Sozialverhalten von Hyänen:Im Reich der Alpha-Weibchen

Tüpfelhyänen im Ngorongoro-Krater

Das Zentrum der Hyänen ist der Bau, in dem sich die Jungen verkriechen, wenn die Eltern auf Jagd sind. Die Gänge sind so eng, dass nur sie hineinpassen.

(Foto: Höner/IZW)

Tüpfelhyänen leben in großen Clans mit klaren Hierarchien, in denen Mütter den Ton angeben. Sie haben den Ruf, feige, verschlagen und besonders grausam zu sein. Eine Langzeitstudie in Tansania widerlegt die Annahmen.

Von Christopher Schrader

Irgendwann verlor Sumbua die Geduld. Jahrelang hatte sie sich ihrer Schwester, der Herrscherin, untergeordnet. Doch deren Macht bröckelte. Sie bekam zwar wieder und wieder Nachwuchs, doch waren es immer nur Söhne, die in ihrer Gemeinschaft nichts zählten. Sobald sie groß genug waren, verließen sie die Gruppe und das Territorium. So fehlte der Schwester eine Hausmacht in Form eigener Töchter. Eines Tages wagte Sumbua darum mit ihren Töchtern den Putsch, forderte ihre Schwester und Herrscherin heraus und gewann. Ihr Lohn war der bevorzugte Zugriff auf die Ressourcen des Reiches und eine rekordverdächtig große Nachkommenschaft von 17 Söhnen und Töchtern.

Wenn Oliver Höner diese Geschichte erzählt, klingt sie wie die Legende einer alten Kultur. Tatsächlich spielt sie in Afrika, im Ngorongoro-Krater in Tansania am Rande der Serengeti-Savanne. Sumbua, ihre Schwester und die Nachkommen sind Tüpfelhyänen. Sie gehören zu einer von acht Gruppen, die Wissenschaftler vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) unter Höners Leitung seit Jahren studieren. Der Schweizer, der in Brasilien aufgewachsen ist, verbringt sechs bis acht Monate des Jahres in Tansania.

Einen Putsch wie den von Sumbua hat er dabei selten unter den Raubtieren erlebt, die in einer stabilen, im Tierreich ungewöhnlichen Sozialordnung leben. "Das Rudel wird beherrscht von einem Alpha-Weibchen, es gibt eine strenge Hierarchie, und alle Männchen stehen im Rang noch unter dem untersten Weibchen", erzählt Höner. Die Regeln dieser Gesellschaft vermeiden Inzucht in den Clans.

Bei den Hyänen im Ngorongoro-Krater können die Forscher das Verhalten genau studieren, weil sie alle acht Gruppen seit 17 Jahren beobachten, und aus Haar- und Kotproben die Verwandtschaftsverhältnisse rekonstruieren - ein weltweit einzigartiges Projekt, weil es auch abgewanderte Männchen im Auge behält. 200 von ihnen haben die Forscher von Geburt an verfolgt, 160 davon haben später in anderen Gruppen Anschluss gefunden und Junge gezeugt.

Für Menschen sind die Geschlechter kaum zu unterscheiden: Beide sind gleich groß, die Weibchen bilden zudem einen Scheinpenis und Pseudo-Hoden. Daher wenden sich europäische Zoos oft an das IZW, um mithilfe von molekulargenetischen Untersuchungen das Geschlecht der eigenen Tiere zu prüfen, so auch der benachbarte Tierpark Berlin im Ostteil der Stadt. Dort liegt in dem Gehege, das Höner manchmal besucht, um seine Gedanken zu ordnen, das Männchen Kara meist weit abseits der restlichen Familie. "Der arme Kerl, der hat niemanden, an dem er seinen Frust auslassen kann", sagt der Forscher. Auch seine Söhne stehen, solange sie nicht ausgewachsen sind und darum den Schutz ihrer Mutter genießen, im Rang über ihm.

Die neugeborenen Kinder, oft Zwillinge, bekommen auch in den Rudeln in der Wildnis stets den Rang direkt unter der Mutter. Sie lernen unter ihrer Aufsicht und mit ihrer Hilfe, tiefer gestellte Tiere zu dominieren. Das gilt auch in den seltenen Fällen, in denen Weibchen verwaiste Junge adoptieren; um das zu erkennen, haben die IZW-Forscher die Daten aus dem Ngorongoro-Krater und des vor 26 Jahren von Höners Kollegin Marion East und dem heutigen Institutsdirektor Heribert Hofer begründeten Langzeitprojektes an den Serengeti-Tüpfelhyänen gemeinsam ausgewertet.

