Süddeutsche Zeitung

SZ-Klimakolumne:Als sei man nie weg gewesen

Der Sommer ist fast vorbei. Was bleibt, sind die Krisen - und das Wissen, dass es schon wieder ein August der Rekorde war. Zum Glück gibt es die kleinen Dinge, die Hoffnung machen.

Von Vivien Timmler

Wahrscheinlich war sie naiv, die Hoffnung, dass der Sommer es schon richten würde. Irgendwie hatte er das ja immer getan. Stress bei der Arbeit: auf der Fahrt über den Brenner schon verflogen. Ärger mit den Nachbarn: die kriegen sich schon ein, während wir im Urlaub sind. Bürokratiestau auf dem Schreibtisch: kann warten, jetzt erstmal Sonne, Strand und Aperol.

Ein bisschen so ging es mir in diesem Jahr auch mit den Krisen, über die meine Kollegen und ich Tag für Tag berichten. Die rasant steigenden Energiepreise? Dagegen würde es Ende des Sommers doch wohl einen Plan geben. Die Inflationssorgen der Menschen? Irgendwann müsse sich die EZB ja wohl ein Herz fassen. Die vermeintliche Renaissance der Atom- und Kohlekraft? Kluge Köpfe würden die Debatte schon in die richtige Richtung lenken.

Tja, und dann kommt man nach Wochen der Urlaubsseligkeit zurück nach Deutschland - und irgendwie hat sich nichts getan. Ja, es gibt ein Entlastungspaket Nummer drei. Ja, die EZB konnte sich endlich zu einem XXL-Zinsschritt durchringen, der halt aber auch sowas von überfällig war. Und ja, die Atomdebatte ist sachlicher geworden, aber CDU und FDP finden leider nach wie vor immer neue Wege, sie wieder anzufachen. Dass sich so wenig tun würde an den multiplen Krisenherden des Jahres 2022, dass wir uns immer noch exakt die gleichen Sorgen machen wie zu Beginn des Sommers (Krieg, Corona und Klima inbegriffen), das ist dann doch einigermaßen bitter.

Zwar kein Hitzerekord, dafür ein Sonnenstundenrekord

Bitter in Bezug auf das Klima ist vor allem, dass die Vorahnung meines geschätzten Kollegen Michael Bauchmüller eingetroffen ist. Als er sich mit dem Klimafreitag-Newsletter vor vier Wochen in die Sommerpause verabschiedete, schrieb er, dass es wohl ein Sommer der Rekorde werden dürfte. Er sollte recht behalten. Historisch niedrige Flusspegel. Historisch wenig Schnee und Eis in den Bergen, so viele Gipfel unbezwingbar wie noch nie. Hinzu kommt der wärmste Sommer in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen: Die Durchschnittstemperatur lag um 0,4 Grad Celsius über dem Sommer 2021, dem bisherigen Rekordhalter, im August sogar um 0,8 Grad über der vom August 2021.

Hier bei uns in München gab es in diesem Jahr zwar keinen Hitzerekord, dafür aber einen Sonnenstundenrekord: 882,1 Stunden schien die Sonne allein zwischen dem 1. Juni und dem 31. August hier in der Stadt. Das findet man auch nur so lange schön, wie man sich eben diese auf den Kopf scheinen und die Seele an der Isar baumeln lässt. Sobald man beginnt, darüber nachzudenken, ist man fast schon geneigt, sich peinlich berührt nach drinnen zu verziehen und sich nicht ganz so sehr über den selten sonnigen Sommer zu freuen.

Sehr erfreulich hingegen finde ich es, wie sehr sich gefühlt wirklich alle anstrengen, Energie zu sparen. Dass eine Gesellschaft erst damit anfängt, wenn es wirklich eng wird (und es an den eigenen Geldbeutel geht), und nicht dann, wenn es rational betrachtet klug und die Einschnitte nicht ganz so groß wären, ist nochmal ein eigenes Thema. Bis dahin schmunzle ich neben den wirklich relevanten Einsparungen in Industrie, Handel und öffentlichen Gebäuden über die Tatsache, dass nun auch die Bundesliga ihr Flutlicht auslassen will. Darüber, dass die ersten Firmen ihre Vertreter und Dienstwarenfahrer zum Spritspartraining schicken. Und darüber, dass der Nachbar (der nette, nicht der, mit dem es immer Ärger gibt) nun schweren Herzens entschieden hat, den Jacuzzi diesen Winter nicht zu beheizen. Es sind eben doch manchmal die kleinen Dinge.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende - und bis nächsten Freitag, ab sofort erscheint der Klimafreitag-Newsletter nämlich wieder wöchentlich.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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