Süddeutsche Zeitung

Sommerzeit:Mittag um Viertel vor drei

Wer hat an der Uhr gedreht? Heute Nacht beginnt die Sommerzeit, die Uhren müssen eine Stunde vorgestellt werden. Das führt in Westeuropa zu paradoxen Effekten.

Von Patrick Illinger

Wenn Engländer im Sommer nach Andalusien fahren, dann tun sie etwas Paradoxes. Sie reisen nach Westen, aber ihre Uhren stellen sie um eine Stunde nach Osten. Der Grund ist simpel: Der Westen Spaniens liegt zwar westlich der britischen Insel, aber es gilt dort die auch in Deutschland übliche Mitteleuropäische Sommerzeit MESZ. Diese unterscheidet sich um eine Stunde von der britischen Greenwich-Zeit GMT, allerdings sozusagen in die verkehrte Richtung. In Spanien ist es 13 Uhr, wenn die Uhren in Großbritannien erst zwölf Uhr zeigen. Dabei geht die Sonne morgens zuerst in England auf, bevor sie auf die iberische Halbinsel trifft.

Die Astronomie schert sich eben nicht um menschengemachte Zeitzonen. Deshalb kommt es in Spanien zu einer beträchtlichen Differenz zwischen dem Zeitpunkt, an dem die Sonne tagsüber ihren höchsten Punkt am Himmel erreicht (und genau im Süden steht), sowie jenem Moment, an dem es gemäß der geltenden Uhrzeit Mittag ist. Anders gesagt: Wenn die Sonne am stärksten über Malaga brennt, ist es dort beispielsweise am 1. August nicht zwölf Uhr mittags, sondern 14.24 Uhr.

Niemand weiß, wann tatsächlich Mittag ist

Sicherlich, das passt gut zur Mentalität in Spanien, wo bekanntlich zwischen etwa 13 Uhr und der Tageszeit, zu der in Deutschland viele Arbeitnehmer bereits den Feierabend einläuten, die berühmt-berüchtigte Siesta gehalten wird. Da trifft es sich, wenn erst um halb drei Mittag ist, zumal die Spanier ja auch ihr Abendessen gern kurz vor Mitternacht verzehren. Es gibt aber noch einen weniger kulturellen als klar medizinischen Vorteil. Dank der Siesta vermeidet man auch die Phase der stärksten Sonnenstrahlung und damit zweifellos eine beträchtliche Dosis UV-Strahlen. Auch wenn das vermutlich nicht der Grund war, warum die Mittagsruhe in Spanien ursprünglich erfunden wurde.

Auf den Zusammenhang mit der UV-Strahlung weist Carsten Stick besonders hin. Der Professor für Medizinische Klimatologie der Christian-Albrechts-Universität in Kiel hat für die SZ die sozusagen himmelsmechanischen Mittagszeiten verschiedener Orte in Europa berechnet, um Reisenden die lokalen Sonnenhöchststände vor Augen zu führen. "Was nützt es", fragt er, "dass Dermatologen dazu raten, die Mittagssonne zu meiden, wenn niemand weiß, wann der tatsächliche Mittag der Sonne ist?" Gemeint sind sicherlich auch jene Mitteleuropäer, für die Mittag ist, wenn die Uhr zwölf schlägt.

Bei der Einschätzung von UV-Strahlen liegen Menschen oft daneben

Tatsächlich ist Mittag, wenn die Sonne am höchsten steht und somit die meiste Strahlung durch die senkrecht beschienene Atmosphäre dringt. Problematisch ist zudem, dass viele Menschen die momentane UV-Strahlung anhand der subjektiv empfundenen Wärme einschätzen - und damit oft daneben liegen. Zwar erreichen sowohl die UVB-Strahlung als auch das Licht sowie die wärmende Infrarotstrahlung ihre maximalen Bestrahlungsstärken zum Zeitpunkt der Kulmination der Sonne, erklärt Carsten Stick, "aber der Tagesverlauf der UVB-Strahlung ist viel enger auf die Mittagszeit konzentriert." Licht und Infrarotstrahlung, welche die Haut als Wärme empfindet, seien breiter über den Tag verteilt.

Am genauesten stimmt der solare Mittag mit der Mitteleuropäischen Uhrzeit entlang der deutsch-polnischen Grenze sowie in Neapel und Sizilien überein. Allerdings bewirkt auch dort die Sommerzeit, dass sich die Sonne verspätet und statt um zwölf Uhr erst gegen 13 Uhr ihren Zenit erreicht. In Westeuropa kommt dann noch die geografische Verschiebung hinzu. Die Summe dieser Abweichungen ist innerhalb der MESZ-Zone im spanischen Galicien am größten. In der dortigen Provinzhauptstadt La Coruña ist es am 1. August bereits 14.40 Uhr, wenn die Sonne am stärksten strahlt.

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Quelle:
SZ vom 29.03.2014
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