Soldaten der Zukunft:Die Superhelden des Pentagons

US-Militärstrategen investieren Milliarden Dollar in die Entwicklung neuer Technologien. Das Ziel sind Soldaten mit übermenschlichen Kräften, die weitgehend unverletzt die Oberhand im Feld behalten.

Hubertus Breuer

Militärs nennen es die "goldene Stunde". Jene flüchtigen Minuten, in denen sich ein schwer verwundeter Soldat meist noch retten lässt. Eine Stunde, um Bluttransfusionen zu verabreichen, Wunden zu schließen, das Herz zu stabilisieren.

Soldaten der Zukunft: Unter Hightech-Helmen, hinter Splitterbrillen und in Panzerwesten stecken immer noch Menschen. Doch geht es nach den Visionen von Militär-Forschern, werden diese immer weiter in den Hintergrund rücken.

Unter Hightech-Helmen, hinter Splitterbrillen und in Panzerwesten stecken immer noch Menschen. Doch geht es nach den Visionen von Militär-Forschern, werden diese immer weiter in den Hintergrund rücken.

(Foto: Foto: AFP)

Doch oft verstreicht die Zeit, ohne dass Hilfe kommt, und oft hätten ein paar Minuten mehr genügt, um das Leben eines Schwerverletzten zu retten. Das amerikanische Verteidigungsministerium will das kritische Zeitfenster ein Stück weiter aufstoßen - indem es das Sterben verlangsamt.

Ein Forschungsteam des Pathologen Irshad Chaudry an der University of Alabama setzt hierzu auf Östrogen. Die Wissenschaftler zapften narkotisierten Schweinen 60 Prozent ihres Blutes ab - die Tiere hätten eigentlich binnen einer Stunde sterben müssen. Doch mithilfe des Hormons bleibt der blutleere Körper mindestens drei Stunden am Leben.

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Östrogen kurbelt die Blutproduktion an und hält den Blutdruck stabil. In wenigen Jahren soll diese Methode am Menschen getestet werden - der Ausgang ist ungewiss. Solche Investitionen in innovative Notfallmedizin haben bei den US-Streitkräften Tradition. Starb im Vietnam-Krieg noch jeder vierte verwundete Amerikaner, so sind es im Irak und in Afghanistan nur noch zehn Prozent.

Ginge es nach den Phantasien des Pentagons, käme es erst gar nicht so weit. Die Strategen wollen Soldaten mit übermenschlichen Kräften, die weitgehend unverletzt die Oberhand im Feld behalten.

Für dieses Ziel entwickeln Ingenieure und Wissenschaftler, ausgestattet mit vielen Milliarden Dollar aus dem amerikanischen Wehretat, innovative Waffen, leistungssteigernde Kriegsmontur und mixen Wunderdrogen, die dafür sorgen, dass der Soldat der Zukunft unermüdlich läuft und läuft und läuft. Das Projekt heißt: "Future Force Warrior".

Beobachter von Kriegen haben längst gelernt, dass Soldaten in Gefechtssituationen wie gestresste Büroarbeiter leiden - an Informationsüberflutung. Um dem Wust an Eindrücken, Geräuschen, Meldungen und Befehlen Herr zu werden, hat die Darpa, die Forschungsorganisation des Pentagon, vor einigen Jahren das Projekt "AugCog", kurz für "Augmented Cognition" ("Erweiterte Wahrnehmung") angestoßen.

Damit ein Infanterist während eines Häuserkampfes nicht unnötig mit Funkverkehr abgelenkt wird, überwachen im Gefechtshelm eingebaute Elektroden die Hirnströme des Kämpfers. Daraus ermittelt ein Rechner, ob der Soldat ansprechbar ist oder sich in einer Stresssituation befindet.

Auch in ein Fernglas, das mit einer Sichtweite von bis zu zehn Kilometern ausgestattet, ist wird dieses System integriert. Noch bevor der Soldat eine Gefahr bewusst erkennt, soll sein EEG bereits brenzlige Situationen an die Einsatzzentrale melden. Hier stand ein Science-Fiction-Film Pate. Das vom Pentagon erdachte Superauge nennt sich "Lukes Fernglas" nach dem Feldstecher, durch den Luke Skywalker im "Krieg der Sterne" späht.

