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Serie: Mythen von Monstern (Teil 6):Ogopogo und der Champ

Lesezeit: 4 min

Nordamerika kennt nicht nur mehr Seeungeheuer als Schottland, die Hinweise auf unbekannte Wesen sind auch besser. Aber können sie uns überzeugen?

Markus C. Schulte von Drach

Nicht nur in Schottland kennt man Geschichten von riesigen Seeungeheuern. Fast überall auf der Welt, wo Menschen an großen Gewässern leben, kursieren Berichte von großen Schlangen oder Lebewesen, die an Dinosaurier erinnern sollen.

Besonders häufig und besonders gut dokumentiert sind die mysteriösen Bewohner der nordamerikanischen Seen.

Vor allem das Monster Champ im Lake Champlain, den sich die US-Bundesstaaten New York und Vermont sowie das kanadische Quebec teilen, und das Ungeheuer Ogopogo im Lake Okanagan in British Columbia sind echte Berühmtheiten. Dazu kommen unter anderem Igopogo im Lake Simcoe, Manipogo im Manitobasee oder Memphre in Lake Memphremagog.

So kennen die Indianer am Lake Okanagan den Ogopogo schon seit Hunderten Jahren - allerdings unter dem Namen "N'ha-a-itk" oder "Naitaka", was mal als Wasserdämon, mal als Seemonster übersetzt wird.

Wollte jemand mit dem Kanu über den See setzen, so warf er lebende Tiere, etwa Hühner oder einen Hund, in die Wellen, um das Monster abzulenken. Wer das nicht tat, war in großer Gefahr, erzählten zum Beispiel die Okanakane-Indianer dem Historiker Frank Buckland.

So ertrank ein Häuptling, der bei dem Stamm zu Besuch war, mit seiner Familie im See, weil er nicht an die geheimnisvolle Macht glauben wollte und das Opfer verweigerte. "Plötzlich stieg der Dämon aus seiner Höhle auf und peitschte die Oberfläche des Sees mit seinem langen Schwanz", zitierte Buckland die Indianer.

Angeblich wurde das Monster im 19. Jahrhundert dann von europäischen Siedlern gesehen, und seit den 1920er Jahren tauchte das Geschöpf immer wieder mal auf.

Historische Quellen sollen auch die Existenz von Champ im Lake Champlain belegen. Die Indianer erzählten offenbar Geschichten von einem Wasserwesen mit dem Namen Tatoskok oder Chaousarou. Und der französische Pionier Samuel de Champlain berichtete angeblich über eine riesige Seeschlange, die er 1609 vom Ufer des Sees aus gesehen hat.

Ähnlich wie am Lake Okanagan wurde das Ungeheuer im 19. Jahrhundert immer wieder von weißen Siedlern gesehen. Die erste gewissermaßen moderne Beschreibung stammt aus dem Jahre 1819. Damals berichtete der Plattsburgh Republican, ein Captain Crum hätte eine riesige Schlange mit einem Kopf wie ein Seepferd beobachtet. Drei Zähne habe das Tier gehabt, Augen von der Farbe einer geschälten Zwiebel, einen roten Gürtel um den Hals und einen weißen Stern auf der Stirn. Ob der Captain selbst dabei vielleicht sternhagelvoll war, ist unbekannt.

1873 berichtete die New York Times, eine Gruppe von Arbeitern, die Bahnschienen in der Nähe der Stadt Dresden, New York, verlegten, hätte eine gigantische Schlange mit silbernen Schuppen im See beobachtet. Dann erklärte der Sheriff von Clinton County, Nathan Mooney, er hätte eine große Schlange beobachtet. Und schließlich stieß das Touristendampfschiff W. B. Eddy angeblich mit Champ zusammen. Jetzt war das Interesse an dem Monster so groß, dass der große P. T. Barnum demjenigen 50.000 Dollar versprach, der Champ für seine World's Fair Show heranschaffen würde.

Seitdem ist die Zahl der Augenzeugen ständig gestiegen. Hunderte Menschen sind überzeugt davon - oder geben es zumindest vor -, ein mysteriöses, großes Tier in dem einen oder anderen See beobachtet zu haben. Selbst eine ganze Reihe von Foto- und Videoaufnahmen gibt es inzwischen, und tatsächlich ist die Qualität des Materials weit besser als alles, was man vom Loch Ness kennt. Das berühmte Champ-Foto von Sandra Mansi aus dem Jahre 1977 zum Beispiel ist die bislang beste Aufnahme, die von einem Seemonster existiert. Tatsächlich meint man, darauf eine Art Plesiosaurus zu sehen.

