Design:Kunst mit Gentechnik

Design: Stammzellen lassen sich im Labor zu Nervenzellen heranzüchten - eine Anregung für die Kunst?

Stammzellen lassen sich im Labor zu Nervenzellen heranzüchten - eine Anregung für die Kunst?

(Foto: MDC Berlin)

In Berlin taucht eine Designerin in die Welt der Stammzellen und Genscheren ein. Sie will den Dialog zwischen Forschung und Gesellschaft fördern.

Reportage von Kathrin Zinkant

Man hätte sich zumindest ein Atelier vorgestellt, eine mit Klebstoff und Materialschnipseln übersäte Arbeitsstätte, die nach Lösungsmitteln riecht. In deren Mitte vielleicht schon etwas zu sehen ist, ein begonnenes Kunstwerk, oder in diesem Fall: die Kontur eines Designobjekts, der Kunstform, auf die sich die 35-jährige Finnin Emilia Tikka spezialisiert hat.

Doch als die zart gebaute Künstlerin in brütender Hitze über den Campus des Max-Delbrück Centrums für Molekularbiologie zur Arbeit geht, sucht sie lediglich ein übliches Doktorandenzimmer mit weißen Schreibtischen auf. An ihrem Platz liegen Artikel aus Forschungsjournalen, an der Wand hängen Skizzen, auf denen anstelle eines Objekts verschiedene Fachbegriffe zu finden sind. Es riecht nach Labor. Und all das hat einen Grund. Tikka soll einen neuen Weg des Dialogs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft einschlagen. Gesprächsanbahnung durch Kunst, so könnte man es zusammenfassen. Die Finnin soll das Gesicht dieser Bewegung in Deutschland werden.

Die erste Begegnung zwischen Designerin und Forschern war ein Clash der Kulturen

Es ist ein schönes Gesicht, fast alterslos, und man sieht Tikka an, dass sie sich zu Beginn ihrer Ausbildung einmal mit Mode befasst hat. Als ihr das zu eindimensional wurde, begann sie an der Universität der Künste in Berlin Produktdesign zu studieren. Und schließlich besann sie sich auf eine frühe Leidenschaft. "Zellbiologie hat mich schon immer begeistert", sagt die 35-jährige. Inzwischen hat sie in Workshops zu Design und neuen Technologien mitgewirkt, insbesondere die Genschere Crispr-Cas hat ihr Interesse geweckt. "Wie könnte eine Welt aussehen, in der diese Technologie den Alltag der Menschen erreicht hat?" Das soll die Finnin nun am MDC mit ihren Mitteln beantworten dürfen. Zwei Monate hat sie Zeit, ihr Stipendium gehört zum multinationalen Projekt Orion, das im Rahmen des europäischen Horizon 2020-Förderprogramms finanziert wird. Orion befasst sich mit Open Science. Dabei geht es auch um den offenen Austausch zwischen Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur, an dem sich zahlreiche große Forschungseinrichtungen aus sechs EU-Ländern beteiligen. Beworben hatten sich für das Stipendium 40 Designer und Künstler aus Europa. Viele von ihnen reichten jedoch fertige Ideen für Designgegenstände ein. Emilia Tikka dagegen blieb ergebnisoffen in ihrer Bewerbung.

Design: Binnen kurzer Zeit lernt die finnische Künstlerin Emilia Tikka, wie man im Labor arbeitet.

Binnen kurzer Zeit lernt die finnische Künstlerin Emilia Tikka, wie man im Labor arbeitet.

(Foto: Veronika Natter, State)

Seit gut vier Wochen ist Tikka nun eine Künstlerin im Labor. Es ist keine einfache Rolle. Die Designerin erzählt von ihren ersten Erlebnissen zwar lediglich, dass sie mit allen Wissenschaftlern in kurzer Zeit intensive Gespräche geführt habe. Das sei anstrengend gewesen. Glaubt man anderen, kam ihre erste Präsentation vor der versammelten Forschergemeinde des MDC eher einem Clash der Kulturen gleich. Nachdem Tikka ihr Konzept vorgestellt hatte, sagten einige Wissenschaftler geradewegs: "Das geht nicht". Schon die Vorstellungen Tikkas, was sie untersuchen könnte, empfand man als problematisch. Zugleich überforderte es die Forscher, dass ihre sehr konkreten Erkenntnisse in das abstrakte Design eines fiktiven Alltagsgegenstandes gegossen werden sollten.

Inzwischen ist der Austausch von mehr gegenseitigem Verständnis geprägt. Im Walter-Friedrich-Haus des Zentrums öffnet Jürgen Stumm einen Zellkulturschrank, zieht eine handbreite Platte mit 96 Vertiefungen heraus. Unter dem Mikroskop sind darin winzige Bälle aus mehreren hundert Zellen erkennbar. Eigentlich sei das bereits Kunst, findet Stumm. Jedes einzelne der Gebilde ist aus induzierten pluripotenten Stammzellen, kurz iPS, entstanden. So nennen Forscher Zellen, die schon eine konkrete Funktion im Körper eines Tieres oder Menschen hatten, durch genetische Tricks aber wieder in einen frühen Entwicklungszustand zurückversetzt wurden. Man sagt, sie seien reprogrammiert. Im Labor lassen sich die Zellen dann wieder zu beliebigem Gewebe und sogar winzigen Organen entwickeln. Organoide heißen solche Miniorgane im Fachjargon.