Bis zu 69 Tiere verteidigen gemeinsam die Beute

Geschlechtsreife Männchen verlieren jedoch ihren Rang, wenn sie das Rudel verlassen. Töchter werden von jüngeren Geschwistern verdrängt; wenn es Weibchen sind, bleibt die Ältere ihr Leben lang unter der Jüngeren. So kommt es, dass ein Putsch im Hyänenreich meist von einer früh geborenen Tochter des Alphaweibchens ausgeht. Dies ist schon fast die einzige Möglichkeit, sozial aufzusteigen. Wer als Junges eines Weibchens in unteren Rängen zur Welt kommt, bleibt in der Mittelschicht der Hyänengesellschaft gefangen.

Das Leben in der Gruppe macht die Hyänen offenbar recht intelligent, haben vor allem US-Forscher festgestellt. Wissenschaftler aus der Gruppe von Kay Holekamp von der Michigan State University etwa spielten Hyänen im Masai-Mara-Nationalpark in Kenia die Rufe fremder Tiere vor. Sie reagierten unterschiedlich, je nachdem, ob sie Laute von einem, zwei oder drei Tieren hörten. In anderen Experimenten zeigten sich die Hyänen sehr kreativ darin, Leckerbissen aus Schachteln zu ergattern, die die Forscher aufgestellt hatten - sofern sie es wagten, sich den fremdartigen Gegenständen zu nähern.

Der Rang im Rudel entscheidet darüber, wer sich als erster an einem gemeinsam gerissenen Beutetier sattfressen darf. Die Hyänen jagen im Rudel Gnus, Zebras und Büffel. Während ausgewachsene Exemplare der Raubtiere die 150 bis 200 Kilogramm schweren Gnus allein oder zu zweit erlegen können, müssen bei der Jagd nach einem Zebra fünf oder sechs Tiere und bei der Hatz eines Büffels 15 oder 20 Hyänen mitmachen.

Die Hyänen suchen sich dabei ein Tier aus, das sie wegen einer Besonderheit im Aussehen wiedererkennen, wenn es sich in eine Gruppe flüchtet, und hetzen es bis zur totalen Erschöpfung. Tauchen danach die Löwen auf, um dem Clan die Beute streitig zu machen, müssen auch mal bis zu 60 Erwachsene eines Rudels zusammenstehen. Sie können sich dann häufig gegen die Raubkatzen durchsetzen - solange sich kein erwachsenes Löwenmännchen einschaltet.

Tierfilmer zeigen Hyänen oft als feige

Aus der Konkurrenz zu den Löwen erwachsen viele der Vorurteile, die Menschen über Hyänen hegen, vermutet Höner. Die Tiere gelten als grausam, feige und verschlagen - jedenfalls seit Alfred Edmund Brehm dies in seinem Werk "Tierleben" behauptete. Tierfilme zeigten oft, dass Hyänen im Hintergrund lauern, wenn Raubkatzen an einer frischen Beute fressen. Für den Zuschauer sieht es so aus, und der Kommentar bestärkt den Eindruck, als wollten die falschen Hyänen den edlen Löwen ihre Beute streitig machen. "Aber wenn man genau hinschaut, sind oft die Hyänen am Kopf und Hals blutig", sagt Höner. "Das heißt, sie haben die Beute gerissen, und die Löwen haben sie gestohlen."

Oft wird Hyänen nachgesagt, sie töteten ihre Beute nicht, sondern fräßen sie bei lebendigem Leib. Tatsächlich können Hyänen höchstens Kälber von Gnus mit einem gezielten Biss töten, bei größeren fressen sie sich durch die Eingeweide, bis das gefallene Tier verendet. "Wir hoffen immer, dass die Beute im Schock ist, wenn das passiert", hat Höners Kollegin Kay Holekamp das Verhalten in einem Bericht für die New York Times beschrieben.

Höner erkennt in dem verstörenden Anblick eine gewisse Logik: "Hyänen können sofort nach einer langen Jagd fressen, während jede Raubkatze sich erst erholen und die Physiologie umstellen muss. Die Hyänen vermeiden damit auch Konflikte, die entstehen, wenn man ein totes Tier bewachen muss, bevor man davon fressen kann."