Gibt es in den großen Seen Nordamerikas also tatsächlich riesige Seeschlangen?

Zweifelhafte historische Quellen

Betrachtet man die historischen Quellen, sind Zweifel angebracht. Die Legenden der Indianer am Lake Okanagan zeigen einen deutlichen Zusammenhang mit Wetterphänomenen, hinter denen für sie eine Art böser Geist steckte. Sie sind genauso wenig ein Beleg für ein Seemonster wie die Legende vom Heiligen Georg ein Beleg für die Existenz von Drachen ist.

Samuel de Champlain hat tatsächlich Aufzeichnungen über seine Beobachtungen gemacht. Darin schreibt er allerdings nicht von einer riesigen Schlange, sondern von Fischen, "darunter einer, den die Einheimischen Chaousarou nennen, . . . die größten, so haben mir die Stämme berichtet, sind acht bis zehn Fuß lang". Die dann folgende Beschreibung entspricht ziemlich genau dem Gemeinen Knochenhecht, einem Fisch, der bis zu zwei Meter lang werden kann.

Und die Augenzeugen? Ihnen zufolge sind die Monster mal drei, mal dreizehn Meter lang. Die Haut der Tiere ist braungrün oder braunschwarz oder irgendwie anders dunkel gefärbt. Sie tragen Schuppen oder auch nicht. Ihr Rücken ist glatt, manchmal aber finden sich Zacken. Sie besitzen einen Schlangenkopf oder einen Schafskopf, einen Pferdekopf oder den eines Krokodils. Mal trägt das Tier eine Mähne, mal nicht. Manchmal sind Ohren oder Hörner zu sehen, aber nicht immer. Und manchmal beschreiben die Zeugen ein Tier, das sie an einen Baumstamm erinnerte, der sich aber zu bewegen schien.

Die Filmaufnahmen zeigen meist nicht identifizierbare Strukturen unklarer Größe, die dicht unter der Wasseroberfläche schwimmen und hin und wieder den Kopf über das Wasser zu strecken scheinen. Eine der berühmtesten Aufnahmen von Ogopogo ist die von Ken Chaplin aus dem Jahre 1989. Was auf dem Video jedoch wie eine Flosse des Monsters aussieht, ist mit großer Sicherheit lediglich der Schwanz eines Bibers, den das verspielte Tier aus dem Wasser hebt. Andere Filme gelten inzwischen als Fälschung.

Viele Sichtungen gehen vermutlich auf große Fische zurück. Neben den Knochenhechten etwa ist denkbar, dass auch der eine oder andere Stör in den Seen lebt. Diese Fische können mehr als fünf Meter lang und mehr als eine Tonne schwer werden. Und mit ihren gezackten Rücken- und Seitenlinien sehen sie seltsam genug aus, wenn sie aus der Tiefe auftauchen.

Ein unheimlicher Baumstamm

Betrachtet man das berühmte Mansi-Bild ganz genau, so sind die Strukturen des Objektes über aber auch unter Wasser weder einem Plesiosaurier noch sonst irgend einem Tier zuzuordnen. Es handelt sich mit ganz großer Wahrscheinlichkeit um nichts anderes als einen vermodernden Baumstamm, der an die Oberfläche gestiegen und dann wieder versunken war.

Das einzige bislang wirklich mysteriöse Dokument sind Tonaufnahmen des Fauna Communications Research Institute aus North Carolina, die für den Discovery Channel 2003 ihre Geräte in den Lake Champlain gehalten hatten. Dreimal nahmen sie etwas auf, das sie an die Töne von Belugas oder Orcas erinnerte. Was da wirklich zu hören ist, ist bis heute unklar.

Solange also kein einziger wirklich brauchbarer Video- oder Fotobeweis vorliegt, kein Kadaver an Land gespült und kein einziger Knochen eines erst kürzlich gestorbenen Urzeittieres gefunden wurde, bleibt nichts anderes übrig, als an die nordamerikanischen Seemonster zu glauben. Schon der Tourismusindustrie zuliebe. Welche Chance hätten die Souvenirläden dort sonst, weiterhin Ogopogo-Plüschsaurier in Dosen zu verkaufen?

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