Serie: 200 Jahre Darwin (12):Gestalten ohne Gestalter

Augen und Flügel - das muss doch jemand geplant haben, glauben Intelligent-Design-Anhänger. Doch Forscher beweisen: Komplexe biologische Strukturen entstehen evolutionär.

W. Rögener

Wer eine moderne Digitalkamera betrachtet, einen Motor oder ein Flugzeug, dem ist klar: Dergleichen ist nicht zufällig entstanden, sondern das Werk fähiger Konstrukteure.

Serie: 200 Jahre Darwin (12): Erstaunliche Komplexität: 95 Prozent aller Lebewesen sind mit einer Art Sehorgan ausgestattet. Der Mensch hat sich selbst zudem einen - leider nur beschönigenden - Ersatz geschafft: das Glasauge (hier im Science Museum in London).

Erstaunliche Komplexität: 95 Prozent aller Lebewesen sind mit einer Art Sehorgan ausgestattet. Der Mensch hat sich selbst zudem einen - leider nur beschönigenden - Ersatz geschafft: das Glasauge (hier im Science Museum in London).

(Foto: Foto: Getty)

Diesen Schluss übertragen die Anhänger eines modernen Kreationismus, genannt Intelligent Design, auf die Biologie: So komplizierte Organe wie das Auge, der Vogelflügel oder rotierende Flagellen, mit denen Bakterien sich fortbewegen, brauchen einen Schöpfer, behaupten sie. Wer also hält die Patentrechte auf komplexe biologische Strukturen - ein "intelligenter Gestalter" oder doch das natürliche Zusammenspiel von Veränderung und Auslese?

Evolutionskritiker argumentieren: Dass die Natur Organe und Organismen rein zufällig hervorbringt, sei so unwahrscheinlich wie die Vorstellung, dass bei einem Wirbelsturm auf dem Schrottplatz eine Boeing 747 entsteht - ein Vergleich, der dem britischen Astronomen Fred Hoyle zugeschrieben wird.

Indes hat weder Charles Darwin noch sonst ein Evolutionsbiologe je behauptet, komplexe biologische Strukturen seien ein Produkt des puren Zufalls. In der Evolutionstheorie übernimmt lediglich die natürliche Auslese die Rolle des Konstrukteurs.

Unter unzählbaren phänotypischen Varianten werden jene bevorzugt, die am besten an die herrschenden Lebensumstände angepasst sind. Deren Fortpflanzungschancen sind größer, und so gibt es in der nächsten Generation mehr Lebensformen, die die vorteilhaften Erbanlagen besitzen. In winzigen Schritten und über lange Zeiträume entstehen so neue Strukturen.

Funktionsfähige Zwischenstufen

Doch das ist nur plausibel, wenn der Vorteil jeder Neuerung sofort greift. "Was nützt ein halbes Auge?", fragen die Kritiker hämisch. Funktioniert das Auge des Menschen doch nur, wenn seine Bestandteile - Glaskörper, Linse, Iris, Augenmuskeln und Netzhaut - aufeinander abgestimmt zusammenspielen.

Ebenso wenig taugen unfertige Flügel zum Fliegen. Schritt für Schritt könnten sie also nicht entstanden sein, erklären diejenigen, die einen Designer hinter solchen Erfindungen vermuten.

Kritiker der Evolutionstheorie, wie etwa der Kreationisten-Klub "Wort und Wissen", sprechen von "nichtreduzierbarer Komplexität". Solche Strukturen seien "typisch für einen absichtsvoll und zielorientiert schaffenden Urheber".

Die entscheidende Frage lautet also: Gibt es funktionsfähige Zwischenstufen, etwa auf dem Weg zum Linsenauge? Tatsächlich zeigt das Tierreich eine große Vielfalt von einfachen bis hochentwickelten Augen, immerhin können gut 95 Prozent aller Tiere mehr oder weniger gut sehen.

