Sicherheit:"Hände hoch - oder es klebt!"

Polizisten, Soldaten und womöglich sogar Flugbegleiter sollen nicht-tödliche Waffen tragen.

Joachim Laukenmann

(SZ vom 25.09.2001) - Am 31. Januar diesen Jahres ereignete sich in der geteilten Stadt Mitrovica im Kosovo ein Zwischenfall: Aufgebrachte Albaner warfen Steine auf deutsche Kfor-Soldaten und verletzen vier von ihnen. Ihr Offizier stand vor der schwierigen Entscheidung: Sollte er mit scharfer Munition reagieren? Oder lieber hoffen, dass die Situation nicht eskaliert? Er wäre wohl froh gewesen, hätte er eine dritte Option gehabt: Den Einsatz einer Waffe die nicht verletzt oder tötet, Personen aber sicher auf Distanz hält oder vorübergehend außer Gefecht setzt. Der Offizier entschied sich fürs Hoffen. Glücklicherweise beruhigten sich die Gemüter auch ohne den Einsatz von Waffen.

Konventionelle Waffen genügen nicht mehr

"Unter anderem der Kosovo-Konflikt hat gezeigt", sagt Rainer Stuckenschmidt vom Heeresamt in Köln, "dass das, was wir bisher in unseren Arsenalen hatten, den Ansprüchen nur bedingt gerecht wird." Seit Ende des Kalten Krieges sehen sich Uno, Nato und auch Bundeswehr vermehrt vor neuen Aufgaben: den Terrorismus bekämpfen, internationale Konflikte eindämmen, den Frieden erhalten und humanitäre Hilfe leisten. Welche Waffen sie dabei einsetzen können, um niemanden dauerhaft zu verletzen und keine unnötige Zerstörung anzurichten, ist Thema des ersten europäischen Symposiums über nicht-letale Waffen (NLW), das am heutigen Dienstag in Ettlingen bei Karlsruhe beginnt.

Stromschlag aus der Pistole

Neben Althergebrachtem wie Wasserwerfern und Tränengas sind zahlreiche neue Techniken denkbar, in Entwicklung und zum Teil schon im Einsatz: elektromagnetische Felder, mit denen die Steuerung von Panzern lahmgelegt wird, tiefer, unhörbarer Schall, der Übelkeit verursacht, oder gar bestialische Stinkbomben, deren Geruch jeden Angreifer in die Flucht treibt. Nach Auskunft der Firma Diehl Munitionssysteme im fränkischen Röthenbach werden rund 40 verschiedene Ansätze für NLW untersucht.

Mit Pfeilen gegen Terroristen

Unter dem Eindruck der Anschläge in New York und Washington werden die Forscher in Ettlingen wohl auch diskutieren, wie bewaffnete Flugbegleiter ausgerüstet werden könnten. Denn in Flugzeugen ist die Verwendung scharfer Munition bedenklich. "Ein Durchschuss der Bordwand könnte eine kritische Situation ergeben", sagt Christian Herren von der Schweizer Firma RUAG Munition in Thun. "Bereits eine Verletzung der Elektronik oder Hydraulik kann gefährlich sein." Als einfachste Lösung könnte eine gebändigte Schusswaffe zum Einsatz kommen, die im Flugzeug keinen kritischen Schaden verursachen kann.

Denkbar wäre laut Herren auch der Einsatz so genannter Taser, die schon seit einigen Jahren kommerziell erhältlich sind. Sie sehen aus wie Pistolen, schießen aber zwei Minipfeile ab, die über feine Drähte mit der Waffe verbunden bleiben. Beim Auftreffen wird ein Stromschlag erzeugt, der das Opfer für rund eine Minute lähmt. Doch die Reichweite des Tasers beträgt derzeit nur vier bis zehn Meter und er gibt nur einen einzigen Schuss ab. Nach Berichten von Amnesty International kann die Waffe Menschen mit einem Herzleiden aber auch töten.

Ringflügel mit Klebstoff

Eine weitere Möglichkeit, die Sicherheit in Flugzeugen zu erhöhen, sieht Herren im so genannten Ringflügel. Der wenige Zentimeter große Folienring pralle zwar nur mit der Wucht eines kräftig getretenen Fußballs auf, könne jedoch Reizstoffe oder feine Klebemittel freigeben, die eine Person aktionsunfähig machen. Er hat eine größere Reichweite als der Taser und lässt mehrere Schüsse zu.

Auch die Bundeswehr wird demnächst wohl NLW anschaffen. "Wir sind im Augenblick dabei, die erste Ausstattung dieser Art zu prüfen", bestätigt Stuckenschmidt. Es sei vorgesehen, eine so genannte Wuchtmunition anzuschaffen: Gummipfropfen von vier Zentimetern Durchmesser, die gezielt abgefeuert werden können. "Der Aufschlag ist so schmerzhaft", sagt Stuckenschmidt, "dass sich die getroffene Person gut überlegt, ob sie nicht lieber zurückweicht." Mit den Gummigeschossen der Israelis, die schwere Verletzungen auslösen können, habe das aber nichts gemeinsam.

Dem Völkerrecht entsprechend

Wichtigstes Kriterium bei der Auswahl einer nicht-letalen Waffe ist laut Stuckenschmidt nicht, was sie kostet oder wie sie wirkt, sondern ob sie dem Völkerrecht entspricht. Permanent blind machende Laser etwa sind nach öffentlichen Protesten 1995 gebannt worden. Beim Einsatz von NLW sei auch zu beachten, dass in bestimmten Kulturregionen ein Gesichtsverlust - etwa durch das Besprühen mit klebrigem Schaum - als schlimmer empfunden werde als eine Verletzung oder gar der Tod. Und schließlich erfordert die Verwendung von NLW laut Stuckenschmidt eine längere Ausbildung. "Es ist etwas anderes, auf einen Panzer zu schießen als im Rahmen einer Friedensmission mit nicht-letalen Wirkmitteln gegen eine aufgebrachte Menschenmenge vorzugehen." Jedes Gerät werde fragwürdig, wenn der Aufwand in der Schulung überhand nimmt.

Mikrowellen gegen Panzer

Den größten Markt für NLW sieht der Schweizer Fachmann Herren jedoch bei der Polizei. Nach einer Studie, die seine Firma in der Schweiz, Deutschland und Österreich durchgeführt hat, steht die Polizei heute vor zwei großen Problemen. Zum einen sucht sie Methoden, um flüchtende Verbrecher auf eine Distanz von etwa 30 bis 50 Meter zu stellen, ohne sie zu töten. Zum anderen braucht sie Mittel, um Fluchtautos ohne Karambolage oder Gefährdung von Personen zu stoppen.

Dabei sollen vor allem so genannte High Power Microwaves helfen. Nach Auskunft der Firma Diehl strahlen diese Geräte elektromagnetische Pulse im Mikrowellen- Bereich ab; ihre Leistung von mehreren Gigawatt kann noch auf Entfernungen von einigen Kilometern elektronische Bauteile stören oder zerstören. Das legt nicht nur Autos lahm, sondern auch Panzer, Hubschrauber oder Flugzeuge und kann sogar die Steuerung anfliegender Raketen verwirren.

Nicht unterschätzen dürfen die Polizei-Planer jedoch, wie NLW das Vokabular ihrer Truppe verändern könnten: Denn vielleicht heißt es statt "Hände hoch - oder wir schießen" bei künftigen Einsätzen: "Hände hoch - oder es stinkt gewaltig."

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