Irgendwo tief im afrikanischen Dschungel, so erzählen die Bewohner des Kongo-Beckens, haust ein großes Lebewesen, für das die Naturwissenschaftler noch keinen Namen haben. Es ist groß wie ein Elefant, besitzt jedoch einen langen Hals mit kleinem Kopf und einen langen Schwanz.
Die meisten Beschreibungen erinnern so sehr an einen Apatosaurus oder Diplodocus, dass manche Forscher vermuten, es könnte sich um einen überlebenden Dinosaurier handeln.
Das graubraune Tier soll in den Gewässern und Sümpfen des Kongo und seiner Nebenflüsse leben. Den Legenden zufolge greift es Kanus an, tötet die Insassen, ohne sie jedoch zu fressen. In der Region um den Bangweulusee bringt es sogar Nilpferde um. Ansonsten gilt es als Pflanzenfresser.
Seit 100 Jahren haben Forscher und Journalisten Expeditionen in den Dschungel unternommen, um der Kreatur auf die Spur zu kommen. Vergeblich. Dabei soll das Tier so groß sein, dass die Pygmäen in der Region um den Lac Télé ihm den Namen Mokèlé-mbèmbé gegeben haben: "Der den Strom des Flusses aufhält."
Bislang beschränken sich die Hinweise auf Sagen und Anekdoten, auf Fußabdrücke, deren Ursprung unklar ist, unscharfe Bilder und Videos sowie Tonaufnahmen unheimlicher Schreie. Doch die Faszination ist ungebrochen.
So besuchte erst vergangenes Jahr ein Team des US-Senders SciFi Channel für die Serie "Destination Truth" den Bangewulusee in Sambia, um das legendäre Wesen aufzuspüren. Josh Gates und seine Mitarbeiter waren mit ihrer Expedition an den Ort gereist, wo ein ehemaliger Offizier der deutschen Kolonialarmee erstmals auf die Legende gestoßen war.
Paul Graetz hatte in den Jahren 1907 bis 1909 als Erster mit einem Auto Afrika durchquert. Von Daressalam aus war er durch das damalige Deutsch-Ostafrika, Rhodesien, Deutsch-Südwestafrika und Südafrika gefahren. In Nord-Rhodesien, dem heutigen Sambia, musste er auf Benzin warten. Dabei hörte er Gerüchte von einem Tier mit dem Namen Nsanga, das die Region um den Bangweulusee bewohnen sollte. Die Beschreibung erinnerte Graetz an einen Dinosaurier, ähnlich einem Krokodil, jedoch ohne Schuppen und mit Krallen an den Füßen.
Auch der Gründer des Hamburger Zoos, Carl Hagenbeck, war überzeugt, dass in den "fieberschwangeren Sümpfen Innerafrikas noch Nachfahren" der Dinosaurier lebten. Einer seiner Großwildjäger (Hans Schomburgh) sowie ein "hochgestellter Engländer, der zur Jagd auf großes Wild hinausgezogen war", hatten ihm von Eingeborenen berichtet, die "von dem Vorkommen eines Ungeheuers erzählt hätten, das, halb Elefant, halb Drache, in den unzugänglichen Sumpfgebieten nahe der Kongostaatgrenze zwischen den Flüssen Lunga und Kafue hause" - nachzulesen in Hagenbecks Buch "Von Menschen und Tieren".
"Es kann sich nur um eine Art Brontosaurus handeln"
Bereits "vor mehreren Jahrzehnten brachte mir mein vortrefflicher Reisender Menges schon Berichte über ein ähnliches sagenhaftes Geschöpf", schrieb Hagenbeck. Darüber hinaus gab er an, er hätte vor einigen Jahren aus ganz verschiedenen Quellen Berichte über Malereien auf Felsen und in Höhlen im Inneren von Rhodesien gehört. Sein Schluss war, es könne "sich nur um eine Art Brontosaurus (heute Apatosaurus) handeln". Hagenbeck rüstete selbst eine Expedition aus, die das Zielgebiet allerdings nicht erreichte.
