Wie viel Energie die Sonne auf die Erde schickt, ist auch dann noch zu spüren, wenn sie längst untergegangen ist: Was die Sonne tagsüber einstrahlt, geben Beton und Asphalt, Holz und Stein nachts als Infrarotstrahlung wieder ab. Diese Strahlung verläuft in Wellenlängen, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. Von den Wärmerezeptoren der Haut kann sie aber sehr wohl wahrgenommen werden - wovon gerade die Bewohner dicht bebauter Städte in Sommernächten ein Lied singen können.
Diese Strahlung wollen Wissenschaftler aus aller Welt jetzt anzapfen, um Strom zu erzeugen. Mehrere Forscherteams arbeiten unabhängig voneinander an Solarzellen, die darauf ausgelegt sind, den infraroten Wellenlängenbereich zu nutzen. Dafür verwenden sie spezielle Halbleiter mit sogenannten thermoradiativen Dioden, die ähnlich funktionieren wie die Halbleiter konventioneller Solarzellen. "Der wichtige Unterschied besteht darin, dass die Photovoltaik-Zellen Strom aus dem Energiefluss von der Sonne zur Erde erzeugen, während thermoradiative Dioden dafür den Fluss der Infrarotstrahlung von der Erde in den Weltraum verwerten", erläutert Ned Ekins-Daukes von der University of New South Wales im australischen Sydney, der zu dieser Technologie forscht.
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Ekins-Daukes und seine Kollegen haben nun nachgewiesen, dass dieses Konzept grundsätzlich funktioniert: Sie haben eine Zelle mit thermoradiativen Dioden gebaut, die bei geringer Infrarotstrahlung eine Leistung von 2,26 Milliwatt pro Quadratmeter Fläche erreicht. Details dazu haben sie im Fachmedium ACS Photonics vorgestellt. Das erzielte Ergebnis entspricht zwar nur einem Hunderttausendstel dessen, was heute gängige Photovoltaik-Module auf gleicher Fläche leisten. Ekins-Daukes weist jedoch darauf hin, dass ihre Zelle bislang nur ein Zehntausendstel des physikalischen Potenzials ausschöpft - und auch darauf, dass die Idee, aus der Infrarotstrahlung Strom zu erzeugen, erst seit 2014 konkret diskutiert wird. Die Forschung steht also noch ganz am Anfang, während die konventionelle Photovoltaik von jahrzehntelanger Entwicklungsarbeit profitiert.
Die Zellen könnten ausreichen, um Kühlschrank oder Router zu betreiben
Nach Einschätzung von Ekins-Daukes ließen sich die thermoradiativen Dioden, eine massive Steigerung ihrer Leistung vorausgesetzt, gut mit den herkömmlichen Modulen kombinieren. "Installiert auf einem Hausdach, könnten sie genügen, um den Kühlschrank, den Wlan-Router und andere Geräte mit geringem Stromverbrauch zu betreiben, wenn die Sonne untergegangen ist", erklärt der Wissenschaftler.
Henning Helmers vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg hält den Ball dagegen lieber flach. "So interessant thermoradiative Dioden für die Stromerzeugung aus wissenschaftlicher Perspektive auch sind, so begrenzt ist doch deren Marktpotenzial", sagt der Forscher. Ihre Leistung pro Fläche sei im Vergleich zu den etablierten Solarzellen äußerst gering - und werde das perspektivisch auch bleiben. "Die Energiewende bekommen wir auch ohne thermoradiative Dioden hin", sagt Helmers. "Denn schließlich haben wir mit der Photovoltaik längst eine Technologie zur Verfügung, die ausgereift, leistungsstark und sehr kostengünstig ist."
Zumal es bei den thermoradiativen Dioden neben der Steigerung der Leistung noch eine weitere Aufgabe zu lösen gilt: Das australische Forscherteam verwendet für ihre Solarzelle Quecksilber-Cadmium-Tellurid, eine giftige, umweltschädliche Verbindung. Sie könnte zwar im ersten Schritt durch weniger problematische Materialien wie Galliumarsenid ersetzt werden, sagt Ekins-Daukes. Auf längere Sicht braucht es für den Einsatz der Technologie aber völlig neue Verbindungen aus Elementen, die ungiftig, günstig und reichlich verfügbar sind.