Stauforschung:Was die Menschen von den Ameisen lernen sollten

Nichts geht mehr: Weil die Menschen auf der Autobahn ständig zu dicht auffahren oder einen Moment lang unachtsam sind, stehen sie permanent im Stau. Tieren passieren derartige Dummheiten nicht - vor allem aus einem Grund.

Helmut Martin-Jung

Manchmal kann Wissenschaft so einfach sein: Man nehme 22 Autofahrer mitsamt ihren Wagen sowie einen Rundkurs von 230 Metern Länge, der eben ist und frei von Hindernissen. Die Probanden sollen bei mäßiger Geschwindigkeit in einem Abstand von einigen Metern hintereinander herfahren.

Ameisen

Auf Ameisenstraßen gibt es keinen Stau: Die Insekten orientieren sich am langsamsten Mitglied der Kolonne und scheren aus, um stehen zu bleiben.

(Foto: dpa)

Eigentlich eine leichte Aufgabe, die Forscher an der Universität von Nagoya in Japan den Versuchsteilnehmern da gestellt haben. Aber schon nach einer Minute kommt die kuriose Kolonne ins Stocken. Einer der Fahrer mag am Radio gefummelt oder zu lange in den Rückspiegel geguckt haben, und da ist er, der Beweis: Damit ein Stau entsteht, braucht es nichts als hohe Verkehrsdichte und einen kurzen Moment der Unachtsamkeit.

Während der unaufmerksame Fahrer nur kurz langsamer wird, muss der Lenker des nachfahrenden Autos schon deutlich bremsen, der nächste noch stärker. Auf dicht befahrenen Autobahnen pflanzt sich diese Schockwelle mit etwa 20 Kilometern pro Stunde entgegen der Fahrtrichtung fort. Und ohne dass die Autofahrer weiter hinten sähen, warum, müssen sie plötzlich anhalten, es kommt zum Stop-and-go-Verkehr.

Auslöser für Überlastungsstaus, das wissen Stauforscher schon seit vielen Jahren, sind Flaschenhälse. Das können Baustellen sein, durch die die Fahrbahn tatsächlich schmäler wird, aber auch Ein- und Ausfahrten oder sogar ein simpler Hügel. Sobald ein Fahrer aus dem Takt gebracht wird, kann dies bei entsprechend hohem Verkehrsaufkommen die gefürchtete Stauwelle auslösen. All das ist längst wissenschaftlich untersucht und bekannt, und doch bleibt Urlaubszeit Stauzeit.

Daran haben auch die neuesten Verkehrsinformationssysteme nicht viel ändern können. Damit sind nicht die Verkehrsdaten gemeint, die die öffentlich-rechtlichen Sender auf UKW als Datenstrom mitsenden. Bis die Meldung erfasst und in der Sendeschleife weitergeben werden, vergeht eine halbe bis eine Dreiviertelstunde. Bis dahin haben sich viele Staus längst wieder aufgelöst. Oder man ist ahnungslos in ihn hinein gefahren.

Stauwarnung in Echtzeit

Es geht vielmehr um sogenannte Echtzeit-Verkehrsdienste. Ihr Pionier ist der niederländische Navigationsspezialist Tomtom. Vor einigen Jahren hat das Unternehmen eine Kooperation mit dem Mobilfunkanbieter Vodafone geschlossen. Seither laufen im Tomtom-Rechenzentrum nahezu live Informationen darüber ein, welches Vodafone-Handy sich zu welcher Zeit wo befunden hat.

Die Anbieter brauchen diese Daten ohnehin - schließlich müssen sie ja Gespräch, SMS und Daten zu dem Sendemasten leiten, in dessen Nähe sich ein Handy-Besitzer gerade aufhält. Damit das klappt, senden Handys regelmäßig kurze Funksignale aus. Diese Daten, die man in anonymisierter Form weiterreicht, werden bei Tomtom zweitverwertet. Denn weiß man, wo ein Handy wann war, weiß man auch mit hinreichender Genauigkeit, wie schnell es sich von A nach B bewegt hat.

