Klimawandel:Furcht vor dem "falschen Frühling"

Klimawandel: Apfelblütenknospen reagieren empfindlich auf Frost.

Apfelblütenknospen reagieren empfindlich auf Frost.

(Foto: Rainer Hunold via www.imago-images.de/imago images/CHROMORANGE)

Spätfröste wie in diesem April bedrohen Trauben- und Obsternte. Denn wegen der Erderwärmung sind viele Pflanzen schon mitten im Wachstum.

Von Benjamin von Brackel

Wer sich nach dem milden Februar und dem heiteren März (dem sonnigsten seit Beginn der Aufzeichnungen) schon im Frühling gewähnt hatte, wurde in den ersten Apriltagen eines Besseren belehrt - mit Schneefällen und Frost. Mancherorts wurden hierzulande so niedrige Temperaturen gemessen wie nie zuvor im April. Wie in der Nacht auf den 3. April im nordrhein-westfälischen Eslohe: minus zehn Grad Celsius. Oder eine Nacht später in Memmingen: minus 8,8 Grad Celsius. Weil kaum Wind wehte und der Nachthimmel oft sternenklar war, kühlte sich die Luft stark ab. An einigen Orten hielt der Schnee die Bodenwärme wie eine Decke zurück, wodurch es noch kälter wurde.

Landwirte und Winzer fürchten sich vor den "falschen Frühlingen". Denn diese locken Blüten und Blätter der Obstbäume und Weinreben heraus, die während der Spätfröste dann erfrieren. In diesem Jahr habe man noch einigermaßen Glück gehabt, sagt der Generalsekretär des deutschen Bauernverbands Bernhard Krüsken. Obstbauern am Bodensee und im Alten Land ließen ihre Apfelbäume beregnen, da beim Gefrieren des Wassers Kristallisationswärme frei wird, welche die Blätter und Blüten wärmt. Ernteausfälle gab es vor allem in Baden-Württemberg, aber auch in Sachsen-Anhalt. "In einigen Regionen gab es ziemliche Probleme", sagt Krüsken. "Über das gesamte Bundesgebiet gesehen sind die Schäden aber überschaubar."

Die Vegetationsperiode beginnt heute im Schnitt zwei Wochen früher als vor 30 Jahren

Zu verdanken ist das wohl den Nachtfrösten im März, die viele Obstbäume daran hinderten, Blüten und Blätter auszubilden. Auch die Winzer vermelden kaum Schäden, weil die Weinreben noch kaum ausgetrieben waren. Die Aussaat von Getreide wie Mais wiederum beginnt erst jetzt. Dramatische Folgen hätten Nachtfröste erst in den kommenden Wochen. "Der falsche Frühling in Verbindung mit einem anschließenden Kälteeinbruch wirkt sich umso schlimmer aus, je später er kommt", sagt Krüsken.

Nun sind Spätfröste an sich nichts Neues. Der Frühlingsbeginn bringt häufig klirrende Kälte mit sich - dann, wenn polare Kaltluft aus der Arktis einströmt. Manche Klimaforscher gehen davon aus, dass der Klimawandel solche Kälteextreme begünstigt: Weil sich die Arktis schneller erwärmt als die Tropen, nimmt das Temperaturgefälle zwischen beiden Regionen ab. Das könnte den Jetstream beeinflussen, ein wellenförmiges Luftband auf der Nordhalbkugel. In seinen Einbuchtungen nach Süden schiebt es Tiefdruckgebiete vor sich her, in denen nach Norden trägt es Hochdruckgebiete.

Wenn er aber an Kraft verliert, können sich Wetterlagen mitunter über Wochen einnisten - wie zuletzt der Fall. Dann buchtet sich das Wellenband kräftig nach oben und unten aus, wodurch mal Kaltluft aus der Arktis bis nach Deutschland hereinpeitscht und mal mediterrane Warmluft aus dem Süden. Klimaforscher sind sich allerdings nicht einig, ob der Klimawandel tatsächlich zu mehr solcher Wetterblockaden führt.

Weniger umstritten ist, dass die Erderwärmung die Natur immer früher im Jahr erwachen lässt. Die Vegetationsperiode beginnt heute im Schnitt zwei Wochen früher als vor 30 Jahren. Die letzten Fröste im Frühjahr hingegen halten sich einigermaßen an den alten Kalender. "Es ist heute fast genauso wahrscheinlich, dass im April oder Mai ein Frost kommt", sagt der Agrarmeteorologe Mathias Herbst vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Je früher sich Pflanzen entfalten und blühen, umso wahrscheinlicher sind sie Frost ausgesetzt, nicht nur im April, sondern schon im März. "Damit nimmt das Risiko für Spätfrostschäden zu."

Schon im vergangenen Jahr zeigte sich eine ähnliche Konstellation - mit einem ungewöhnlich warmen Winterausklang und einer Kältewelle im April. Diese verursachte große Schäden in Deutschland und noch mehr in Frankreich: Angelockt durch die warmen Märztage bildeten Weinreben und Obstbäume Blüten und Blätter aus, die dann Anfang April erfroren. In Weinbauregionen wie im Burgund oder im Jura verloren die Winzer rund zwei Drittel der Jahresproduktion. Insgesamt entstand ein wirtschaftlicher Schaden von rund zwei Milliarden Euro; französische Politiker sprachen von der "wahrscheinlich größten Katastrophe für die Landwirtschaft seit Beginn des 21. Jahrhunderts".

Europäische Klimaforscher haben berechnet, dass Pflanzen in Zukunft häufiger solchen Kältewellen ausgesetzt sein werden, weil sich die Vegetationsperiode vorverlegt. "Entscheidend ist die Wärme vor dem letzten Frost", sagt der Ökologe Constantin Zohner von der ETH Zürich. "Diese bestimmt, wie stark sich eine Pflanze schon entwickeln konnte und dementsprechend anfällig ist."

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