505 Amerikaner sind in diesem Jahr bereits von Polizisten erschossen worden. Es sind Berichte wie jene aus dem Bundesstaat New Jersey, die das Vertrauen in die Staatsgewalt erschüttern. Der Hispanoamerikaner Witney Rivera war vor einigen Tagen nach einem Streit mit seiner Ehefrau von hellhäutigen Polizisten verwundet worden, wenig später erlag er im Krankenhaus seinen Verletzungen. Eine Nachbarin berichtete: "Er lag schon auf dem Boden, doch sie haben weiter auf ihn geschossen." Solche Nachrichten sind in den USA fast alltäglich, sie verstärken das Bild des schießwütigen und rassistischen weißen Cops, der Leute mit dunkler Hautfarbe einfach abknallt und nicht dafür belangt wird.
Der These, wonach hellhäutige Polizisten häufiger Personen mit anderer Hautfarbe erschießen als ihre dunkelhäutigen und hispanoamerikanischen Kollegen, widerspricht nun jedoch eine Studie der Universitäten Maryland und Michigan State im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences. Statistisch sei es vielmehr so, "dass Afroamerikaner häufiger von schwarzen Polizisten erschossen werden", sagt Joseph Cesario, Professor für Psychologie an der Michigan State University, einer der Autoren der Studie. "Eine Veränderung der Struktur der Polizei, also mehr nicht-hellhäutige Beamte, dürfte daher nicht dazu führen, dass es weniger dunkelhäutige Todesopfer gibt."
Die zweite Erkenntnis der Forscher: Je mehr Gewaltverbrechen in einem Gebiet von Angehörigen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verübt werden, "desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person dieser Hautfarbe von der Polizei erschossen wird", sagt Cesario. Das gelte für Weiße ebenso wie für Schwarze und Hispanoamerikaner. "Eine effiziente Strategie, Todesopfer unter Dunkelhäutigen und Hispanoamerikanern zu senken, sollte die Reduzierung rassenspezifischer Gewaltverbrechen sein." Allerdings besagt die Studie auch: Betrachtet man die tödlichen Schüsse der Polizei landesweit, trifft es 3,7 Mal so häufig Afroamerikaner und 3,3 Mal so häufig Hispanoamerikaner wie Weiße.
Sind also Milieus das Problem und nicht die Cops? Bei der Diskussion über Polizeigewalt wird häufig eine Zahl von 2015 genannt. Damals waren zwölf Prozent der US-Bevölkerung Afroamerikaner - machten aber 26 Prozent der Todesopfer durch Schusswaffen der Polizei aus. Laut einem Datenprojekt der britischen Zeitung The Guardian war es für einen jungen Afroamerikaner in diesem Jahr neun Mal so wahrscheinlich wie für die restlichen Amerikaner, von Polizisten getötet zu werden. Dunkelhäutige Männer im Alter von 15 bis 34 Jahren, obwohl gerade mal zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, machten 15 Prozent der Opfer im Jahr 2015 aus.
Die US-Forscher bezeichnen Statistiken wie diese jedoch als unzureichend, um einen Kausalzusammenhang zur Hautfarbe der Polizisten herzustellen. Anhand von Daten verschiedener Zeitungen sowie eigener Recherchen in US-Bezirken werteten sie 917 Todesfälle durch Schüsse mit Polizeiwaffen aus. Dennoch lasse die Arbeit "keine Schlüsse auf Einzelfälle zu, sie klagt weder einen Beamten an, noch spricht sie ihn frei", betont Cesario. "Die Studie dient nicht dazu, Rückschlüsse auf Rassismus zu ziehen." Die öffentliche Wahrnehmung, dass Rassismus ein weit verbreitetes Problem der amerikanischen Polizei sei, werde durch die Erkenntnisse nicht zerstreut.
Zudem untersuchten die Psychologen ausschließlich Fälle, bei denen jemand starb. Verletzungen oder Konflikte, die ohne Waffe gelöst wurden, tauchen in der Studie nicht auf. Indes belegen die Forscher noch ein anderes Ungleichgewicht, das bislang kaum debattiert wird. Die Wissenschaftler haben auch das Geschlecht der Beamten ausgewertet. Im Jahr 2015 lag die Frauenquote der amerikanischen Polizei bei etwa zwölf Prozent. Tödliche Schüsse haben in 96 Prozent der Fälle männliche Polizisten abgegeben. Vielleicht würde es durchaus helfen, die Struktur der Polizei anzupassen - nicht nur in Bezug auf die Hautfarbe, sondern auch auf das Geschlecht.