Lückenloser Weg

Schon Einzeller besitzen Eiweiße, die auf Licht reagieren. Verstreute lichtempfindliche Zellen in der Haut helfen dem Regenwurm, sich zu orientieren. Bildet sich auf der Körperoberfläche ein Grübchen mit mehreren solcher Zellen und wird eine Seite durch Farbstoffe abgeschirmt, wie bei manchen Plattwürmern, lässt sich bereits die Richtung des Lichteinfalls abschätzen.

Von dort führt über immer tiefer eingesenkte Grubenaugen ein lückenloser Weg zum Lochkamera-Auge, mit dem der Kopffüßler Nautilus in die Welt blickt. Er kann damit schon schemenhaft Formen erkennen.

Aus einer derartigen Einstülpung entwickelte sich dann das Linsenauge mancher Schnecken und Tintenfische. Computersimulationen ergaben, dass für eine Entwicklungsreihe vom einfachen Sehfleck bis zum Linsenauge selbst unter ungünstigen Annahmen weniger als 400.000 Generationen genügen - eine nach geologischen Maßstäben schnelle Entwicklung, wie die Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera von der Universität Kassel und Karl Niklas von der Cornell University bemerken.

Verschiedene Wege, vergleichbare Ergebnisse

Doch ist die Evolution kein geradliniger Optimierungsprozess. Neuerungen entstehen auch dadurch, dass bereits entwickelte Strukturen ihre Funktion ändern, sich verdoppeln, neu gruppieren und neue Wechselwirkungen eingehen, sagt Ryan Gregory von der University of Guelph in Kanada.

So taten sich früh in der Augenentwicklung Pigmentzellen und lichtempfindliche Zellen zusammen. Gene für die lichtsensiblen Moleküle in den Sehzellen vervielfachten sich und gingen dann getrennte Wege: Es entstanden unterschiedliche Sehfarbstoffe, eine Voraussetzung für das Farbsehen.

Komplex, aber nachvollziehbar

Lichtbrechende Kristalline in der Augenlinse stammen von zuvor existierenden Enzymen ab. Die Hornhaut erhielt ebenfalls eine neue Aufgabe: Tieren, die im Wasser leben, dient sie als Augenschutz, nach der Eroberung des Landes wurde sie zu einem lichtbrechenden Organ.

Auch führten verschiedene Wege in der Evolution zu vergleichbaren Ergebnissen. Das Auge von Wirbeltieren ähnelt zwar dem des Tintenfischs. Doch entsteht es nicht aus einer Einstülpung der Haut, sondern aus einer Ausstülpung des Gehirns.

Und auch hierfür gibt es Vorläufer: Im Hirn des urtümlichen Borstenwurms Platynereis dumerilii entdeckten Wissenschaftler des Europäischen Molekularbiologie-Labors in Heidelberg Verwandte der lichtempfindlichen Zellen der menschlichen Netzhaut.

Das seit mehr als 500 Millionen Jahren fast unverändert existierende lebende Fossil besitzt bereits den Farbstoff Opsin, der sich ähnlich auch in unseren Sehzellen findet. Die Entstehung des Auges ist also ein zwar komplexer, aber durchaus nachvollziehbarer Prozess, der in der Naturgeschichte gleich mehrfach stattfand.

Auch die Evolution des Vogelflügels ist keineswegs unerklärlich. Schon ein Stummelflügel kann den Sturz von einem Baum bremsen und somit lebensrettend sein. Ein besserer Flügel rettet dann vor einem Fall aus etwas größerer Höhe - jede Weiterentwicklung bringt also zusätzliche Überlebensvorteile.

Tiere, die durch die Baumkronen hüpften und segelten, etwa wie heute noch die Flughörnchen, bilden daher eine plausible Verbindung zwischen baumkletternden Echsen und den ersten flugfähigen Ahnen unserer Vogelwelt. Federn waren übrigens schon zuvor entstanden, zunächst als wärmende Isolationsschicht.

Bakterien mit Außenbordmotor

Ein beliebtes Beispiel der Intelligent-Design-Anhänger ist schließlich die Flagelle, die als Antriebsmotor mancher Bakterien dient. Ein staunenswertes Organ, denn während die Natur nirgendwo sonst Räder entwickelt hat, besitzen solche Bakterien einen rotierenden Antrieb - gleichsam einen Außenbordmotor.

