Soziale Traditionen bei Schimpansen:Laus mich so!

Beim gegenseitigen Kraulen, beim Nüsseknacken und vielleicht sogar beim Spielen haben Schimpansengruppen erlernte Vorlieben, berichten Wissenschaftler. Das zeigt: Auch Tiere entwickeln kulturelle Traditionen - ähnlich wie Menschen.

Christian Weber

Es ist ein für menschliche Primaten etwas bizarres Ritual, das der Forscher Patrick Mwika im Hof des Chimfunshi Wildlife Orphanage Trust in Sambia gefilmt hat. Zwei Schimpansen - Alpha-Männchen Zsabu und Noel - sitzen sich gegenüber im Gras, die linken Arme in die Luft gestreckt, die Handflächen aneinander gedrückt. Gleichzeitig kraulen und lausen sie sich mit dem jeweils freien Arm gegenseitig unter den Achselhöhlen. Nach einiger Zeit wechseln sie die Arme und bedenken die andere Achselhöhle mit ihrer liebevollen Aufmerksamkeit.

Was dem Laien lediglich ein lustiges Youtube-Video ist, gilt Forschern als ein weiterer kleiner Beleg dafür, dass Schimpansen soziale Traditionen entwickelt haben. So argumentiert zumindest in einer neuen Studie ein internationales Team von Primatologen um Edwin van Leeuwen und Katherine Cronin vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im holländischen Nijmegen (Proceedings of the Royal Society B, online).

Dabei stützen sie sich nicht nur auf ein paar Videos. Die Forscher beobachten vielmehr mehrere Jahre lang insgesamt 90 Schimpansen aus vier Gruppen, die alle eine ähnliche genetische Ausstattung hatten und alle im Chimfunshi Park lebten, also unter weitgehend identischen ökologischen Umständen. Das ist wichtig, um ausschließen zu können, dass unterschiedliches Verhalten schlicht angeboren oder lediglich eine Reaktion auf die Umwelt ist.

Nach mehr als 1000 Stunden Beobachtungszeit und der Analyse von 1394 Lause-Begegnungen mit Handkontakt unter den Schimpansen sind sich die Studienautoren sicher: Die verschiedenen Gruppen haben unterschiedliche Stile entwickelt, wie sie sich lausen und sich dabei - so nennen es die Forscher - die Hände schütteln.

Unterschiedliche Rituale der Begrüßung

Die einen ergreifen dabei in aller Regel die Hand ihres Gegenübers, die anderen schlingen jeweils ihre Hand um das Handgelenk des anderen. Das sind subtile, aber für Verhaltensbiologen signifikante Unterschiede, so wie man sie auch von Menschen kennt, die je nach Kultur, sozialem Milieu oder Freundeskreis unterschiedliche Rituale der Begrüßung pflegen.

Wir wissen nicht, welche Mechanismen für diese Unterschiede verantwortlich sind", sagt Leeuwen. "Aber unsere Studie zeigt zumindest, dass diese Schimpansen-Gemeinschaften über die vergangenen fünf Jahre lokale Lause-Traditionen entwickelt und aufrechterhalten haben."

Mehr noch, dieses Verhalten scheint über die Generationen hinaus vermittelt zu werden. "Das erste Händeschütteln findet sich meist bei Jungtieren in Gemeinschaft mit ihrer Mutter", sagt Co-Autor Mark Bodamer von der Gonzaga University in Spokane/Washington. "Diese Beobachtung stützt die Annahme, dass Schimpansen ihre lokale Tradition sozial lernen."

Bodamers These passt zu einer ganzen Reihe von Forschungsergebnissen aus den vergangenen Jahren. So gilt mittlerweile als geklärt, dass Schimpansen nicht nur Werkzeuge wie Stöcke zum Termitenangeln oder Blätter zum Wasserschöpfen entdeckt haben, sondern auch Kulturen für den Gebrauch dieser Werkzeuge entwickelt haben.

So berichteten im Mai dieses Jahres Lydia Luncz, Roger Mundry und Christophe Boesch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, dass drei benachbarte Schimpansengruppen im Taï-Nationalpark an der westafrikanischen Elfenbeinküste verschiedene Hämmer zum Nüsseknacken nutzen.

Luncz ermittelte, wie die Gruppen mit der Tatsache umgehen, dass die bevorzugten Nüsse der Tiere zu Anfang der Saison besonders hart sind, sich später aber leichter knacken lassen. Es zeigte sich, dass die Nord- und die Ostgruppe in der Region zuerst Steinhämmer verwendeten, diese aber später durch Holzhämmer ersetzten. Die Südgruppe hingegen blieb das ganze Jahr über bei den Steinhämmern.

Unterschiede gab es auch bei der Größe der Werkzeuge: Die Nordgruppe verwendete die kleinsten Hämmer, während die Ostgruppe zum Ende der Saison hin größere Hämmer nutzte. Die Südgruppe wiederum benutzte die ganze Zeit über große Hämmer. Diese Ergebnisse sind besonders relevant, weil in allen drei Territorien genügend Stein und Holz vorhanden war und auch Anzahl und Härte der Nüsse vergleichbar waren.

"Ähnlich wie beim Menschen können auch Schimpansen kulturelles Wissen abrufen, um verschiedene Lösungen für eine bestimmte ökologische Herausforderung zu finden und diese an die nächste Generation weiterzugeben", sagt Luncz.

Auch Schimpansen spielen mit Puppen

Noch überraschender war eine Studie, die die Primatologen Sonya Kahlenberg und Richard Wrangham von der Harvard University Ende 2010 im Fachmagazin Current Biology veröffentlichten. Anhand von Beobachtungsdaten, die über 14 Jahre lang im Kibale Nationalpark in Uganda erhoben worden waren, wollen sie herausgefunden haben, dass junge Schimpansenweibchen vor der ersten Mutterschaft simple Äste als rudimentäre Puppen nutzen, mit denen sie spielen.

So nahmen einige der Weibchen die Stock-Puppen mit ins Bett, warfen sie spielerisch mit Händen und Füßen in die Luft. In allerdings nur einem sicher dokumentierten Fall baute ein Weibchen sogar ein Schlafnest für das Stöckchen. Bei Männchen fanden sich solche Verhaltensweisen kaum.

In ihrem Aufsatz spekulieren die beiden Wissenschaftler auch darüber, ob sich ihre Befunde als Hinweise auf ein geschlechtsspezifisches Spielverhalten deuten lassen. Doch gestehen sie dann, dass sie womöglich auch bei den Schimpansen-Puppen in Kibale zumindest teilweise auf die kulturelle Hypothese zurückgreifen müssen.

"Das Faszinierende an unseren Befunden ist, dass sich kaum etwas Vergleichbares in anderen Schimpansen-Gemeinschaften findet, was die Frage erlaubt, ob die Schimpansen womöglich nur eine lokale Verhaltenstradition kopieren", sagt Wrangham. "Dies könnte ein netter Fall sein, bei dem biologische und soziale Einflüsse miteinander verflochten sind."

Auf jeden Fall ist es von der üblichen Lebensplanung im Dschungel her gesehen sinnvoll, wenn sich Schimpansenweibchen - wie auch immer ausgelöst - auf ihre künftige Mutterrolle vorbereiten. Schwieriger wird die Frage zu beantworten sein, wieso sich ihre Artgenossen im Chimfunshi Wildlife Orphanage Trust in Sambia komisch an den Händen halten - und vor allem, warum sie es auf leicht unterschiedliche Weise tun. Aber solche Fragen stellt man sich unter Menschen ja auch gelegentlich.

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