Energietechnik:Abschied vom Hochofen

Thyssenkrupp - Hochofen

In Hochöfen herrschen Temperaturen von bis zu 2100 Grad Celsius. Nach dem sogenannten Abstich fließt das flüssige Roheisen ab.

(Foto: dpa)
  • Weltweit hat die Stahlindustrie einen Anteil von sieben Prozent an den menschgemachten Kohlendioxidemissionen.
  • Diese Menge wollen Stahlhersteller künftig senken, indem sie bei der Erzverarbeitung Wasserstoff statt Kohle einsetzen.
  • Umweltfreundlich wird der Prozess nur, wenn der Wasserstoff klimaneutral, etwa mithilfe von Sonnen- oder Windstrom, hergestellt wird.

Von Andrea Hoferichter

Ein bisschen Vorfreude ist Volker Hille von der Salzgitter AG schon anzumerken, als er die Gitterrosttreppe zur untersten Ebene von "Hochofen B" erklimmt. In dem stählernen, etwa 80 Meter hohen Turm aus dunklem Stahl, Innentemperatur bis zu 2100 Grad Celsius, wabert flüssiges, weiß glühendes Roheisen: eine Art Ursuppe für verschiedenste Stahlprodukte, vom Autoblech bis zum Windradturm. Nach dem Abstich, etwa alle 60 Minuten, fließt das heiße Metall wie Lava durch feuerfest ausgekleidete Rinnen in Transportwagen zur weiteren Aufbereitung. "Der Prozess fasziniert mich immer noch, obwohl ich schon seit 21 Jahren in der Stahlindustrie arbeite", sagt Hille.

Der promovierte Physiker und Ingenieur hält seine Hand an einen von zig armdicken schwarzen Schläuchen, die in den Ofen führen "Hier wird gemahlene Kohle durchgepumpt. Man fühlt sie förmlich strömen", sagt er. Sie ergänze den Koks im Hochofen, der aus besonderen Steinkohlesorten gewonnen werde. Beide Kohleformen enthalten Kohlenstoff, die wichtigste Zutat für das Glutbad, denn er sorgt für die nötige Hitze und befreit das Eisenoxid im Erz von Sauerstoff, "reduziert" es zu metallischem Eisen, wie Chemiker sagen. Allerdings wird er dabei zu Kohlendioxid und so zum Problem fürs Klima. Allein bei der Salzgitter AG werden jedes Jahr acht Millionen Tonnen CO₂ in die Luft gepustet. Weltweit hat die Stahlindustrie einen Anteil von sieben Prozent an den menschgemachten Kohlendioxidemissionen.

Diesen Anteil wollen Stahlhersteller künftig senken, für den Klimaschutz und auch weil in den nächsten Jahren Emissionszertifikate für Kohlendioxid verknappt und damit teurer werden sollen. Die Strategie, die unter anderem der Salzgitter-Konzern gemeinsam mit der Fraunhofer-Gesellschaft im Projekt "SALCOS" verfolgt, ist, Kohle durch Wasserstoff zu ersetzen. Statt Kohlendioxid entstünde schlicht Wasser. Der Wasserstoff wiederum ließe sich klimaneutral, etwa mithilfe von Sonnen- oder Windstrom, aus Wasser herstellen. Einige Stahlkonzerne optimieren die Wasserelektrolyse gerade in Pilotanlagen. Durch den Umstieg könnte außerdem der umweltzerstörende Kohleabbau etwas gebremst werden.

Der radikale Kohlenverzicht wäre das Aus für den Hochofen. Denn das Eisenerz würde künftig in festem Zustand in sogenannten Direktreduktionsanlagen von heißem Wasserstoff durchströmt und so reduziert werden. Das Produkt, sogenannter Eisenschwamm, müsste anschließend in Elektrolichtbogenöfen, die bisher vor allem beim Schrottrecycling zum Einsatz kommen, geschmolzen und veredelt werden. Die nötige Hitze entsteht hier durch eine Art Dauerblitz zwischen zwei Elektroden. "Das Konzept macht natürlich nur Sinn, wenn der Strom für die Wasserstofferzeugung und für die Elektrolichtbogenöfen aus regenerativen Quellen stammt", betont Hille.

Direktreduktionsanlagen sind keine neue Erfindung. Nur werden sie bisher mit Erdgas, also im Wesentlichen mit Methan, betrieben und vor allem dort, wo das Gas in Massen verfügbar und billig ist. "Methan ist zwar fossiler Herkunft, aber eine wasserstoffreiche Verbindung, mit der bei der Eisenreduktion erheblich weniger Kohlendioxid entsteht als mit Kohle", sagt Hille. Auch eine neu gebaute Direktreduktionsanlage in Salzgitter würde nicht gleich mit 100 Prozent Wasserstoff laufen, sondern mit schrittweise sinkenden Methananteilen. Denn es ist noch unklar, wann genügend regenerativ erzeugter Wasserstoff zur Verfügung steht.

