Süddeutsche Zeitung

Zoologie:Auf Wassertropfen durch die Luft

Springschwänze sind nur wenige Millimeter groß, können aber bis zu zehn Mal so weit springen, und zwar wider Erwarten präzise und kontrolliert. Sie nutzen dazu einen besonderen Trick - und den könnte sich der Mensch für Roboter zunutze machen.

Sie sind wahre Sprungkünstler: Springschwänze, nur Millimeter groß und flügellos, leben oft auf der Oberfläche von Bächen, Sümpfen oder Teichen und können mehr als das Zehnfache ihrer Körpergröße weit springen. Bisher gingen Forschende davon aus, dass der Flug und insbesondere die Landung von Springschwänzen unkontrolliert und unvorhersehbar seien. Doch das ist offenbar verkehrt: Wie ein Forscherteam der Technischen Hochschule Georgia nun im Fachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) berichtet, stabilisieren die Tierchen ihren Körper bei ihren Sprüngen mit Hilfe eines Wassertröpfchens. Sie heben demnach in Millisekunden ab, drehen und orientieren sich dank dieses Tröpfchens in der Luft neu, um dann kontrolliert auf der Wasseroberfläche zu landen. Diese präzisen Sprünge würden sie auch vor Fressfeinden schützen. Basierend auf den neuen Erkenntnissen ist es den Forschenden sogar gelungen, kleine Springroboter zu entwickeln.

Springschwänze sind dem Bericht zufolge die am weitesten verbreitete, häufigste und vielfältigste Gruppe von Sechsfüßern, die keine Insekten sind. Sie sind bekannt für ihre wichtige Rolle in der Bodenökologie und ihre einzigartige Fähigkeit, sich in die Luft zu katapultieren. Dieses Sprungverhalten untersuchten die Forschenden nun am Beispiel des Springschwanzes "Isotomurus retardatus" unter anderem mit Hilfe von Videoaufnahmen. Sie fanden, dass die Tiere zunächst ihre Körperhaltung und den Winkel ihres Sprungorgans, der Furcula, anpassen, wenn sie abheben. Parallel nehmen sie mit einem röhrenförmigen Organ an der Unterseite, dem sogenannten Collophor, einen Wassertropfen auf.

Auch nach diesem Vorbild konstruierte Roboter landeten sicher - zumindest meistens

In der Luft krümmen die Springschwänze dann ihren Körper zu einer U-förmigen Haltung, die einen aerodynamischen Drehmoment erzeugt, wodurch sie sich nur 20 Millisekunden nach dem Absprung selbst aufrichten. Es ist den Forschern zufolge die von allen untersuchten flügellosen Tieren schnellste Aufrichtung in der Luft. Ihren Schwerpunkt senken die Tiere dabei laut der Studie mithilfe des vom Collophor aufgenommenen Wassertröpfchens ab. Bei der Landung erzeugten sie eine Kapillarwelle und verankerten sich mit dem Collophor an der Oberfläche, was ein Abprallen verhindere.

"Niemand hat jemals experimentell gezeigt, wozu der Collophor wirklich dient, und wir zeigen, dass er für ihr Überleben wichtig ist", sagte Víctor Ortega-Jiménez, einer der Studienautoren, laut einer Mitteilung des Georgia Institute of Technology. "Sie brauchen es für die Stabilität, die Kontrolle des Starts, aber noch wichtiger ist, dass sie wie ein Akrobat perfekt landen können."

Die Forschenden stellten außerdem fest, dass Springschwänze ihren Absprungwinkel und ihre Geschwindigkeit kontrollieren können. Sie erstellten ein mathematisches Modell, um in einer Computersimulation zu ermitteln, wie präzise diese Sprünge sind. Zudem untersuchten sie mit toten und lebenden Springschwänzen in einem Windkanal deren Fähigkeit, sich in der Luft selbst aufzurichten.

Anschließend bauten die Forschenden in Zusammenarbeit mit der Ajou-Universität in Südkorea kleine Roboter, um ihre experimentellen und rechnerischen Beobachtungen in einer realen Umgebung zu wiederholen. Es zeigte sich, dass die nach dem Vorbild der Springschwänze gebauten Roboter tatsächlich in drei Viertel ihrer Sprünge sicher landeten. Diese Technik könnte die Fähigkeiten von Robotern in neuem Terrain erweitern, zum Beispiel auf offenen Wasserflächen in den Seen und Ozeanen unseres Planeten, erläutert Je-sung Koh von der Ajou-Universität.

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