Einige Dutzend Eiweiße mit Tausenden Untereinheiten bilden eine Nanomaschine, die mit einer Frequenz von 300 Umdrehungen pro Sekunde rotiert. Angetrieben durch unterschiedliche Ionenkonzentrationen setzt sie einen Eiweißfaden wie einen Propeller in Bewegung.

Wie könnte dieser raffinierte Antrieb nach und nach entstanden sein? Ein unvollkommener Motor, der nur halbe Drehungen vollführt, kommt als Zwischenstufe tatsächlich kaum in Betracht. Dennoch gibt es einen Wegbereiter.

Wichtige molekulare Bestandteile der Maschine haben sich aus einem anderen Mechanismus entwickelt: Sie stammen von einer Art Schleuse ab, die giftige Substanzen aus dem Bakterieninneren in infizierte Zellen befördert. Diese Bauteile waren also bereits funktionsfähig, ehe sie für den Flagellenantrieb neu verwertet wurden; viele weitere Motorteile sind mit anderen Eiweißen verwandt.

Gestützt auf solche Erkenntnisse halten Evolutionsbiologen den Kritikern von Darwins Lehre entgegen: Dass die Entwicklung eines komplexen Organs die Vorstellungskraft zunächst überfordert, ist kein Argument gegen die Evolutionstheorie.

Hüpfen, segeln, fliegen

Das seit mehr als 500 Millionen Jahren fast unverändert existierende lebende Fossil besitzt bereits den Farbstoff Opsin, der sich ähnlich auch in unseren Sehzellen findet. Die Entstehung des Auges ist also ein zwar komplexer, aber durchaus nachvollziehbarer Prozess, der in der Naturgeschichte gleich mehrfach stattfand.

Auch die Evolution des Vogelflügels ist keineswegs unerklärlich. Schon ein Stummelflügel kann den Sturz von einem Baum bremsen und somit lebensrettend sein. Ein besserer Flügel rettet dann vor einem Fall aus etwas größerer Höhe - jede Weiterentwicklung bringt also zusätzliche Überlebensvorteile.

Tiere, die durch die Baumkronen hüpften und segelten, etwa wie heute noch die Flughörnchen, bilden daher eine plausible Verbindung zwischen baumkletternden Echsen und den ersten flugfähigen Ahnen unserer Vogelwelt. Federn waren übrigens schon zuvor entstanden, zunächst als wärmende Isolationsschicht.

Ein beliebtes Beispiel der Intelligent-Design-Anhänger ist schließlich die Flagelle, die als Antriebsmotor mancher Bakterien dient. Ein staunenswertes Organ, denn während die Natur nirgendwo sonst Räder entwickelt hat, besitzen solche Bakterien einen rotierenden Antrieb - gleichsam einen Außenbordmotor.

Einige Dutzend Eiweiße mit Tausenden Untereinheiten bilden eine Nanomaschine, die mit einer Frequenz von 300 Umdrehungen pro Sekunde rotiert. Angetrieben durch unterschiedliche Ionenkonzentrationen setzt sie einen Eiweißfaden wie einen Propeller in Bewegung.

Wie könnte dieser raffinierte Antrieb nach und nach entstanden sein? Ein unvollkommener Motor, der nur halbe Drehungen vollführt, kommt als Zwischenstufe tatsächlich kaum in Betracht. Dennoch gibt es einen Wegbereiter.

Wichtige molekulare Bestandteile der Maschine haben sich aus einem anderen Mechanismus entwickelt: Sie stammen von einer Art Schleuse ab, die giftige Substanzen aus dem Bakterieninneren in infizierte Zellen befördert. Diese Bauteile waren also bereits funktionsfähig, ehe sie für den Flagellenantrieb neu verwertet wurden; viele weitere Motorteile sind mit anderen Eiweißen verwandt.

Gestützt auf solche Erkenntnisse halten Evolutionsbiologen den Kritikern von Darwins Lehre entgegen: Dass die Entwicklung eines komplexen Organs die Vorstellungskraft zunächst überfordert, ist kein Argument gegen die Evolutionstheorie.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: