Süddeutsche Zeitung

Wasserstoff:Der Öko-Hochofen

Die Produktion von Stahl verursacht etwa sieben Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen. Der Einsatz von Wasserstoff soll die Industrie nun langfristig klimaneutral machen - erste Projekte laufen.

Von Ralph Diermann

Was den Schutz von Ressourcen betrifft, ist Stahl in vielerlei Hinsicht ein wirklich vorbildliches Produkt. Denn Stahl ist extrem langlebig. Wenn er aber dann doch mal eines Tages zum alten Eisen gehört, lässt er sich problemlos wiederverwerten. Und das quasi unbegrenzt oft, die Qualität des Materials bleibt beim Recycling erhalten. Wäre da nur nicht der immense Bedarf an Kohle für die Produktion. Der macht die Stahlindustrie zu einer der klimaschädlichsten Branchen überhaupt - sie ist für rund sieben Prozent des globalen CO₂-Ausstoßes verantwortlich.

Die Emissionen kommen vor allem aus den Hochöfen. Dort wird Kohle in Form von Koks und Kohlenstaub eingesetzt, um Eisenerz Sauerstoff zu entziehen. Dabei bildet sich flüssiges Roheisen, das sich zu Stahl weiterverarbeiten lässt. Der Hochofenprozess benötigt Temperaturen von bis zu 2000 Grad. Auch dafür sorgt die Kohle - durch eine stark exotherme Reaktion mit Sauerstoff aus eingeblasener Luft, die durch das Verbrennen der im Hochofen entstehenden Abgase, der sogenannten Gichtgase, zuvor erhitzt worden ist.

Deutschlands größter Hersteller Thyssenkrupp experimentiert nun in seinem Werk in Duisburg damit, einen kleinen Teil der Kohle durch Wasserstoff zu ersetzen. Erzeugt wird der Wasserstoff von Elektrolyseuren, die mit Ökostrom betrieben werden. Damit ist er klimaneutral. "Unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren den Wasserstoffeinsatz an einem unserer bestehenden Hochöfen auszuweiten", erklärt Arnd Köfler, Technikvorstand von Thyssenkrupp Steel Europe.

Allerdings ist es technisch unmöglich, dort mehr als 20 Prozent Wasserstoff zu verwenden. Wie andere Hersteller auch will Thyssenkrupp deshalb mittelfristig auf ein anderes Verfahren setzen: auf die Direktreduktion. Hier wird das stückige, poröse Eisenerz von Wasserstoff umströmt. Der löst den Sauerstoff aus dem Eisenerz. Auf Kohle können die Hersteller dabei verzichten. "Bei der Direktreduktion entsteht sogenannter Eisenschwamm, den wir mit einem neuartigen Aggregat einschmelzen und in weiteren Schritten zu Rohstahl aufbereiten werden", sagt Köfler. Die Reduktion verläuft bei einer Temperatur von 700 Grad. Für die nötige Hitze sorgen Prozessgase aus der Anlage, die verbrannt werden. Zudem wird von außen Wärmeenergie zugeführt.

Bei diesem Wasserstoff-Konzept kann das Unternehmen auf etablierte Technik aufsetzen: "Die Direktreduktion ist schon heute verfügbar, da manche Stahlhersteller das Verfahren bereits nutzen - allerdings mit Erdgas statt mit Wasserstoff", sagt Stahlexpertin Marlene Arens vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI.

Vorreiter bei der Direktreduktion mit Wasserstoff ist der schwedische Stahlkonzern SSAB, der jetzt zusammen mit Vattenfall und dem Eisenerz-Lieferanten LKAB im lappländischen Luleå eine Pilotanlage in Betrieb genommen hat. Ziel der Partner ist es, bis 2035 ein großes, klimaneutrales Stahlwerk mit dieser Technologie aufzubauen. Damit sollen die CO₂-Emissionen Schwedens den Projektpartnern zufolge auf einen Schlag um zehn Prozent sinken - vorausgesetzt, im Gegenzug werden konventionelle Stahlwerke mit gleicher Produktionskapazität stillgelegt.

Arens verweist darauf, dass die schwedische Stahlindustrie einen größeren Anteil am CO₂-Ausstoß des Landes hat als die deutsche, da die Stromerzeugung dort wegen der vielen Wasserkraftwerke und Windenergieanlagen sehr klimafreundlich ist und die Schweden zudem beim Heizen viel Biomasse nutzen. "Deshalb würde sich die Dekarbonisierung der schwedischen Stahlindustrie stark auf die CO₂-Bilanz des Landes auswirken", sagt die Fraunhofer-Forscherin.

Thyssenkrupp will seine erste Direktreduktionsanlage 2025 in Betrieb nehmen, drei weitere folgen dann ab 2030. Spätestens 2050 soll der letzte konventionelle Hochofen abgeschaltet werden. Schon die erste Anlage soll die CO₂-Emissionen des Unternehmens eigenen Angaben zufolge um zwei Millionen Tonnen reduzieren. Mit einer vollständigen Dekarbonisierung der Produktion spart Thyssenkrupp insgesamt 20 Millionen Tonnen CO₂ ein. Der gesamte deutsche Treibhausgas-Ausstoß würde damit, die Emissionszahlen von 2019 zugrunde gelegt, um 2,5 Prozent sinken.

Dafür sind allerdings erhebliche Investitionen nötig. So beziffert der Stahlhersteller die Kosten einer einzigen Anlage inklusive Schmelzaggregat auf rund eine Milliarde Euro. Arens verweist jedoch darauf, dass die Branche ohnehin laufend investieren muss. "Auch Hochöfen müssen regelmäßig erneuert werden, was ebenfalls äußerst kostspielig ist", sagt die Expertin. Dennoch fordert sie für die Stahlindustrie umfassende politische Unterstützung beim Einsatz von Wasserstoff. Sie müsse vor allem bei den Betriebskosten ansetzen, die durch den Einsatz von erneuerbaren Energien deutlich höher sind als bei konventionell produziertem Stahl.

Bleibt die Frage, wo der Wasserstoff für die Dekarbonisierung der heimischen Stahlindustrie eigentlich herkommen soll. Denn für dessen Herstellung werden gewaltige Mengen Strom benötigt: 105 Terawattstunden pro Jahr, bezogen auf die derzeitige Stahl-Produktionsmenge. Das entspricht knapp einem Fünftel des gesamten heutigen Stromverbrauchs in Deutschland. Die Bundesregierung setzt vor allem auf Wasserstoff-Importe aus Ländern, die gute Bedingungen für die Erzeugung von Ökostrom bieten - aus Skandinavien zum Beispiel, dem Mittelmeerraum oder aus afrikanischen Ländern. Einfach dürfte es jedoch nicht werden, hier die nötige Infrastruktur zu schaffen, wie die Proteste gegen neue Windenergieanlagen oder Wasserkraftwerke überall auf der Welt zeigen.

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