1913 sandte die Regierung in Berlin den ehemaligen Kolonialoffizier Ludwig Freiherr von Stein zu Lausnitz in das von Frankreich abgetretene Neu-Kamerun, wo er auf dem Gebiet der heutigen Republik Kongo von Einheimischen Berichte über ein großes Reptil hörte, das als Mokèlé-mbèmbé bezeichnet wurde.
Der deutsch-amerikanische Wissenschaftsautor, Raketenforscher, Kryptozoologe und Honorarprofessor Willy Ley zitierte 1959 in seinem Buch "Exotic Zoology" aus einem nicht veröffentlichten Bericht von Steins. Demzufolge besaß das etwa elefantengroße Tier einen langen Hals und eine Art Horn sowie einen Schwanz wie ein Krokodil. Das Tier sollte Boote angreifen, die Insassen umbringen, aber nicht fressen, da es ein Pflanzenfresser sei.
Nun war die wissenschaftliche Welt, wie bereits die Medien zuvor, mit dem Dinofieber angesteckt. 1919 schickte sogar das Smithsonian Institute in Washington D.C. eine Expedition nach Afrika, die allerdings ihr Ziel nicht erreichte.
Eine Reihe weiter Versuche wurden unternommen, den lebenden Dinosaurier in Gabun, in Kamerun und im Kongo zu finden. Immer wieder stießen die Forscher auf Berichte über langhalsige Flusstiere, die Mokèlé-mbèmbé, Amali, N'yamala oder Jago-nini hießen.
Und wenn sie den Einheimischen Bilder von lebenden oder ausgestorbenen Tieren zeigten, so waren es die Darstellungen von langhalsigen Dinosauriern, den Sauropoden, die den unbekannten Lebewesen am ähnlichsten sein sollten.
Die einzigen handgreiflichen Hinweise auf ein unbekanntes Tier aber waren Fußabdrücke. So fotografierte der französische Tierfotograf Yvan Ridel 1966 im Kongo Spuren am Flussufer, die ein großes Tier mit drei Zehen hinterlassen zu haben schien. Von einem Nilpferd konnten die Abdrücke nicht stammen - sie erinnerten eher an Spuren eines Nashorns. Solche Tiere aber wurden im Kongobecken bislang nicht gesehen. Von riesigen Abdrücken hatte angeblich auch schon 1776 der französische Missionar Abbé Lievain Bonaventure im Kongobecken berichtet.
Augenzeugen ohne Beweise
Seit den Hinweisen des amerikanischen Missionars Eugene Thomas aus dem Jahre 1979 konzentrierten sich viele Forscher auf eine ganz bestimmte Region: In den Sümpfen des Likouala-aux-herbes um den Lac Télé im Norden der Republik Kongo sollte der Mokèlé-mbèmbé zu finden sein. Wieder stießen die Kryptozoologen auf Einheimische, die von dem Tier gehört hatten, ihm sogar begegnet sein wollten oder jemanden kannten, der es gesehen hatte. Auch hier hieß es, das Monster greife Boote an, die sich ihm näherten.
Zwei Forscher behaupteten sogar, sie hätten den Dinosaurier - oder was immer es ist - selbst gesehen. So erklärte der kongolesische Zoologe Marcellin Agnaga, er hätte 1983 das Tier im See gefilmt. Leider hatte er vergessen, die Schutzkappe von der Linse zu entfernen. Einige Jahre später erklärte er, die Aufnahme sei gescheitert, weil er eine falsche Kameraeinstellung verwendet hätte.
1985 behauptete dann der amerikanische Journalist und Schriftsteller Rory Nugent, er hätte das Tier gesehen und fotografiert. Die Aufnahmen aber waren unscharf. Einige Jahre darauf filmte ein japanisches Team den Lac Télé aus einem Flugzeug heraus. Die Aufnahme zeigte ein Objekt im Wasser, das Wellen erzeugte. Was es tatsächlich war, ist bis heute unklar. Ein Dinosaurier ließ sich jedenfalls nicht identifizieren.
