Sprachforschung:Zeit für schlechte Laune

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Vor allem Krisen der Gesellschaft schlagen sich in der Sprache nieder

(Foto: AFP)
  • In amerikanischen Zeitungen und Büchern steigt die Anzahl negativer Wörter wie "Angst", "Leiden" oder "Hass".
  • Psychologen haben dazu das Archiv der New York Times und die von Google erfassten Bücher untersucht.
  • Der Analyse zufolge sind positive Begriffe zwar in der Mehrheit, doch der Abstand zur Anzahl negativer Wörter schrumpft. Die Forscher sehen einen Zusammenhang zu Wirtschaftskrisen und gestiegener Unsicherheit.

Von Marlene Weiß

Man mag ja manchmal das sehr subjektive Gefühl haben, dass es abwärtsgeht mit der Welt. Nichts als Probleme, Konflikte, Missgunst, Ungerechtigkeit, polternde Bald-Präsidenten. Schön, dass die Wissenschaft einen nüchterneren Blick auf die Dinge hat. Und sie sagt: Der Eindruck stimmt.

So ungefähr kann man die Resultate einer Studie zusammenfassen, die gerade im Fachmagazin PNAS erschienen ist. Psychologen um Rumen Iliev von der University of Michigan haben die von Google erfassten Bücher untersucht, die zwischen 1800 und 2000 in den USA erschienen sind, ebenso wie das digitale Archiv der New York Times . Es reicht bis ins Jahr 1851 zurück.

Die Wissenschaftler durchforsteten diesen riesigen Datenberg nach unterschiedlich besetzten Wörtern. Dabei zeigte sich: Positive Ausdrücke wie "toll", "Erleichterung", "hübsch" oder "zuversichtlich" sind stark verbreitet, befinden sich aber auf dem absteigenden Ast. Negative Wörter wie "Angst", "leiden", "Hass" oder "langweilig" dagegen sind zwar seltener; ein Effekt, der auch schon für das Deutsche und diverse weitere Sprachen gezeigt wurde. Sie haben aber immer mehr Erfolg: Das Verhältnis, in dem Wörter der beiden Kategorien auftauchen, hat sich in den vergangenen beiden Jahrhunderten zumindest in Amerika laut Iliev und seinen Kollegen immer weiter in Richtung von Unglück und schlechter Laune verschoben.

Das war jedoch keine gleichmäßige Entwicklung, im Gegenteil. Sprache ist offenbar ein recht gutes Messinstrument für Krisen der Gesellschaft. Während des amerikanischen Sezessionskriegs ebenso wie zur Zeit der Weltkriege oder des Vietnamkriegs schlägt das Sprachbarometer der Forscher heftig in Richtung negativer Ausdrücke aus. Das mag naheliegend sein, was die New York Times angeht, schließlich kann man nicht mit ausschließlich positivem Vokabular über einen Krieg und seine Toten berichten. Allerdings zeigt sich die bedrücktere Sprache auch in den damals veröffentlichten Büchern, was schon weniger selbstverständlich ist.

Aber nicht nur Kriege schlugen sich in der Sprache nieder. Die Forscher fanden noch weitere Zusammenhänge: War die Wirtschaft angeschlagen und die Arbeitslosigkeit hoch, nahm prompt auch die Verwendung negativer Begriffe zu im Vergleich zu positiv besetzten. Andersherum hatte mit dem Aufschwung in den Neunzigern auch die optimistische Sprache vorübergehend Hochkonjunktur. Ebenso in den Jahren, in welchen sich die Amerikaner in nationalen Umfragen als besonders glücklich und zufrieden bezeichneten: Tendenziell war auch das eine gute Zeit für sprachlichen Frohsinn.

All diese kurzfristigen Effekte bestätigen den Forschern zufolge, dass der positive und negative Gehalt von Sprache eine dynamische Angelegenheit ist, die nicht nur von Vorgängen im Gehirn oder von individuellen Persönlichkeiten abhängt, sondern stark vom Umfeld geprägt wird. Ziemlich rätselhaft und recht beunruhigend bleibt aber die langfristige Tendenz, die ihre Daten ebenfalls deutlich zeigen. Lässt man Kriege, Krisen und Boomjahre einmal außer Acht, bewegt sich der Sprachgebrauch in Amerika demnach seit Langem in Richtung Miesepetrigkeit und Pessimismus: Das Verhältnis von positiven zu negativen Ausdrücken schrumpft.

Der Grund dafür, vermuten die Forscher, könnte im Zusammenhalt der Gesellschaft liegen. Positive Kommunikation stärke Zusammenarbeit und Gruppengefühl. Wenn die Gesellschaft jedoch auf so etwas keinen Wert mehr legt und jeder auf sich schaut, schlägt die Stunde der düsteren Wörter.

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