Simulierte Mars-Mission:Freiwillige Zwangslage

Monatelang auf engstem Raum reisen - wie übersteht man das? Eine Antwort sollen Astronauten geben, die von einem simulierten Mars-Flug zurückkehren.

Christopher Schrader

Wenn Oliver Knickel von seinem Raumflug zurückkehrt, werden keine Bremsraketen gezündet, keine Fallschirme entfaltet. Es wird weder einen Knall noch einen Platscher geben, wenn das Raumschiff ankommt - vielleicht quietscht die Luke beim Öffnen in Moskau um 14 Uhr an diesem Dienstag. 105 Tage lang war der 29-jährige Bundeswehr-Hauptmann nicht in dieser Welt und hat doch die Erde nie verlassen. Zusammen mit vier Russen und einem Franzosen hat er sich in einem Komplex von vier Containern eingeschlossen, um einen langen Raumflug zu simulieren.

Oliver Knickel, Marsmission, dpa

Oliver Knickel

(Foto: Foto: dpa)

"Mars 500" heißt das Programm, für das sich Knickel freiwillig gemeldet hat. Aus 5600 Kandidaten wurde er zusammen mit dem französischen Airbus-Piloten Cyrille Fournier ausgewählt. Die Europäische Weltraumagentur Esa, die sie rekrutierte, hat ein Zehntel des 15-Millionen-Euro-Budgets übernommen. Wie ihre Kollegen vom russischen Pendant Roskosmos, die den Rest bezahlen, möchten die Esa-Manager wissen, ob sechs zusammen eingesperrte Männer einen solchen Flug physisch wie psychisch überstehen.

Drei Probleme sehen Raumfahrtmediziner: die mangelnde Schwerkraft, die erhöhte Strahlung und die Isolation der Astronauten. Erste Erkenntnisse darüber gibt es von der Internationalen Raumstation. Ihre Bewohner erleben ständig die Schwerelosigkeit und sind einer Strahlung ausgesetzt, die stärker ist als auf der Erde, aber schwächer als bei einem interplanetaren Flug.

Vom Fenster aus sehen sie die Erde und haben so viel zu tun, dass keine Langeweile aufkommt. Auf einer etwa eineinhalbjährigen Reise zum Mars hingegen könnten Eintönigkeit und Isolation zum Problem werden. Regisseure von Science-Fiction-Filmen haben sich genüsslich an den menschlichen Abgründen abgearbeitet, die sich dann in einem Raumschiff auftun. Um diese psychologischen Folgen geht es in Moskau; im Herbst soll eine Studie über 520 Tage mit anderen Testpersonen folgen.

Die Container von Knickel, Fournier und den vier Russen stehen im Institut für biomedizinische Probleme in Moskau. Es sind Metallröhren von gut drei Meter Durchmesser, innen holzvertäfelt und mit Neonlampen beleuchtet. Jeder der sechs Bewohner hat eine eigene kleine Kabine, es gibt drei Toiletten, Küche und Gemeinschaftsraum, eine Krankenstation, eine kleine Sauna und zwei Gewächshäuser: insgesamt 180Quadratmeter Fläche.

Die Männer haben seit dem 31. März keine Sonne gesehen, keinen Wind gespürt, kein Telefongespräch geführt. Die Kommunikation nach außen läuft elektronisch und wurde um 20 Minuten pro Weg verzögert, um die realen Bedingungen des Marsflugs nachzubilden. Gelebt haben die sechs von eingelagerten Konserven und dem frischen Gemüse, das ihre Gewächshäuser hergaben.

Trotz des Aufwands ist das Experiment umstritten. Die psychologische Zwangslage sei nicht groß genug, klagt der russische Weltraum-Veteran Walentin Lebedew, die Teilnehmer könnten die Anlage jederzeit verlassen. Das sei so, als simuliere man die Expedition auf einer driftenden Eissscholle im Winter auf einem Moskauer Teich.

Wie realistisch Knickel und seine Kollegen den Marsflug empfunden haben, muss die Auswertung zeigen. Ihren Tagebuchaufzeichnungen im Internet zufolge sind die beiden Europäer in ihrem Experiment aufgegangen. Das Wort "simuliert" taucht in ihren Wochenberichten immer seltener auf. Fournier schrieb vor kurzem gar, die Crew bereite sich darauf vor, "zurück zur Erde" zu kommen.

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