Süddeutsche Zeitung

Sprechlehrer:Endlich wieder sagen, was man denkt und fühlt

Lesezeit: 4 min

Logopädinnen helfen Menschen, ihre Stimme wiederzufinden. Dafür werden sie schlecht bezahlt.

Von Joachim Göres

"Ihr entging nicht die gesammelte Anstrengung, mit der er sich mitzuteilen versuchte, die furchtbare Mühsal, unter der er suchte, sortierte, kombinierte, um dann mit sichtbarem Aufwand an Kraft hervorzustöhnen, was ihr offenbar an Nachricht zugedacht war, und was dann schon fauchig zerfetzt wurde und verlorenging, bevor es über seine Lippen kam." Ein Satz aus dem Roman "Der Verlust" von Siegfried Lenz über einen wortgewandten Reiseführer, der nach einem Schlaganfall plötzlich nicht mehr sprechen kann.

270 000 Frauen und Männer erleiden in Deutschland jährlich einen Schlaganfall. Die Hälfte davon hat Probleme mit dem Schlucken, 30 Prozent können nicht mehr reden und müssen es mühsam neu lernen. Mit solchen Menschen hat die Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Susanne Landmesser-Roßmann häufig zu tun. Die Hälfte ihrer Patienten sind Erwachsene, die infolge neurologischer Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson oder Multipler Sklerose Probleme haben, sich verständlich zu machen. "Das sind ja zum Teil fortschreitende Krankheiten, bei denen es darum geht, die Folgen abzumildern. Diese Menschen kommen oft über einen langen Zeitraum zu mir", sagt sie.

Zu den Patienten von Landmesser-Roßmann zählen zudem oft Pastoren, Lehrer und Erzieher, in deren Beruf die Stimme stark strapaziert wird. "Sie müssen häufig gegen einen hohen Lautstärkepegel ansprechen und belasten dabei ihren Kehlkopf. Mit Atem- und Stimmübungen zeige ich ihnen, wie es besser geht. Wenn sich aber die Arbeitsbedingungen bei ihnen nicht ändern und sie das Gelernte auf Dauer nicht anwenden können, dann tauchen sie nicht selten nach einiger Zeit wieder bei mir mit Stimmproblemen auf", sagt Landmesser-Roßmann, die als Selbständige Patienten sowohl in ihrer Praxis im niedersächsischen Celle behandelt als auch Hausbesuche macht.

Geduld und Empathie, medizinisches Wissen und psychologische Kenntnisse sind in ihrem Beruf auch bei der zweiten Gruppe gefragt, die Hilfe bei ihr sucht: Kinder. Zu Landmesser-Roßmann kommen oft Jungen und Mädchen im Vorschulalter, die zum Beispiel Zischlaute nicht richtig aussprechen können. Dann lässt sie schon mal eine Spielzeugdampflok durch die Gegend fahren, macht die entsprechenden Geräusche dazu, und das Kind stimmt schnell in das "sch, sch, sch" mit ein. "Es gibt zwei große Ursachen: Manche Kinder können nicht k von t, s von f oder g von d unterscheiden. Dann muss man die Hörwahrnehmung trainieren. Andere haben Probleme mit der Mundmotorik."

Der Deutsche Bundesverband für Logopädie (DBL) spricht von einer wachsenden Nachfrage nach logopädischen Leistungen - durch den Fortschritt in der Medizin überleben heute mehr Menschen einen Schlaganfall, auch die Prävention spiele heute eine größere Rolle. Allerdings müsse der Beruf attraktiver werden. "Wer Probleme mit der Stimme hat, muss in Deutschland zunächst zum Arzt. In anderen Ländern können die Patienten direkt zum Logopäden gehen, und das sollte künftig auch bei uns möglich sein", fordert die DBL-Vorsitzende Dagmar Karrasch.