Dabei ist der effektive Umgang mit Information natürlich längst nichts alles. Ein weiteres Problem, das die Darpa angehen will, ist die Übermüdung von Soldaten im Kampfeinsatz. An der Columbia University in New York experimentiert der Neuropsychologe Yaakov Stern mit transkranieller Magnetstimulation (TMS).

Die Superhelden des Pentagons

Wenn Strom durch einen Spulendraht fließt, baut sich ein schwaches Magnetfeld auf, das Hirnzellen anregen kann. Diese Spule kann so justiert werden, dass sie die Neuronentätigkeit gezielt fördert - ein Mittel, das inzwischen gegen Schizophrenie und Depression eingesetzt wird.

Bei richtiger Einstellung stimuliert es auch jene Gehirnareale, die bei Übermüdung nur unzureichend arbeiten. Droht ein Soldat beim Nachteinsatz wegzunicken, rüttelt ihn diese Spule wieder wach. Doch Stern warnt: "Diese Technik lässt sich in naher Zukunft einsetzen, wenn man unausgeschlafen ist. Das Ziel darf aber nicht sein, den Schlaf abzuschaffen."

Damit die körperliche Ausdauer auf dem Schlachtfeld erhalten bleibt, geht das Pentagon noch andere Wege. Die Pathologin Lan Bo Chen vom Dana Farber Cancer Institut in Cambridge, Massachusetts, untersucht, wie sich die Leistung von Mitochondrien, den Energieerzeugern in Körperzellen, drastisch steigern lässt.

Eine Mischung aus Vitamin B mit einem Extrakt aus grünem Tee verdreifachte bei Ratten deren Ausdauer. Bei einem Test mit Radfahrern an der Pepperdine University in Kalifornien erreichte der Zaubertrank allerdings nur eine Steigerung von drei Prozent.

Davon zeigte sich das Pentagon wenig beeindruckt - und hofft nun eher auf Studien wie die von Michael Davis von der Oklahoma State University. Der Biologe erforscht für das Militär, wie Schlittenhunde es schaffen, fast 2000 Kilometer ohne Unterlass durch Eiseskälte zu rennen.

Iron Man als Vorlage

Die Soldaten der Zukunft sollen außerdem stark wie Superheldem sein. Kraftanzüge - irdische Versionen jener Panzerhaut, die derzeit der "Iron Man" Tony Stark in den Kinos trägt - sollen Soldaten zu gewaltigen Kraftakten befähigen.

Für das Pentagon erforschen dazu mehrere Unternehmen bereits die Möglichkeiten moderner Ritterrüstungen. Unter anderem von der Robotikfirma Sarcos im US-Bundesstaat Utah stammt der Prototyp eines hydraulischen, außen am Körper anliegenden High-Tech-Skeletts. Seinem Träger verleiht das Korsett buchstäblich übermenschliche Kräfte, Munitionskisten sind plötzlich so leicht wie Einkaufstüten. Noch hat das "Exoskelett" aber gravierende Mängel.

Von der Steckdose abgenabelt, geht dem hydraulischen System rasch der Strom aus. "Das Nachfolgemodell wird sich mehr am energieeffizienten Bewegungsablauf des Menschen orientieren", kündigt der Gründer von Sarcos, Steve Jacobsen, an.

Auch die Bewaffnung soll modernisiert werden. Seit rund 30 Jahren forscht das Pentagon an Geschossmänteln, die nicht nur aus Metall bestehen, sondern aus Materialien, die beim Aufprall explodieren.

Geschosse, Raketen und Bomben, die sonst allein auf das explosive Gemisch in der Geschosshülse aufbauen, würden dadurch ihre zerstörerische Wirkung vergrößern, und die Durchschlagskraft von EFPs ("Explosively Formed Penetrators") wäre deutlich höher.

