Fliegen mit der Cyberbrille:Ich - das Flugzeug

Sturzflüge über New York oder rasant an einer Flanke des Matterhorns entlang: Nicht nur Technik-Fans begeistern sich für Modellflieger, in denen sie per Videofunk und Cyberbrille quasi mit an Bord sind, obwohl sie sie vom Boden aus steuern. Wer sich die Aufnahmen der Flüge anschaut, sollte besser sitzen.

Patrick Illinger

Natürlich heißt so jemand nicht einfach nur Raphael Pirker. Wer sich derart waghalsig in die Luft erhebt, wer so viel von Digitalfunk und Aerodynamik versteht, und wer dermaßen viele Bewunderer im Internet hat, der braucht ein cooles Alias. "trappy" zum Beispiel.

Trappy ist der bekannteste Vertreter einer weltweit wachsenden Gemeinschaft von, tja, früher hätte man gesagt Modellbaufliegern. Aber früher war vieles anders, da gab es noch keine digitale Funktechnik, keine Cyberbrillen, keine Hochleistungs-Akkus.

Und es gab keine Elektromotoren, die klein wie ein Pappbecher sind, aber stark wie ein Pferd. Weil es das heute alles gibt, ist es fast logisch, dass begabte Bastler wie trappy daraus Fluggeräte bauen, die mit einem Revell-Bausatz oder einem Balsaholzflieger so viel gemeinsam haben wie die Montgolfières mit einem F-16-Kampfjet.

Modellflugzeuge, wie trappy sie baut, steigen auf 5000 Meter Höhe, reisen 80 Kilometer weit und kehren zurück, drehen ein paar Runden um die Freiheitsstatue in New York und rasen mit 180 Stundenkilometern an einer Flanke des Matterhorns entlang in Richtung Tal.

Das beste dabei ist: Der Pilot steht nicht nur blöde am Boden herum. Er fliegt mit.

Eine winzige, aber hochauflösende High-Definition-Kamera auf dem Fluggerät sendet extrem scharfe Videobilder an eine Cyberbrille, die der Hobby-Pilot auf dem Kopf trägt. Sie erzeugt den überaus realistischen Eindruck, selbst mit an Bord zu sein. Wie krass sich das anfühlen muss, kann man bereits anhand der Flugvideos auf trappys Internet-Seite www.team-blacksheep.com erahnen.

Besser auf einem Stuhl sitzen

Schon für deren Genuss sollte man besser auf einem Stuhl sitzen. Doch wenn trappy seine aerodynamischen Exkursionen auf einer Leinwand vorführt, so wie kürzlich bei einem Technik-Tag der Münchner Beratungsfirma TNG, dann muss man schon eine handfeste Ausbildung bei der Luftwaffe hinter sich haben, um nicht zwischendurch die Bodenhaftung zu verlieren.

Trappy

Moderne Modellbauflieger wie trappy sitzen mit Cyberbrille am Arbeitsplatz, während sie ihre mit HD-Video ausgestatteten Fluggeräte auf Entdeckungsreise schicken.

(Foto: oh)

First Person View, FPV, nennen die Extrem-Modellbauer das Prinzip, bei dem sie das ferngesteuerte Fluggerät wie einen Avatar benutzen - wie einen Repräsentanten des eigenen Körpers in einer fremden Welt.

Nur dass sie statt der hierbei üblichen virtuellen Welten den real existierenden Luftraum bereisen.

Sein bumerangförmiges Leichtbau-Flugzeug nennt trappy Zephyr. Es ist nur knapp zwei Kilogramm schwer, das Material der Tragflächen fasst sich an wie fester Styropor. Doch ist das 1,4 Meter breite Fluggerät ein komplexes Amalgam modernster technischer Bauteile.

Angetrieben wird der Nurflügler mit einem hinten angebrachten Propellermotor, der satte 750 Watt leistet, mehr als ein PS. Dessen Akkus erlauben rund 90 Minuten Flugzeit mit Spitzengeschwindigkeiten von 150 Kilometer pro Stunde.

Allerneueste Technik steckt auch in den Funkmodulen, die einerseits den Zephyr aus mehreren Kilometern Entfernung steuerbar halten, und andererseits die hochauflösenden Videobilder an den Piloten am Boden senden.

Viele dieser Digitalfunk-Bauteile sind nicht frei verfügbar, deutet Raphael Pirker alias trappy an, man müsse sich hier auf dem Markt für Sicherheitstechnik und bei Spionage-Ausstattern bedienen.