Circa 11 000 Mitglieder zählt der DBL, der größte Berufs- und Fachverband dieser Branche. Mehr als 90 Prozent der Mitglieder sind Frauen: Logopädinnen, Sprachheilpädagoginnen, Sprachtherapeutinnen, Atem-, Sprech- und Stimmlehrerinnen. Als ausgebildete Fachleute diagnostizieren und behandeln sie Stimm-, Sprech-, Sprach-, Hör-, Schluck- und Kommunikationsstörungen, zudem sind sie präventiv und beratend tätig. Die meisten angehenden Logopädinnen absolvieren eine dreijährige Berufsfachschule, für die die mittlere Reife Voraussetzung ist. Seit ein paar Jahren entscheiden sich immer mehr junge Leute für ein Logopädie-Studium mit dem Abschluss Bachelor. "Es gibt in Deutschland zwölf unterschiedliche Ausbildungswege, die auf logopädische Berufsfelder vorbereiten. Wir fordern eine einheitliche akademische Ausbildung, wie sie sonst in Europa üblich ist", so Karrasch.

Gleichgültig ob mit oder ohne Studium - abgesehen von Leitungs- oder Lehrtätigkeiten bestehen laut Karrasch in der konkreten Arbeit und in der Bezahlung meist keine Unterschiede. "Es gibt eine hohe Zufriedenheit mit dem Tätigkeitsfeld und eine große Unzufriedenheit mit dem Verdienst. Nach einer Befragung der Hochschule Fresenius in Idstein von 433 Logopäden denkt die Hälfte über einen Berufswechsel nach", sagt die DBL-Vorsitzende. Für logopädische Leistungen zahlen Krankenkassen für eine Dreiviertelstunde Behandlungszeit 39 Euro in West- und 31,40 Euro in Ostdeutschland - laut DBL zu wenig, um eine eigene Praxis rentabel führen zu können. Angestellte Berufsanfänger kommen laut Tarifvertrag in einem kommunalen Krankenhaus auf monatlich gut 2300 Euro brutto - doch viele werden unter Tarif bezahlt.

Die Kosten für die Ausbildung an privaten Berufsfachschulen muss man meist selbst tragen

Für eine Berufsausbildung muss man meistens noch Geld mitbringen - es gibt keine Ausbildungsvergütung, und die überwiegend privaten Berufsfachschulen verlangen für die dreijährige Ausbildung oft mehr als 15 000 Euro Schulgeld. Karrasch: "Es kann nicht sein, dass im Gegensatz zu allen anderen Berufen die Erstausbildung selbst finanziert werden muss."

Bislang müssen angehende Logopädinnen an Berufsfachschulen während der dreijährigen Ausbildung 2100 Praxisstunden absolvieren, die sie nicht bezahlt bekommen. Mit unentgeltlicher Arbeit soll nach dem Willen der Gewerkschaft Verdi zumindest an den Logopädieschulen der Unikliniken in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und im Saarland bald Schluss sein. "Wir verhandeln mit den Ländern, um eine Vergütung für die komplette Ausbildung an diesen Schulen zu erreichen. Klar ist, dass sich etwas ändern wird, nur noch nicht, ab wann und wie hoch die Vergütung sein wird", sagt Mario Gembus, Jugendsekretär für den Bereich Gesundheit und Soziales beim Verdi-Bundesvorstand.

Größer als die finanzielle Anerkennung ist in diesem Beruf die Befriedigung, die sich aus gesundheitlichen Fortschritten der Patienten als Folge der Therapien ergibt. Alexander Leipold, Olympiasieger des Jahres 2000 im Freistilringen, drückt das so aus: "Ich bin meinen Logopädinnen bis heute unendlich dankbar, dass sie mich nach meinen Schlaganfällen dabei unterstützt haben, meine Sprache komplett zurückzubekommen."

Information: Jedes Jahr schließen circa 100 Frauen erfolgreich die Modellstudiengänge für Logopädie ab. Einen Überblick zu allen Studiengängen findet man unter dem Link www.dbs-ev.de/hochschule/studienorte. An den knapp 90 logopädischen Berufsfachschulen bestehen pro Jahr an die 850 Absolventinnen ihre Abschlussprüfung. 70 Prozent dieser Logopädiefachschulen sind kostenpflichtig, monatlich sind im Durchschnitt 455 Euro zu zahlen.

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SZ vom 07.12.2017
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