Diese so genannten Hohlladungsgeschosse detonieren Dutzende Meter vor dem Ziel, wodurch sich ihre Splitter mit hoher Geschwindigkeit etwa in eine Panzerung bohren. Bestehen sie zudem aus reaktivem Material, explodieren sie in dem angegriffenen Objekt wie kleine Granaten. Auf eine Entfernung von siebeneinhalb Metern durchschlägt das Projektil noch eine vier Zentimeter dicke Panzerung.

Das amerikanische Militär will diese Technik - neben anderen Geschossen - für handliche, kaum ein Kilogramm wiegende Minen nutzen. Gegen solche Kampfmittel wirken die kürzlich international geächteten Streubomben beinahe harmlos.

Die Superhelden des Pentagons

All diese Forschung ginge nicht ohne viel Geld. Entsprechend ist das Forschungs- und Entwicklungsbudget des Pentagon von 47 Milliarden Dollar im Jahr 2002 auf 75 Milliarden in diesem Jahr angewachsen. Der auf die Darpa entfallende Anteil beträgt 2008 allein rund drei Milliarden Dollar, eine Summe, die 2009 um elf Prozent angehoben werden soll.

Damit finanziert der amerikanische Steuerzahler die Zukunft einer globalen Kriegsmaschinerie, die sich in ihren Visionen bereits oft vergaloppiert hat. So bewarb sich das angesehene Massachusetts Institute of Technology (MIT) vor einigen Jahren um einen mit 50 Millionen Dollar ausgeschriebenen Forschungsauftrag des Pentagon, mit dem erkundet werden sollte, wie Nanotechnologie den Kriegern der Zukunft nutzen könnte.

Das MIT illustrierte seine Vorstellungen mit einem androgynen Krieger in schwarz, der eine Ninja-Maske und ein blau leuchtendes Gewehr trug. Das MIT bekam daraufhin die Zusage, und der leitende Wissenschaftler Ned Thomas schwärmte von den kommenden Superhelden im Dienst der US-Armee. Das besagte Bild in dem Forschungsantrag hatten die Mitarbeiter des MIT allerdings nur aus einem Sciencefiction-Comic gestohlen.

Datenbrille gegen das Trauma

Statt Superhelden kehren aus dem Irak und Afghanistan jedoch oft seelisch schwer beschädigte Menschen zurück. Geschätzt 18 Prozent der US-Soldaten leiden nach ihrer Rückkehr am posttraumatischen Stresssyndrom, das mit Schlaflosigkeit, Reizbarkeit und Depression einhergehen kann. Ihnen will das Pentagon mit einer virtuellen Rückkehr in die Kriegshölle helfen.

Bei dem noch experimentellen Programm - unter der Leitung von Albert Rizzo vom Institute for Creative Technologies an der University of Southern California - werden Soldaten mit virtueller Realität zurück in den Krieg geschickt, um sich an das, was sie peinigt, zu gewöhnen. Gelingt die Therapie, werden emotionale Reaktionen von den Erinnerungen entkoppelt. So sollen Schlüsselreize für die Betroffenen entschärft werden, damit die Veteranen ein normales Leben führen können.

Zur Behandlung setzen die Soldaten eine Datenbrille auf, auf deren Bildschirm eine von ihnen zuvor beschriebene Szene dreidimensional nachgestellt ist: etwa eine Straße durch die Wüste oder Häuser in Falludja. Im Kopfhörer rasseln Panzer vorbei, Helikopter brummen am Himmel, Hundegebell ist zu hören, Schüsse.

Der Stuhl, auf dem sie sitzen, lässt sie das Dröhnen des Geländewagens fühlen. Wind bläst ihnen ins Gesicht, Dieselschwaden erfüllen den Raum. Wenn eine Mine explodiert, bebt der Boden. Mehrmals müssen die traumatisierten Veteranen diese Tortur durchleben, um Abstand zu gewinnen.

"Für Außenstehende mag die Szenerie wie ein Computerspiel wirken", erklärt Rizzo. "Aber für die Soldaten ist das Gefühl, das es hervorruft, völlig real."

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