menschen auf kleinerer Fläche zu ernähren. Die Errichtung von Megalithgräbern, Mini-Denkmälern für größere Clans sozusagen, war eine Reaktion auf die neuen sozialen Herausforderungen. "Verwandtschaft wird im Neolithikum wichtig, weil man etwas zu vererben hat, nämlich Land und Tiere", sagt Andreas Zimmermann.

Doch erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung, vor rund 5200 Jahren, tauchten die ersten Monumentalbauten in England auf, sagt Alasdair Whittle von der Universität Cardiff. Noch immer rätseln die Forscher, was die Ursachen für die monumentale Architektur sein könnten, die enorme Anstrengungen verlangte. Allein für Stonehenge waren einige Millionen Arbeitsstunden notwendig.

Das muss man sich leisten können. "Es ist ein ganzes Bündel von Voraussetzungen und Auslösern, das regional zu ganz individuellen Ergebnissen führt", sagt Andreas Zimmermann. Es müsste so viel Überschuss erwirtschaftet worden sein, um die Arbeiter beim Bau versorgen zu können. Die Gesellschaft muss hierarchisch strukturiert gewesen sein. Und die Akteure müssen starke Motive gehabt haben, um so ranzuklotzen, sagt Zimmermann. "Die Bauten sind Abbild des Weltverständnisses, die Menschen wollen die Welt begreifen und erklären, da spielt auch die Astronomie eine Rolle." Das war für Wildbeuter wie Bauern wichtig, weil man wissen musste, in welcher Jahreszeit man sich befand. Bei manchen war eben der sozioökonomische Aspekt wichtiger, bei anderen der Wunsch, die Weltordnung zu verstehen.

Bauwerke als sozialer Kitt

In jedem Fall war das Bauen bereits in neolithischen Gesellschaften ein symbolischer Akt, der eine gewisse Identität stiftete. Die gemeinsame Arbeit war dabei genauso wichtig wie das Endprodukt. "Der Akt des Bauens könnte entscheidend gewesen sein", schreibt der Archäologe Mark Edmonds von der Universität York im Fachmagazin Science, "brachte er doch die Leute zusammen, sie teilten und arbeiteten gemeinsam." Dies war auch deshalb so wichtig, weil die Migration die gesellschaftliche Ordnung durcheinander brachte. Die Bauten gaben Halt und Identität.

Stonehenge war sicher die spektakulärste Anlage dieser Art in Europa. Doch auch in Deutschland finden sich ungewöhnliche Bauten wie das Königsgrab von Lüdelsen, eine gewaltige, 35 Meter lange Anlage aus 60 gigantischen Steinen. "Die frühen Bauern erschließen sich mit Hilfe der Bauten und Rituale die neue Heimat", sagt Johannes Müller. "Sie strukturieren so die unbekannte Landschaft neu." Menschen orientierten sich an den Landmarken, sagt Müller. Die Bauten lagen oft an überregionalen Wegesystemen.

Gewaltige Veränderungen geschahen also vor mehr als 5000 Jahren. Die Gesellschaft erfand sich neu, verschiedene regionale Gruppen standen plötzlich in Konkurrenz zueinander. "Es gab eine Art Wettbewerb untereinander, um die Bauwerke zu errichten", sagt Müller. Die Konkurrenzsituation führte zu Höchstleistungen. "Das Entstehen dieser Anlagen ist mit einem Innovationspaket verbunden."

Vor 5600 Jahren wurde der Hakenpflug in der Landwirtschaft eingeführt, es gab weitere spektakuläre technische Neuerungen wie Rad und Wagen. "Wir sehen auch vor 5600 Jahren erste Spuren von Hochseeschifffahrt und ausgedehnten Handelsbeziehungen", sagt Johannes Müller. Im norddeutschen Raum tauchte Feuerstein von der Insel Helgoland auf, Kupfer wurde aus südlichen Regionen importiert. Rad und Wagen kamen vor rund 5400 Jahren hinzu. "Diese technologischen Veränderungen erfassen die gesamte Gesellschaft", sagt Müller.

Ob die gewaltigen Anlagen eine Art Motor für Neuerungen waren, oder die Innovationen umgekehrt zu den großen Anlagen führten, lässt sich nicht sicher klären. Jedenfalls tauchten eine Reihe neuer Werkzeuge und Ideen auf. "Die Monumente sind eigentlich die Überreste einer großen Revolution", sagt Müller. Wer also künftig einmal auf Stonehenge schaut, sieht nicht nur eine Ikone der Menschheitsgeschichte, ein astronomisches Meisterwerk und einen magischen Ort, sondern auch ein Abbild einer völlig neuen Gesellschaft, die Hierarchie und Besitz entdeckt hatte. Bei den Opferhandlungen am Fluss Avon versicherte sich die Gesellschaft ihrer selbst.

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