Stammzellenforschung in Großbritannien:Ersatzteillager Mensch

Die Vermischung der Gewebe von Mensch und Kuh ist eine ungeheuerliche Tat, weil man leichtfertig den ethisch-moralischen Kern des Menschlichen aufgibt: das Fundament der Menschenwürde.

Werner Bartens

Die Laborschöpfung aus tierischen und menschlichen Embryozellen hat weniger mit einem Rindvieh zu tun als weiß-braune Kuhfleckenschokolade mit einer Kuh.

Stammzellenforschung AP

Großbritannien hat eines der liberalsten Stammzellengesetze.

(Foto: Foto: AP)

Trotzdem erscheint die Vermischung der Gewebe von Mensch und Kuh, die britischen Forschern von nun an erlaubt ist, als ungeheuerliche Tat.

Das ist sie auch. Weniger, weil besondere experimentelle Kniffe oder heroischer Forschergeist die Mischwesen ermöglicht hätten. Das Monströse liegt auch nicht in der Erschaffung von Monstern - die gibt es nicht, auch wenn englische Wissenschaftler Schöpfung spielen. Das Monströse ist vielmehr, wie leichtfertig aufgegeben wird, was man - aus Humanismus, nicht aus Pathos - als ethisch-moralischen Kern des Menschlichen bezeichnen muss; als Fundament der Menschenwürde.

Oft an Grenzen gekratzt

Wenn die Wissenschaft beteiligt ist, beginnt die Aufweichung der Menschenwürde zumeist an den Grenzen, an den Übergängen von Leben und Tod. Ganz am Anfang und kurz vor dem Ende, dann, wenn das Leben eigentlich besonders schützenswert wäre. Die Briten haben in der Wissenschaft vom Menschen schon oft Grenzen überschritten oder zumindest an ihnen gekratzt. Im Land der Seefahrer, Entdecker und Eroberer wurde das Klonschaf Dolly erzeugt.

Das erste Retortenbaby, Louise Brown, kam auf in Großbritannien zur Welt. Die gezielte Auswahl von Embryonen in der Petrischale - die Präimplantationsdiagnostik - stammt ebenfalls aus England. Und nun also auch die Mensch-Kuh-Chimären.

Großbritannien ist aber nicht nur erfahren mit Tabubrüchen mannigfacher Art. In der angelsächsischen Denktradition ist auch der Utilitarismus tief verankert, das heißt, dass im Zweifel Nützlichlichkeitserwägungen und die konkrete Nutzbarmachung wichtiger sind als ethische Abwägungen zum Wert und zur Integrität des ungeborenen Lebens.

Wie das Leben im Labor verdinglicht wird, verstört an dem britischen Vorstoß besonders. Der Embryo wird damit von der ersten Zellteilung an einer Fremdbestimmung zugeführt, er wird zum Objekt der Forschung und zum potentiellen Ersatzteillager für Kranke degradiert. Diese Instrumentalisierung des Lebendigen widerspricht auf fundamentale Weise einer der Grundannahmen des Menschseins - seiner zweckfreien Existenz als Subjekt, dem eine bedingungslose Würde innewohnt.

Der Mensch - ob vor oder nach der Geburt - muss keine Zielvorgaben oder Leistungsansprüche erfüllen, um als umfassend schützenswert zu gelten und diesen Schutz um seiner selbst willen zu genießen.

Der moralische Preis ist zu hoch

Dass der frühe Embryo von utilitaristisch argumentierenden Wissenschaftlern und Politikern nicht als Mensch verstanden, sondern als bloßer Zellhaufen betrachtet wird, macht seine Versachlichung zum Reservematerial nicht besser sondern schlimmer. Gerade die Schutzlosen - Alte, Kranke, Bewusstlose und eben auch das ungeborene Leben - benötigen besonderen Schutz.

Der moralische Standard einer Gesellschaft zeigt sich auch daran, wie sie mit den Schwächsten umgeht. Dieses ethische Einverständnis wird durch die britische Regelung fahrlässig aufs Spiel gesetzt. Zudem ist der medizinische Nutzen von Embryonalgewebe frei Haus bisher nicht belegt. Selbst wenn er es wäre, würde der moralische Preis dafür zu hoch sein.

Wird der frühe Embryo als Ersatzteillager verwendet, ist damit weiterem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Zwar werden auch jetzt schon Kinder geboren, um zuvörderst die Egoismen der Eltern zu befriedigen. Auch ist in den USA schon ein Kind gezeugt worden, einzig um als Knochenmarkspender für ein an Krebs erkranktes Geschwister zu dienen.

Doch diese Kinder haben über die Nutzanwendung hinaus, die über sie verfügt wurde, noch die Möglichkeit auf ein selbstbestimmtes Leben. Diese Chance haben die britischen Embryonen nicht, wenn sie von vornherein und vollständig fremden Zwecken geopfert werden.

Die britischen Experimente werden nicht zu Monstern aus dem Labor führen. Es werden keine Zentauren noch sonstige Horrorwesen aus dem Setzkasten von Mythologie oder Phantasie entstehen. Auch medizinisch und molekularbiologisch stellen die Versuche keine Sensation, keinen Durchbruch in der Behandlung, ja nicht einmal einen technischen Fortschritt dar.

Die Empörung und das Unbehagen über den neuerlichen Tabubruch der Wissenschaftler sind größer als die Bedrohung, die von ihren fremdbestimmten Geschöpfen ausgeht. In der Wahrnehmung der Laien, die ohnehin längst nicht mehr nachvollziehen können, welche experimentellen und welche ethischen Hürden im Labor gerade genommen oder umgangen wurden, wird die Wissenschaft vielmehr selbst zur Bedrohung.

Die jüngste Lockerung des Stammzellgesetzes in Deutschland und jetzt die Experimente in Großbritannien stehen symbolhaft dafür. Mit fragwürdigen Heilsversprechen und Nutzenabwägung scheint die Wissenschaft bereit, noch fast jeden moralischen Schutzwall einzureißen. Damit steht das Wesen und die Zweckfreiheit des Menschlichen zur Disposition. Dieses hohe Gut sollte keine Forschung je angreifen.

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