Sowjetunion im Kalten Krieg:Geheime Weltraum-Kampfstation mit Defekt

Sowjetunion im Kalten Krieg: Polyus auf der Startrampe

Polyus auf der Startrampe

(Foto: Moyline Buran)

Im Kalten Krieg wollten die USA und die UdSSR auch im Weltraum aufrüsten. Parallel zu Reagans "Star Wars"-Programm schraubten die Sowjets an einer Laser-Kampfstation. Das Monstrum scheiterte grandios - an einem winzigen Softwarefehler.

Von Christoph Behrens

Als Ronald Reagan den Weltraum militärisch nutzen wollte, hatte die Presse nur Hohn übrig. Eine "Vision, die sich an Telespielen orientiert", schrieb TIME 1983 über die Pläne des US-Präsidenten, einen Raketen-Schutzschild im Weltall aufzubauen. Ein Schwarm Kampfsatelliten in der Umlaufbahn sollte jede sowjetische Interkontinentalrakete in der Atmosphäre in die Irre leiten, so der Plan. Mit dieser "Strategic Defense Initiative" (SDI) wollten die USA das technologische Gleichgewicht der Supermächte aus den Angeln heben und das "Reich des Bösen" - so hatte Reagan die Sowjetunion kurz zuvor genannt - in die Knie zwingen. Die Opposition hatte schnell einen anderen Titel für die Pläne gefunden: "Star Wars" hieß das SDI-Konzept bald in der Öffentlichkeit.

In Moskau lachte man weniger über die Pläne - sie beunruhigten die Militärstrategen zutiefst. Die Sowjets hatten vermutlich schon in den Sechzigerjahren erkannt, dass Satelliten einen militärischen Nutzen haben könnten. Auch eigene Pläne für Abwehrsysteme im All lagen schon in den Schubladen. So dachte Moskau etwa unter dem Decknamen "Kaskad" an eine Raketenplattform, die gegnerische Satelliten abschießen sollte.

Laser gegen Laser

Diese exotischen Projekte dümpelten lange in der Entwicklung vor sich hin. Der amerikanische Startschuss für SDI katapultierte sie auf der politischen Agenda nach oben. So arbeiteten die Sowjets in den Achtzigern intensiv an der Kampfstation Polyus-Skif, die speziell konzipiert war, den SDI-Abwehrschirm zu kontern. Konstantin Lantratov, ein ehemaliger Presseoffizier der sowjetischen Weltraumindustrie, hat die Entwicklung von Polyus-Skif anhand von historischen Dokumenten analysiert und öffentlich gemacht.

Die Planung sah Lantratov zufolge so aus: Ein Block der Konstruktion enthielt kleine Triebwerke, um die Station auf ihre finale Umlaufbahn zu lenken. Der zweite Block diente dem Angriff. Die Ingenieure wollten dort Kohlendioxid-Tanks und zwei Generatoren unterbringen, um einen rund ein Megawatt starken Kohlendioxidlaser anzutreiben. Die Generatoren sind bei diesem Lasertyp nötig, um Gasmoleküle aus den Tanks anzuregen. Nach der Aktivierung purzeln die Teilchen synchron auf ein geringeres Energieniveau, der Laserstrahl bündelt die frei werdende Energie. So eine Laserwaffe war bereits erfolgreich von einem Transportflugzeug aus getestet worden. Jetzt sollte sie im Konfliktfall von der Erdumlaufbahn aus Jagd auf das Abwehrsystem der Amerikaner machen. "Ein Laserangriff auf einen Satelliten würde ihn zwar nicht in seine Einzelteile zerlegen, aber vermutlich seine ganze Elektronik lahmlegen", sagt der emeritierte Weltraumhistoriker John Logsdon von der Universität Washington DC, "als schlüge ein Blitz ein."

Dieses mächtige Bild muss auch den Männern im Moskauer Politbüro vorgeschwebt haben, denn sie erklärten Polyus-Skif zum Projekt mit höchster Priorität. Bis zu 70 Abteilungen der sowjetischen Luftfahrtindustrie sollen zeitweise damit befasst gewesen sein.

Sie schufen ein Monstrum. Ihre fertige Kampfstation wog rund 80 Tonnen, war 40 Meter lang und vier Meter breit. Zum Vergleich: GPS-Navigationssatelliten wiegen zwischen 700 Kilogramm und zwei Tonnen. Die Dimensionen von Polyus waren wohl auch einer gewissen Flickschusterei bei der Entwicklung geschuldet. Teile entnahm man dem glücklosen Buran-Shuttleprogramm, dem russischen Pendant zum amerikanischen Spaceshuttle. Andere Komponenten stammten aus Überresten der in der Entwicklung steckengebliebenen Almaz-Raumstation.