Andere wie der Amerikaner Roy Mackal sind überzeugt davon, den Tieren zumindest sehr nahe gekommen zu sein.
Besonders interessante Beobachtungen machte der britische Schriftsteller Redmond O'Hanlon, der 1989 zum Lac Télé marschierte. Ihm zufolge glauben die Einheimischen nicht an die Existenz eines leibhaftigen Mokèlé-mbèmbé, sondern sehen darin eine Art Geist. Und eine Filmcrew der BBC, die 2001 eine Expedition von Kryptozoologen um William Gibbons begleitete, erlebte eine Überraschung, als sie den Bewohnern der Region verschiedene Bilder zeigten. Diesmal identifizierten die Einheimischen Mokèlé-mbèmbé als Nashorn!
Was also ist dran an den Geschichten vom lebenden Dinosaurier?
Erstens kennen offenbar viele Menschen in weiten Teilen des Kongobeckens Geschichten von einem legendären großen Tier mit einem langen Hals und einem langen Schwanz, das in Flüssen lebt, Pflanzen frisst und Boote angreift. Begegnungen in den letzten Jahren lassen sich allerdings nicht beweisen.
Zweitens gibt es keine einzige Aufnahme, auf denen eines der Tiere zu erkennen wäre.
Drittens sind die Berichte und Fotos von Fußspuren schwer zu interpretieren und die Tonaufnahmen angeblicher Dinosaurier-Schreie beweisen gar nichts..
Darüber hinaus ist viertens die Identifizierung des Mokèlé-mbèmbé anhand von Bildern ausgestorbener oder lebender Tiere nicht eindeutig.
Alternative Erklärungen
Und fünftens lassen sich all diese Indizien auch anders erklären als mit einem überlebenden Nachfahren der vor 65 Millionen Jahren ausgestorbenen Dinosaurier. In allen Völkern existieren Geschichten von Tieren, die es in der Realität nicht gibt. Manchmal sind es Chimären, Mischungen aus mehreren Arten. Manchmal sind es auch übertriebene oder verzerrte Darstellungen realer Tiere.
Darüber hinaus gibt es kulturelle Unterschiede in der Art und Weise, wie Lebewesen dargestellt oder die Darstellungen interpretiert werden. Die Geschichten von Mokèlé-mbèmbé und seinen "Artgenossen" könnten auf Begegnungen mit den im Kongo lebenden Waldelefanten, mit Nilpferden - die bekanntlich Boote angreifen -, und Krokodilen zurückgehen.
In der Vergangenheit könnte es im Kongo sogar ein Nashorn gegeben haben, das nur in der Mythologie der Einheimischen überlebt hat. Und vielleicht existieren sogar noch kleine Populationen solcher Nashörner, die an den Flussufern Fußabdrücke hinterlassen.
Wer allerdings, wie es das Team von "Destination Truth" 2008 getan hat, den Menschen am Bangweulusee eine Dino-Zeichnung unter die Nase hält und nach Mokèlé-mbèmbé fragt, obwohl das Wesen dort Nsanga heißt, muss sich nicht wundern, dass die Informationen nicht verlässlich sind. Immerhin konnten die Amerikaner noch eine dramatische Aufnahme von einem unheimlichen Lebewesen machen, das aus dem See auftauchte. Die Bearbeitung des Materials zeigte, dass es sich um zwei Nilpferde gehandelt hatte.
Wer aber weiterhin an die Existenz des Mokèlé-mbèmbé glauben mag: Noch ist der Dschungel Zentralafrikas so groß, dass sich ja vielleicht doch irgendwo eine Dinosaurier-Population versteckt hat. Und angesichts der fortschreitenden Rodung der Tropenwälder dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis wir Gewissheit haben.