Flüge im juristischen Grauland

Dass die zum Einsatz kommenden Antennen nicht immer mit nationalen Gesetzen in Einklang zu bringen sind, versteht sich fast von selbst. Und das ist nicht der einzige Punkt, an dem die High-End-Modellbaufreunde juristisches Grauland betreten. So ist ein mit Cyberbrille betriebenes Fluggerät formal gesehen eine Drohne, ähnlich den Reapers und Predators der US-Streitkräfte in Afghanistan.

Weil es für den Betrieb solcher unmanned aerial vehicles, UAV, nicht nur in Deutschland harte Auflagen gibt, versuchen Modellbauflieger das Problem zu umgehen: Neben dem Kapitän mit der Cyberbrille steht offiziell ein zweiter, unbebrillter Beobachter, der das Fluggerät mit eigenen Augen verfolgt, wodurch es wieder ein Modellflugzeug ist.

Wie das allerdings über viele Kilometer und Berghänge hinweg praktisch funktionieren soll, bleibt ein Geheimnis der FPV-Flieger.

In technischer Hinsicht blickt trappy sogar abschätzig auf die militärischen Drohnen. Diese hätten manchmal eine Verzögerung von rund drei Sekunden, bis ein Steuerbefehl in eine Flugbewegung umgesetzt werde, sagt der Zephyr-Entwickler, was in seinem Fall undenkbar wäre. Wer mit 150 km/h durch Waldschneisen und über Bergkanten hinwegfliegt, der braucht einen unmittelbaren Zugriff auf sein Fluggerät.

Kultstatus im Internet hat ein Video von trappy erlangt, das Eindrücke eines First-Person-View-Flugs über New York zeigt. Die Erinnerung an den 11. September 2001 verleiht den an sich schon aufregenden Bildern zusätzliche Brisanz. "Es ist einer der Flüge, bei denen man nur rauskommt, wenn nichts passiert", heißt es im Vorspann, an mögliche Nachahmer als Warnung gerichtet.

Auch technisch sei der New-York-Flug einzigartig gewesen, berichtet trappy. Man könne sich als Laie gar nicht vorstellen, wie viele Funkantennen in einem urbanen Gebiet aktiv seien. In einem Gewirr aus Hunderten Antennen, die um ein Vielfaches stärker strahlten als seine Fernsteuerung musste der FPV-Pilot sein Flugzeug anfunken.

Überraschungen in Berlin

Manchmal erlebt man dabei auch Überraschungen: Bei einer Tour über Berlin, unterwegs in Richtung Brandenburger Tor, verlor trappy einmal schlagartig die Verbindung zu seinem Zephyr. Es zeigte sich, dass die nahe gelegene US-Botschaft wohl massive Störsender einsetzt, um sich selbst vor Lauschern zu schützen.

Bei anderer Gelegenheit, ebenfalls in Berlin, erlebten FPV-Flieger weniger technische als menschliche Überraschungen. Sie kreisten mit ihrem Flugzeug so lange über dem Neubau des Bundesnachrichtendienstes, bis aufgeschreckte Menschen aus dem Gebäude stürmten.

Die Begeisterung für die FPV-Fliegerei nehme weltweit zu, versichert Raphael Pirker. Er selbst wisse von 600 Flugzeugen, die im Einsatz sind, die Dunkelziffer der Hobbypiloten schätzt er auf 50.000.

Einhundert Begeisterte trafen sich in diesem Frühjahr erstmals zu einer Art Leistungsschau im französischen L'Aigle, doch hauptsächlich organisieren sich die FPV-Fans im Internet. Die Gemeinschaft hat inzwischen ein eigenständiges Versicherungssystem entwickelt.

Immer öfter bitten sogar Firmen und Organisationen um die Mithilfe der waghalsigen Modellbauflieger. Dabei ging es zum Beispiel um die Suche nach Wilderern im Krüger-Nationalpark, berichtet trappy, um eine Sturzflug-Sequenz für einen Werbefilm, und in Österreich war der Zephyr unterwegs auf der Suche nach einer vermissten Frau.

Den Anhängern der weltweit wachsenden Hobby-Gemeinschaft gehe es ebenso um neue Eindrücke wie um Sportliches, zum Beispiel Wettrennen, sagt trappy. Weit oben auf der Liste der Motivationsgeber steht aber erwartbar auch der thrill - das unvergleichliche Erlebnis waghalsiger Manöver und das grenzwertige Vergnügen, mit 150 Kilometer pro Stunde in drei Metern Höhe über die Köpfe ahnungsloser Wanderer zu fliegen.

Auch unter den Sesseln eines Skilifts ist trappy schon durchgesaust. Wenn er mit fast diebischer Freude erzählt, wie ein erschrockener Skifahrer die Polizei rief, zeigt sich: In dem genialen Techniker steckt auch ein großer Schelm.

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