Süddeutsche Zeitung

Sozialer Status im Neolithikum:Die Steinzeit-Elite

Schon vor 7000 Jahren gab es große soziale Unterschiede. Auf der Leiter ganz oben stand, wer Besitz - sprich: eine ordentliche Axt - vorzuweisen hatte.

Christian Weber

Diese Vorstellung ist ein Dauerbrenner der romantischen Zivilisationskritik: Vor der Entstehung moderner Gesellschaften lebten die Menschen als Brüder und Schwestern in Freiheit und Gleichheit. Erst mit der Erfindung des Eigentums kam die Zwietracht, die Gewalt und leider auch die Ungleichheit in die Welt. Mag ja so sein, bestätigen jetzt Prähistoriker um Alexander Bentley von der University of Bristol im Fachmagazin PNAS (online).

Allerdings begann ihren Forschungen zufolge diese Phase der menschlichen Geschichte schon sehr früh, nämlich vor rund 7000 Jahren im frühen Neolithikum. Und schon damals scheinen sich insbesondere die Männer über ihren Besitz definiert zu haben. Besonders wichtig: eine ordentliche Steinaxt, mit der sich etwa Holz schlagen und glätten ließ. Dieses Gerät nahmen ihre Besitzer, wie die Archäologen schon länger wissen, meist bis in ihr Grab mit.

Bentley und Kollegen konnten nun über eine für ihre Wissenschaft typische, etwas verwinkelte Argumentationskette nachweisen, dass die steinerne Grabbeigabe in der Tat ein möglicher Hinweis auf gesellschaftliche Ungleichheit ist. Die Forscher untersuchten mehr als 300 neolithische Skelette aus sieben Fundorten in Mitteleuropa.

Mit Hilfe der sogenannten Strontium-Isotopen-Methode analysierten sie den Zahnschmelz der Skelette, weil sich in ihm das für einen geografischen Ort typische Isotopen-Verhältnis niederschlägt. Strontium-Isotope gelangen nämlich über verwittertes Gestein, Wasser und Boden in die Nahrungskette und hinterlassen letztlich auch beim Menschen ein spezifisches Profil in den Zähnen.

Die Analyse ergab, dass diese Isotopen-Signatur bei den Axt-Besitzern deutlich weniger variiert als bei den Menschen ohne dieses Werkzeug. Die Forscher interpretieren diesen Sachverhalt so, dass die Axt-Besitzer offensichtlich Zugang zu besseren Böden hatten, so dass sie lange an einem Ort blieben. Die werkzeuglosen Frühbauern hingegen suchten ständig nach neuen Anbauflächen und wechselten ihre Territorien - was sich auf ihr Isotopenprofil auswirkte. "Die mit Äxten begrabenen Männer scheinen sich von Nahrung ernährt zu haben, die auf Löss-Boden wuchs, der fruchtbaren und ertragreichen Erde, die von den frühen Bauern bevorzugt wurde", sagt Hauptautor Bentley. "Das deutet darauf hin, dass sie dauerhaften Zugang zu den beliebten Anbauböden hatten." Womöglich blieben die Männer sogar über Generationen an einem Ort und vererbten ihr Land an die Söhne.

Die Töchter hingegen waren wohl weniger sesshaft. Die Strontium-Isotopen-Analyse zeigte nämlich außerdem, dass die Frauen in den neolithischen Familien häufiger von entfernten Orten stammten. Somit unterstützt die physikalische Analyse eine Vermutung, für die bereits archäologische, genetische, anthropologische und sogar linguistische Belege vorliegen: Im neolithischen Europa herrschte ein sogenanntes patrilokales Familiensystem, bei dem die Frauen mit der Heirat an den Wohnsitz ihrer Männer zogen. Solche Erkenntnisse, so die Studienautoren seien wichtig, um die großen menschlichen Wanderungsbewegungen in der Prähistorie besser zu simulieren.

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SZ vom 30.05.2012/beu
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