Die gemeinsame Jagd und die Verteidigung der Kadaver sind nur ein Aspekt des Soziallebens der Hyänen. Der Wortbestandteil "sozial" steht dabei allerdings nicht unbedingt für gegenseitige Fürsorge. Wenn die Tiere allein ein Stück Aas finden oder ein kleines Tier reißen, geben sie den anderen nicht Bescheid. Mütter kümmern sich zwar ausgiebig um ihren Nachwuchs, säugen sie bis zu zwei Jahre mit sehr gehaltvoller Milch, aber von Vätern oder Tanten kommt wenig Unterstützung. "Das ist anders als bei Wölfen oder Wildhunden, die aufeinander achten, sich beschnüffeln und lecken und gemeinsam aufbrechen", sagt Höner. Die Begrüßungs- und Schnüffelrituale der Hyänen stehen deutlich unter dem Zeichen der Hierarchie.

Mütter vertreiben die Söhne, um Inzucht zu vermeiden

Die Tiere bilden Koalitionen und schließen durch gegenseitige Fellpflege so etwas wie Freundschaften abseits der direkten Mutter-Tochter-Beziehungen. Diese spielen offenbar eine Rolle, wenn es zu Machtkämpfen kommt und entscheiden unter den Männchen mit darüber, ob sie bei der Paarung von den - immer höhergestellten - Weibchen ausgewählt werden. Kein Männchen kann aus seinem Rang oder den Freundschaften das Recht ableiten, ein läufiges Weibchen zu begatten. Erzwingen kann es die Paarung erst recht nicht. Hyänendamen sind frei in ihrer Entscheidung, auch weil ihre Anatomie es erfordert, dass sie bei der Paarung eine bestimmte Haltung einnehmen.

Die Abläufe bei der Partnerwahl, die Höner und seine Kollegen inzwischen entschlüsseln konnten, dienen offenbar der Vermeidung von Inzest. Junge Weibchen paaren sich in der Regel nicht mit einem Männchen, das schon bei ihrer Geburt im Rudel lebte, also ihr Vater sein könnte. Und ältere, höherrangige Weibchen wählen ihre Partner aus einer Gruppe von etwas jüngeren Männchen, die sie seit Jahren kennt, ihrer Clique sozusagen.

Bei Eintritt der Geschlechtsreife müssen die Söhne gehen

Die Söhne, die aus diesen Paarungen hervorgehen, verlassen das Rudel in der Regel, wenn sie mit drei Jahren geschlechtsreif sind. Sie schließen sich einer anderen Gruppe an, wo sie zunächst als rangniedrigste Tiere aufgenommen werden. Bis sie sich dort zum ersten Mal paaren, vergehen oft mehrere Jahre.

Immerhin geben die hochrangigen Weibchen ihren Söhnen offenbar eine Art Startvorteil mit, wenn diese in der Fremde ihr Glück suchen, hat das IZW-Team erkannt. Die Halbwüchsigen wählen nicht nur bessere Gruppen, also solche mit vielen jungen Weibchen, in deren Clique sie gute Chancen haben, oft Vater zu werden. Sie zeugen im Mittel auch zwei Jahre früher Nachwuchs als die Söhne von Hyänenmüttern von niedrigem Rang. "Womöglich haben die bessergestellten Männchen eine höhere Stressresistenz", vermutet Höner. Die Forscher werten gerade Kotproben auf Stresshormone aus.

"Die Hyänen sind ein einzigartiges Beispiel", sagt Höner. Die Weibchen erzwingen zum Beispiel, dass die jungen Kerle das Rudel wechseln, weil sie sonst keine Chance auf Fortpflanzung haben. "Es wird oft gesagt, die Männchen gehen, um Inzucht zu vermeiden", sagt Höner, "aber das ist ein Denkfehler. Den Männchen ist das eigentlich egal, sie haben ja kaum Aufwand mit dem Nachwuchs." Die Weibchen müssten viel mehr Interesse daran haben, ihre Fürsorge nicht an womöglich kranke Junge zu vergeuden.

Das System scheint zu funktionieren: Von 980 Jungtieren im Ngorongoro-Krater entstammten in den vergangenen 15 Jahren nur zwei der Paarung einer Tochter mit ihrem Vater.

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