"Stimmen die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, können wir sofort mit der Umstellung beginnen", sagt Heinz Jörg Fuhrmann, Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG. Dann ließen sich durch den Ersatz eines ersten von drei Hochöfen im Jahr 2025 etwa 25 Prozent Kohlendioxid einsparen und etwa 20 Jahre später, ganz ohne Hochöfen, deutlich mehr als 80 Prozent. Für einen wirtschaftlichen Betrieb sei allerdings eine Befreiung von der EEG-Umlage zum Ausbau erneuerbarer Energien gefragt und eine staatliche Anschubfinanzierung für die nötigen Investitionen in Milliardenhöhe. "Das ist natürlich ein dickes Brett", räumt Fuhrmann ein. "Andererseits sind immer wieder auch Wirtschaftsprojekte von der EU gefördert worden, wenn sie gesellschaftlichen Mehrwert hatten, zum Beispiel Airbus als wettbewerbsfähiger europäischer Flugzeugbauer."

Der Stahl wäre derzeit bis zu 30 Prozent teurer

Wasserstoff statt Kohle lautet auch das Motto des schwedischen Stahlherstellers SSAB, wenngleich ohne Umweg über Methan. Eine Pilotanlage wurde kürzlich in Betrieb genommen und 2035 soll die Technik, die in einem staatlich geförderten Projekt gemeinsam mit dem Energieversorger Vattenfall entwickelt wurde, im industriellen Maßstab einsetzbar sein. Unter aktuellen Bedingungen wäre der mit Wasserstoffhilfe produzierte Rohstahl allerdings 20 bis 30 Prozent teurer, heißt es aus dem Unternehmen. Der Konzern Arcelor Mittal, der in Hamburg die nach eigenen Angaben einzige Direktreduktionsanlage Westeuropas betreibt, und Voestalpine aus Österreich mit einer Direktreduktionsanlage in Texas, halten einen Umstieg auf "grünen" Wasserstoff ebenfalls für technisch machbar und erstrebenswert, aber für derzeit unwirtschaftlich.

Bei Thyssenkrupp hingegen will man den Hochofen noch nicht aufgeben. Die gereinigten Kohlendioxid- und andere Abgase sollen als Rohstoffe für Industriechemikalien genutzt werden, aus denen wiederum etwa Kraft- und Kunststoffe produziert werden können. Auch dieser Ansatz funktioniert nicht ohne regenerativ erzeugten Wasserstoff, der hier allerdings Bestandteil der Produkte wird. Das Verfahren wird zurzeit in einem Technikum am Standort Duisburg optimiert. Eine großtechnische Umsetzung bis 2030 sei wahrscheinlich, heißt es aus dem Stahlkonzern. Eine Anlage, die mehr als die Hälfte der Hüttengase umsetzt, würde etwa eine Milliarde Euro kosten. Die Betriebskosten wären durch den Erlös aus dem Chemikalienverkauf mehr als gedeckt.

Das Kohlendioxid ließe sich aber auch als Rohstoff für weitere Produkte nutzen

Das Bundesforschungsministerium unterstützt das Projekt "Carbon2Chem", an dem auch Forschungseinrichtungen, Chemie- und Technologieunternehmen beteiligt sind, mit 62 Millionen Euro über zehn Jahre.

Doch was ist sinnvoller: Kohlendioxid vermeiden oder nutzen? Peter Ahmels von der Deutschen Umwelthilfe plädiert dafür, beide Ansätze zu verfolgen. "Es gibt in den nächsten Jahren sicher noch Erkenntnisfortschritte", sagt er. Grundsätzlich gelte allerdings, dass eine Mehrfachnutzung von CO₂ das Problem oft nur verschiebe. Das betrifft vor allem Kraftstoffe, denn beim Verbrennen wird das Treibhausgas gleich wieder freigesetzt. Peter Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie sieht in beiden Konzepten Unwägbarkeiten. Bei der Abgasnutzung sei entscheidend, wie viel Energie man aufwenden müsse, um das eigentlich reaktionsträge Kohlendioxid zu einer chemischen Reaktion zu bewegen, und welche bestehenden Syntheseverfahren dadurch ersetzt würden. Im Fall des Kohleverzichts wiederum müsse das Verfahren noch deutlich kostengünstiger werden und genügend "grüner" Wasserstoff zur Verfügung stehen.

Dass die Wasserstoffverfügbarkeit zum Flaschenhals werden kann, wissen auch die Verantwortlichen in Salzgitter. Würde die Kohle in allen deutschen Stahlwerken komplett durch Wasserstoff ersetzt, seien dafür jedes Jahr 120 Terawattstunden regenerativ erzeugte elektrische Energie erforderlich, haben sie hochgerechnet. Das ist fast zehnmal so viel, wie die Großstadt Hamburg verbraucht. Um diesen Bedarf zu decken und zugleich die Energiewende für Haushalte, Verkehr und andere Industrien zu stemmen, müssen noch viele Windräder und Solaranlagen gebaut werden. Dass dafür auch eine Menge Stahl nötig sein wird, dürfte für die Branche wiederum eine gute Nachricht sein.

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