Ausharren statt Ausscheren

Legt man über diese Bewegungsprofile eine Karte mit den wichtigsten Straßen, lassen sich mit Hilfe von komplizierten mathematischen Regeln und viel Rechenkraft Aussagen darüber treffen, wo der Verkehr rollt oder wo es zäh geht. Mittlerweile sind auch andere Anbieter in dieses Geschäft eingestiegen, vor wenigen Tagen gab der Internetkonzern Google bekannt, dass sein Dienst Maps nun Echtzeit-Verkehrsdaten bietet.

Wo es läuft, sind die Straßen grün, zähfließender Verkehr wird mit Orange markiert, und bei Rot gibt es Stau. Noch kann man sich darauf nicht hundertprozentig verlassen, aber selbst gesetzt den Fall, das wäre so: Wie sinnvoll ist es dann, über Nebenstrecken auszuweichen?

Im besten Fall ergebe sich nur ein "psychologischer Effekt", sagt Michael Schreckenberg, Professor für die Physik von Transport und Verkehr an der Uni Duisburg-Essen, "man hat eben das Gefühl sich zu bewegen." Bei einem Überlastungsstau sei es effektiver, auf der Autobahn zu bleiben anstatt über die Landstraßen auszuweichen. Deren Kapazität sei einfach um so viel geringer, dass sich der Verkehr dort auch wieder staut.

"Ich habe schon gesehen, wie Leute mit ihrem SUV (geländetaugliche Autos, d. Red.) bei einem Stau quer über den Acker gefahren sind", erzählt der Forscher, "die habe ich nachher alle wieder getroffen, sie waren ja leicht zu erkennen, so dreckig wie die waren." Von der Autobahn abzufahren, lohnt sich Schreckenberg zufolge nur bei einer Vollsperrung: "Dann hat man keine andere Wahl."

Ein Problem bei der Echtzeit-Messung ist auch, dass sie Informationen liefert, die den meisten Verkehrsteilnehmern in diesem Moment nicht all zu viel nutzen. Was man bräuchte, wenn man aufbricht zu einer längeren Fahrt, wären Informationen wie diese: Ist auf dem Weg von München an die Adria heute die Strecke über den Brenner besser oder die über den Tauerntunnel? Doch längerfristige Prognosen, weiß Stauforscher Schreckenberg, "liegen gewaltig daneben".

Selbstlose Ameisen

An seinem Lehrstuhl läuft ein Projekt, bei dem am Computer berechnet wird, wie sich die Verkehrslage entwickelt. Das Programm lässt dafür Zigtausende virtuelle Autos auf dem nachgebildeten Autobahnnetz Nordrhein-Westfalens fahren. Doch weiter als 30 bis 60 Minuten reicht die Prognose nicht, danach wird sie ungenau. Außerdem sind auch die zugrundeliegenden Daten nicht deutschlandweit vernetzt, wie Schreckenberg sagt.

In der Forschung beobachtet man auch Tierschwärme, um herauszufinden, wie der Verkehr effektiver gelenkt werden könnte. Die wichtigste Erkenntnis: "Ameisen sind selbstlos", sagt Forscher Schreckenberg, "sie orientieren sich an den Langsamen, wer stehen bleiben muss, tritt zur Seite."

Menschen dagegen machen einfach zu viele Fehler. Sie fahren zum Beispiel zu dicht auf. Sind sie dann einen Moment lang unaufmerksam, müssen sie scharf bremsen, was einen Stau auslösen kann. Forscher wie Schreckenberg erhoffen sich Einiges davon, wenn Fahrzeuge, wie es bei einigen Modellprojekten derzeit untersucht wird, über mobilen Datenfunk miteinander gekoppelt werden.

"Schon wenn fünf Prozent diese Technik einsetzen, kann das eine erhebliche Wirkung zeigen." VW hat sogar ein Auto entwickelt, das auf Autobahnen bis Tempo 130 autark fahren kann, der Fahrer muss den Temporary Auto Pilot bloß noch überwachen. Noch ist aber offen, ob es einmal lauter selbständige Fahrzeuge geben wird oder aber eine zentrale Steuerung.

Bis dahin bleibt kaum mehr als zu hoffen, dass möglichst viele Fahrer wenigstens die einfachsten Stau-Regeln einhalten: Nicht die Spur wechseln; wenn es weitergeht, zügig losfahren und genügend Abstand zum Vordermann halten.

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