Am Anfang ist da diese feuerrote Kugel voller Magma. Ein Fingerdruck setzt sie in Bewegung, die Glut schießt nach oben und erste Vulkane speien Rauch. Ein paar weitere Fingerbewegungen, und Inseln ragen aus dem Meer, Kontinente prallen aufeinander. Berge und Wüsten erwachsen aus dem Nichts auf dem Bildschirm.
Natur auf diese Weise zu formen, macht mit der iPad-App "Earth Primer" ziemlich viel Laune, so viel vorweg. Vom Erdkern bis zur Bergspitze steuert man hier mit zwei Fingern einige der mächtigsten geologischen Prozesse, die den Planeten formen - und schwingt sich zum Herren auf über Ebbe und Flut, Hitze, Regen und Eis. Explizit ist dieses Welterschaffen nicht als Spielerei gedacht - der Entwickler Chaim Gingold bezeichnet "Earth Primer" lieber als "interaktives Schulbuch". Denn die Belohnung dieser Geo-Manipulation ist vor allem mehr Wissen darüber, wie die Erde so funktioniert.
Hier entsteht in Sekunden, was auf dem Planeten Millionen Jahre dauert
Da erfährt man zum Beispiel, dass Strände einfach nur zerbröselte Felsen sind, abgeschliffen von Wind und Wasser. Wie der Meeresspiegel die Art der Vegetation beeinflusst. Oder dass Gletscher fließen wie Flüsse, wenn auch sehr langsam. Das alles hat man sicher schon halb gewusst oder so ähnlich vermutet - doch es gewinnt eine neue Qualität, wenn man selbst diese Strände aushebt oder Eiszeiten mit einem Schnippen in Gang setzt.
Meist gibt einem die App dabei ein kleines Stück Land vor, auf dem man sich austoben kann: "Lassen Sie es auf die Berge regnen. Wohin verschwindet das Wasser?" Oder: "Was passiert mit Wolken, Pflanzen und dem See, wenn Sie den Ozean gefrieren?" Hier lässt man in Sekunden entstehen, was real Millionen Jahre dauert. Zwischendurch illustrieren Satellitenbilder das eben Gelernte - rauchende Vulkane auf Hawaii, die schneebedeckten Rocky Mountains.
Das alles ist so schön anzusehen und so liebevoll gemacht, dass man manche Ungenauigkeit verzeiht. Beispiel: Die Behauptung, gefrorenes Wasser könne nicht verdampfen, stimmt so nicht - der Vorgang heißt Sublimation und sorgt dafür, dass die Wäsche auch im eisigen Winter draußen trocknet. Auch wünscht man sich an einigen Stellen mehr Detailtiefe oder zumindest weiterführende Links zu einzelnen Themengebieten. Geo-Cracks wissen sicher bereits, dass subtropische Wüsten sehr heiß und sehr trocken sind.
"Earth Primer" kann den Geografie-Unterricht also sicher nicht ersetzen. Die App ist eher für Leute, denen die Textwüsten in Schulbüchern immer zu dröge waren (also potenziell sehr, sehr viele), aber dennoch wissen möchten, warum Berge Berge sind und Täler Täler. Ein Highlight ist der Sandkasten-Modus, bei dem man ein Stück Land nach Belieben umpflügen darf. Hier gibt es keine Vorgaben oder didaktische Ziele mehr, man kann einfach seine eigene Scholle gestalten und zusehen, wie die Witterung ihr zusetzt; zusammen mit der sphärischen Musik bekommt diese Aktivität fast etwas Meditatives.
Kurz: "Earth Primer" ist eine schöne Beschäftigung für einen verkaterten Morgen oder einen verregneten Nachmittag mit Kindern auf der Couch, aber definitiv kein vollwertiges Erdkundebuch. Noch nicht. Diercke Weltatlas, nimm dich in Acht!
"Earth Primer" (Entwickler: Chaim Gingold), erhältlich für iOS, ca 9 Euro bei iTunes, bislang nur auf Englisch