Ist ein Leben, ohne alt zu werden, erstrebenswert?

Stumm ist Postdoktorand, mit seiner Hilfe hat Emilia Tikka gelernt, aus iPS-Zellen Nervenzellen, und sogar winzige, sich selbst organisierende Minigehirne zu züchten. Als nächstes will die Designerin lernen, wie Zellen mithilfe der neuen Genscheren-Technik Crispr-Cas nicht zerschnitten, sondern an- und ausgeschaltet werden können. Ist das nicht etwas anspruchsvoll für jemanden, der zwar Interesse hat, aber wenig Erfahrung? "Es ist sehr wichtig, die wissenschaftlichen Details einer Technologie zu verstehen, um zum Kern dieser Technik vorzudringen", sagt Tikka. Der Kern, das sind auch die Möglichkeiten, die sich realistischerweise durch die Technologie ergeben. Im Fall von Stammzellen und Crispr sind es viele, doch Tikka interessiert sich vor allem für die Frage, wie diese Techniken die Lebensspanne von Menschen beeinflussen könnten. "Reprogrammierung ist die vollständige Verjüngung von Zellen bis in den embryonalen Zustand zurück", sagt sie.

Was sie herausfinden will ist, ob es einen Mittelweg geben könnte. Auf den Skizzen über ihrem Schreibtisch sind alle bekannten Einflüsse aufs Altern verzeichnet. Was wäre, wenn man diese tickende Uhr nur einen Hauch zurückdrehen könnte? "Ich habe früher selbst gedacht, dass das eine faszinierende Aussicht ist, aber ich bin mir nicht mehr sicher", sagt Tikka. Es ist eine philosophische Frage, eine Spekulation, die an ihrem Gebrauchsgegenstand schließlich greifbar werden soll.

Woher kommt diese Idee des "spekulativen Designs"? Tikka zieht ein Buch aus ihrer Tasche und legt es auf den Tisch. Aus den Seiten quellen Post-it-Zettelchen, auf dem Cover ist eine Landschaft auf Rädern zu sehen. "Speculative Everything" lautet der Titel. Es ist das Standardwerk zum neuen Designbegriff, geschrieben haben es Anthony Dunne und Fiona Raby, die heute an der New Yorker New School lehren. "Design ist heute vorwiegend mit Kommerz und Marketing befasst, aber es ist in der Lage, auf einem intellektuelleren Level zu operieren", erklären Dunne und Raby auf ihrer Website. Speculative Design könne neue technologische Entwicklungen in imaginären, aber glaubwürdigen Alltagssituationen darstellen. "Das erlaubt uns, die Folgen verschiedener technologischer Zukünfte zu debattieren, bevor sie eintreten."

Was wäre, wenn man das genetische Potenzial eines Liebhabers bewerten könnte?

Dunne und Raby sind mittlerweile berühmt für diesen Ansatz, ihre Werke wurden schon im Museum of Modern Art gezeigt. Insbesondere haben sie viel Aufmerksamkeit in der internationalen Wissenschaftsszene erregt. Vor drei Jahren verlieh das Media Lab des Massachusetts Institute of Technology den Partnern einen Preis.

Dunn, Raby und ihre Studenten haben Speculative-Design-Projekte zudem für den Wellcome Trust gestaltet, die weltweit zweitgrößte Stiftung für medizinische Forschung. Passanten konnten sich Alltagsgegenstände aus synthetisch produzierten, Komponenten des Lebens in den Fenstern der Stiftungszentrale in London anschauen. Wegwerfbecher aus Keratin etwa, dem Stoff, aus dem menschliche Haare gemacht sind. Oder was wäre, wenn man das genetische Potenzial eines Liebhabers bewerten könnte? Dunne und Raby hatten dazu Dutzende kleine Figuren ins Fenster gestellt, die jeweils über eine kleine Penisschublade verfügten. Darin das Urteil: Groß, mittel, klein. Im ersten Moment mag das verstörend wirken oder gar ordinär. Aber es geht beim Speculative Design ja darum, eine Diskussion anzuzetteln.

Diskussion ist auch, was Tikka zu erreichen hofft. "Mein Ziel ist nicht, eine Utopie oder Dystopie zu entwerfen", sagt die Designerin. In öffentlichen Debatten träfen fast immer extrem düstere und übertrieben positive Darstellungen von dem aufeinander, was neue Technologien in der Zukunft bewirken könnten. Selten hätten diese Visionen etwas mit dem normalen Leben der Menschen zu tun. "Das ist auch mit Crispr so", sagt Tikka. Von solchen Polarisierungen hält sie nichts. "Mir geht es um die Zwischentöne, das Philosophische, darum, dass die Menschen ihr Selbstverständnis hinterfragen."

Wie also wird das Objekt aussehen, das all dies bewirken kann? Tikka hat ein paar Ideen, verrät bislang aber nichts. Im Oktober soll ihr Designobjekt in Berlin im State Studio ausgestellt werden. Dann wird diskutiert.

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