Sowjetunion im Kalten Krieg: Polyus-Skif in der Montagehalle

Polyus-Skif in der Montagehalle

(Foto: RKK Energija)

So etwas Schweres war noch nie zuvor ins All geschossen worden. Zum Glück für die Ingenieure schraubten die sowjetischen Labors zeitgleich an einer mächtigen Rakete, der Energija. Die technischen Probleme waren jedoch enorm. Ein großer Gaslaser erfordert eine aufwändige Kühlung, die Generatoren haben bewegliche Teile, die stabilisiert werden müssen. Die Zielerfassung war unausgereift.

Schlüsselmanöver versemmelt

Daher entschlossen sich die Planer, zunächst einen Prototypen (genannt Skif-DM für "Demonstrationsmodell") ins All zu schießen. Wenigstens die Grundkomponenten wie das Radarsystem sollten so getestet werden. "Skif-DM war ein Testsatellit, er hatte keine Waffe an Bord", erklärt US-Historiker Logsdon. Auch KP-Generalsekretär Michail Gorbatschow sei kein Freund der Aufrüstung im All gewesen. "Er bestand darauf, es bei Polyus-Skif nicht zu übertreiben", sagt Logsdon. Gorbatschow selbst war es wohl, der weitere Einschränkungen verordnete: So befahl der Kreml, es dürfe auch kein Gas zu Testzwecken austreten, um die USA nicht zu verschrecken. So ein großes Objekt im Orbit würde zwar ohnehin nicht unbemerkt bleiben. Signaturen von Kohlendioxid würden die USA jedoch sofort als Laserexperimente deuten. Gorbatschow wollte die Amerikaner vermutlich nicht zu sehr ängstigen - aber demonstrieren, dass er es konnte.

Im Mai 1987 hob die Rakete mit Skif-DM im Gepäck ab. Energija funktionierte tadellos und koppelte die kastrierte Kampfstation punktgenau ab. Weil die Station jedoch kopfüber ins All flog, musste sie sich um 180 Grad drehen, bevor die Triebwerke Schub gaben. Statt einer halben vollführte Skif-DM jedoch zwei ganze Umdrehungen - und lag damit wieder in der Ausgangsposition da. "In ihrer Eile, so ein kompliziertes Raumschiff zu starten, hatten die Entwickler einen winzigen Softwarefehler übersehen", schreibt Dwayne Day vom amerikanischen National Research Council in einer Analyse für Air&Space. "Der Antrieb zündete, und Skif-DM flog zurück in die Atmosphäre, die sie gerade verlassen hatte." Das Schiff zerbrach über dem Pazifik in seine Einzelteile und verglühte.

Von weiteren Starts nahmen die Planer Abstand, ohnehin hatte Gorbatschow bereits die Perestroika und damit das Ende des Kalten Kriegs eingeläutet.

Das Weltall als utopischer Ort

Auch dem amerikanischen SDI-Programm war kein Erfolg beschieden. "Die technische Entwicklung von Lasersystemen für den Orbit ging nicht so schnell vorwärts wie erhofft", sagt Logsdon. Von Strahlenwaffen rückten die Amerikaner ab, doch der Weltall blieb auch für die Regierung von George Bush Senior eine strategische Spielwiese: Im Programm "Brilliant Pebbles" etwa wollte Bushs Regierung tausende Satelliten mit melonengroßen Wolfram-Geschossen bestücken und auf gegnerische Objekte feuern lassen.

Erst Bill Clinton beendete in den Neunzigerjahren den Unfug im All. Für die Welt war das Scheitern der Militarisierung ein großes Glück. Seit jeher war der Weltraum ein friedlicher Ort. "Weltraumtechnik ist jedoch nie eindeutig zivil oder militärisch, die Grenzen sind fließend", gibt der Historiker Tilman Siebeneichner von der FU Berlin zu bedenken. Das europäische Satellitennavigationssystem Galileo lasse sich im Krisenfall beispielsweise auch nutzen, um militärisches Gerät zu dirigieren.

Siebeneichner untersucht an der FU Berlin die Militarisierung des Alls. "Der Höhepunkt des Space Age war die Mondlandung 1969, danach steckte die Raumfahrt in einer Krise", sagt der in der Emmy Noether Forschergruppe "Die Zukunft in den Sternen" beschäftigte Historiker. Erst Reagan lieferte mit SDI wieder Stoff zum Träumen. "Die Idee Reagans vom Weltraum als hohem Schlachtfeld, in dem das Gute sich bewähren muss, ist ja extrem utopisch", sagt Siebeneichner. Damit habe Reagan zumindest "das All wieder ein wenig zu einem Ort für Visionen gemacht".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: