Sozialverhalten:Freundschaftsdienste unter Ratten

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Ratten befreien eingesperrte Artgenossen. Empfinden die Nager Mitgefühl? Wenn ja, dann nicht für jede andere Ratte im gleichen Ausmaß. Sie helfen vor allem vertraut erscheinenden Tieren.

Von Christopher Schrader

Der Plexiglaszylinder war nur wenig größer als die Ratten, die darin eingesperrt wurden. Sie bekamen genug Luft und erlitten keine Schmerzen, aber sie konnten sich auch nicht bewegen. In ihrem Stress quietschen die Tiere, und soweit man die Laute als Hilferufe verstehen konnte, richteten sie sich an die Albinoratte, die draußen um den Zylinder herumschnüffelte.

Sie hatte in der Tat die Möglichkeit zu helfen: Sie musste nur mit der Schnauze die Plexiglastür vor dem Gesicht der anderen Ratte hochheben; von innen war die Klappe ganz glatt, aber außen gab es einen Hebel.

Die weißen Nager draußen brauchten zwar meist mehrere Trainingseinheiten, um das zu verstehen, aber danach war es nur noch eine Frage der Motivation, ob der Albino dem eingesperrten Artgenossen half.

Diese Versuche, die das Team um Inbal Ben-Ami Bartal und Peggy Mason an der University of Chicago gemacht hat, erkunden so klar wie wenige andere Experimente die Grenzen altruistischer Hilfe im Tierreich. Den Albinos bot sich keine andere Belohnung, als den Artgenossen aus seiner Zwangslage befreit zu sehen. Kein Futter, keine Drogen, nur die Aussicht mit dem anderen spielen zu können oder vielleicht auch kämpfen zu müssen.

Für wen würden sie die Tür öffnen: für Vertraute oder auch für Fremde? Nur für ebenfalls weiße oder auch für die schwarz-gescheckte Ratte eines genetisch unterschiedlichen Stamms? Die Nager machten jedenfalls charakteristische Unterschiede: "Allein mit der Not der gefangenen Ratten sind die Ergebnisse nicht zu erklären", so die Forscherinnen.

Sie testeten ihre weißen Ratten - wie die eingesperrten Partner sämtlich junge Männchen - jeweils für zwölf Tage am Stück; in dieser Zeit kamen sie stets für eine Stunde in den Versuchskäfig mit dem Plexiglaszylinder. Die Experimente fingen mit der einfachsten Bedingung an. Fast alle Versuchstiere öffneten die Tür für Artgenossen, mit denen sie 23 Stunden am Tag den Wohnkäfig teilten, ob sie nun ebenfalls weiß oder gescheckt waren.

Und sie befreiten auch täglich wechselnde, fremde Albino-Ratten. Das gelang ihnen fast sogar etwas schneller als bei den Käfigpartnern, weil sie bei den Tests mit den Unbekannten weniger aufgeregt durch den Käfig sausten. Fast immer brauchten die Ratten vier Tage, um den Mechanismus zu durchschauen ( eElife, online).

Waren die Fremden in der Röhre jedoch gescheckte Ratten, kümmerten sich die draußen herumlaufenden Albinos kaum um die Eingesperrten; nur jede vierte Ratte öffnete dann den Käfig.

Es kommt auf die Erfahrungen an

Tatsächlich brauchten die Albinos eine soziale Erfahrung mit dem anderen Nagerstamm, um sich anders zu verhalten. Zwölf Albinos wurde also für zwei Wochen mit jeweils einer schwarz-gescheckten Ratte zusammen in einen Wohnkäfig gebracht, dann aber wieder mit einer anderen weißen gehalten.

"Bei den Versuchen haben sich die Tiere daran erinnert, dass sie einmal mit einer schwarz-gescheckten Ratte zusammen waren", sagt Mason, "und dann verhielten sie sich sozial auch gegenüber anderen Tieren, die so aussehen." Zwei Drittel der weißen Ratten öffneten jetzt fremden schwarz-gescheckten Tieren den Käfig.

Dass die Gene mit dem altruistischen Verhalten fast überhaupt nichts zu tun haben, zeigte das Team mit der letzten Runde von Versuchen. "Es gibt ja keine Spiegel in der Natur. Die Identität der Tiere wird also dadurch geformt, was sie sehen", sagt Mason.

Die Forscherinnen hatten darum neugeborene weiße Ratten in einen Wurf von gleichaltrigen schwarz-gescheckten gegeben, bevor die Kleinen zum ersten Mal die Augen öffneten. Die Albinos wuchsen also bei Adoptiveltern und -geschwistern auf, die alle anders aussahen als sie selbst.

Als sie dann in den Versuchskäfig kamen, befreiten sie schwarz-gescheckte Fremde, interessierten sich aber nicht für die weißen. Das Verhalten hatte sich also umgekehrt. Allerdings waren die adoptierten Ratten insgesamt nervöser als diejenigen, die von der leiblichen Mutter gesäugt worden waren. Sie brauchten vier Tage länger, um die Tür für die Eingesperrten zuverlässig zu öffnen; die Forscherinnen mussten den zwölftägigen Versuch deswegen sogar verlängern.

"Trotzdem war es eine deutliche Bestätigung, dass es nur auf die soziale Erfahrung ankommt, wenn sich die Ratten entscheiden, ob sie helfen oder nicht", sagt Inbal Bartal. Die Forscherinnen scheuen sich nicht, dieses Verhalten der Tiere "Empathie" zu nennen. Die Ratten spürten die Notlage der Eingesperrten mehr oder weniger, je nachdem ob sie soziale Erfahrungen mit deren Stamm gemacht hatten, und handelten dann mit Absicht.

( Ein interessanter Dreh zu der Studie steht hier.)

© SZ vom 17.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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