Serie: 200 Jahre Darwin (2):Der echte Darwin

Seit 150 Jahren wird die Evolutionstheorie von Missverständnissen und böswilligen Verfremdungen begleitet. Dabei steht sie noch nicht einmal im Widerspruch zur Religion.

Patrick Illinger

Um die wahre Größe der von Charles Darwin angestoßenen Umwälzungen zu erkennen, hilft nicht nur der Blick auf das, was der britische Naturforscher entdeckt und gedacht hat. Ebenso wertvoll ist es zu verstehen, was Darwin nicht getan hat.

Serie: 200 Jahre Darwin (2): Das 250 Millionen Jahre alte Skelett eines Dimetrodon grandis. Darwins Erkenntnisse stehen in krassem Widerspruch zu einem naiven Gottesbild, in dem der Schöpfer wie eine Art Handwerker pausenlos an jeder Weggabelung der biologischen Artenbildung Hand anlegt.

Das 250 Millionen Jahre alte Skelett eines Dimetrodon grandis. Darwins Erkenntnisse stehen in krassem Widerspruch zu einem naiven Gottesbild, in dem der Schöpfer wie eine Art Handwerker pausenlos an jeder Weggabelung der biologischen Artenbildung Hand anlegt.

(Foto: Foto: AFP/The Field Museum/John Weinstein)

Kaum eine wissenschaftliche Erkenntnis ist in den 150 Jahren nach ihrer Veröffentlichung derart von Missverständnissen und auch böswilligen Verfremdungen begleitet worden wie die Evolutionslehre Darwins.

Viel Falsches ist darüber zu hören, zum Beispiel dass der Stärkere im Selektionskampf obsiege. Auch hat Darwin, anders als der Titel seines im November 1859 erschienenen Hauptwerks "Über die Entstehung der Arten" nahelegt, nicht den Ursprung des Lebens erklärt. Doch das größte aller Missverständnisse rund um Charles Darwin betrifft das Verhältnis seiner Erkenntnisse zur Religion.

Anders als oft behauptet wird, ist die Evolutionslehre nicht geeignet, einen fundierten Schöpfungsglauben zu widerlegen. Zweifellos stehen Darwins Erkenntnisse in krassem Widerspruch zu einem naiven Gottesbild, in dem der Schöpfer wie eine Art Handwerker pausenlos an jeder Weggabelung der biologischen Artenbildung Hand anlegt.

Die Vorstellung eines über Milliarden Jahre hinweg vor sich hin bastelnden Schöpfers ist aber auch unvereinbar mit einem modernen aufgeklärten Theismus. Wer versucht, Gottes Werk in jeder Flagelle eines Darmbakteriums zu finden, der reduziert den vermeintlich allmächtigen Schöpfer auf allzu menschliche Dimensionen.

Die Evolution der Lebewesen auf dem Planeten Erde ähnelt einem gewaltigen Feuerwerk. Charles Darwin hat dabei erkannt, nach welchen Mechanismen die Funken fliegen. Ob die ganze Sache am Anfang von einem Schöpfer entzündet wurde oder lediglich eine Folge universaler Naturgesetze ist, ist eine andere, dem menschlichen Erkenntnisdrang grundsätzlich nicht zugängliche Frage.

Mit Skepsis ist daher Extremisten beider Fraktionen zu begegnen. Den Darwinisten, wenn sie so wie der Brite Richard Dawkins meinen, aufgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse die Existenz Gottes widerlegen zu können. Und den Kreationisten, weil sie krampfhaft versuchen, Gott in ein Korsett zu zwängen, das für einen allmächtigen Schöpfer zu klein ist. Gott steht als Verborgener jenseits unserer Fassungskraft, erkannte schon im 15. Jahrhundert der Philosoph und Theologe Nicolaus Cusanus.

Zum Wesen der Naturwissenschaften gehört, dass jede Theorie, auch die Evolutionslehre, sich eines Tages lediglich als Oberfläche einer weiteren, tiefer gehenden wissenschaftlichen Erkenntnis erweist. So wie Newtons Gravitationsgesetze, die im Grunde nur ein Spezialfall der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein sind.

Doch eine Hinterlassenschaft Darwins wird bleiben. Er hat alle Lebewesen auf dem Planeten Erde zu einer biologischen Gemeinschaft verschmolzen. Eine Erkenntnis, die heute auch von der erst nach Darwin entwickelten Genetik klar bestätigt wird. Mit der Evolutionslehre ist der Mensch von der "Krone der Schöpfung" zur Spezies geworden.

Das ist für viele Exemplare des Homo sapiens eine nicht zu überwindende Kränkung. Aber warum eigentlich? Warum schmälert es das Selbstwertgefühl, wenn Schimpansen und Menschen gemeinsame Vorfahren haben und 50 Prozent der menschlichen Gene auch im Fadenwurm zu finden sind? Auch wer Hubschrauber baut, Opern komponiert und Zeitungen druckt, muss erst noch beweisen, dass er auf diesem Planeten länger durchhält als Bakterien oder Wespen.

Statt die eigenen anthropozentrischen Reflexe mit pseudowissenschaftlichen Argumenten gegen die Evolutionslehre zu befriedigen, sollten wir Menschen lieber versuchen, die aus der Vernunft geborenen Erkenntnisse Darwins zum eigenen Vorteil zu nutzen. Das Wissen um die Dynamik im Überlebenskampf der Arten sollte uns helfen, die Spezies Mensch mit dem Lebensraum Erde in Einklang zu bringen.

Die hemmungslose Ausbeutung natürlicher Ressourcen und die Vernichtung der Lebensräume anderer Arten wird sich auf Dauer nicht als Überlebensvorteil der Spezies Homo sapiens erweisen. Diese aus der Evolutionslehre folgende Einsicht macht die Entdeckungen des Charles Darwin so wertvoll.

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