Serie: 200 Jahre Darwin (16):Lohn der Pracht

Grotesker Schmuck und bizarre Vorlieben: Erst die sexuelle Selektion hat Farbe in die Evolution gebracht. Denn auffälliges Aussehen wirkt auf Weibchen anziehend - birgt aber auch Risiken.

C. Schrader

Wenn Kinder aufwachsen, stellen sie viele kluge Fragen. Eine betrifft den Vergleich der eigenen Eltern mit einem Vogelpärchen. Warum, fragen manche der Kleinen, ist bei Vögeln das Männchen meist so viel bunter und schöner als das Weibchen, wo es doch bei Menschen umgekehrt ist?

Serie: 200 Jahre Darwin (16): Widersprüchliche Doppelfunktion: Das Geweih des Elchs ist Schmuck und Waffe zugleich.

Widersprüchliche Doppelfunktion: Das Geweih des Elchs ist Schmuck und Waffe zugleich.

(Foto: Foto: iStock)

Eltern antworten dann für gewöhnlich, dass im Tierreich die Männchen um die Weibchen werben müssen. Und diese suchen sich eben das schönste und beste Männchen aus. Damit mögen sich nun manche Kinder zufriedengeben, Evolutionsbiologen jedoch nicht.

Diese Form der Damenwahl sei für Männchen gefährlich, sagt Ulrich Kutschera von der Universität Kassel, "sie fallen mit ihrem Prachtkleid auch Raubtieren schneller auf und können dann womöglich nicht so schnell fliehen".

Die Forscher kennen ähnliche Phänomene von Elchen mit ihrem Geweih, kämpfenden See-Elefanten, tanzenden Wassermolchen und Enten auf Brautschau. Überall im Tierreich scheinen überreicher Schmuck und bizarres Sexualverhalten der Männchen den an sich schnörkellosen Prinzipien der Evolution zu widersprechen.

Charles Darwin hat in seiner Evolutionstheorie eindeutig die Währung benannt, in der sich der Erfolg von Tieren misst: Es geht um die Zahl der überlebenden Nachkommen. Mit ihren Kindern geben die Tiere schließlich vorteilhafte Erbanlagen weiter.

Dabei wirkt laut Darwin eine "natürliche Selektion", ein Wettbewerb der verschiedenen Anpassungsmechanismen um den Platz in der nächsten Generation. Es ist für Evolutionsbiologen daher eine Herausforderung zu erklären, warum auffälliger, aber lebensgefährlicher Schmuck Männchen zum evolutionären Erfolg verhelfen kann.

Schon Darwin hatte das Problem erkannt und eine Antwort formuliert. In seinem Hauptwerk "Die Entstehung der Arten" definierte er einen Mechanismus, den er "sexuelle Selektion" nannte.

Bei Tieren, die sich durch Sex zwischen Männchen und Weibchen fortpflanzen, kann die Evolution demnach Eigenschaften hervorbringen, die das Leben der Individuen zwar verkürzen, aber den Fortpflanzungserfolg steigern.

Fortpflanzung bevorzugt

Das ist für die Herren der Schöpfung viel relevanter als für ihre Partnerinnen: "Bei den Männchen schwankt die Anzahl der Nachkommen viel stärker, ein großer Anteil zeugt überhaupt keine Kinder", sagt Axel Meyer, Evolutionsbiologe von der Universität Konstanz.

So kommt ein häßlicher Vogel womöglich nie dazu, Eier einer Partnerin zu befruchten; ein Elch mit mickrigem Geweih bespringt im Leben keine Kuh. Für den Bullen mit den ausladendsten Schaufeln dagegen lohnt sich das Risiko eines großen Kopfschmucks, wenn er ein ganzes Rudel von Weibchen begattet, bevor ihn ein Rivale vertreibt oder verletzt. Der schillernde Vogel produziert vielleicht öfter als seine Artgenossen ein Gelege, bevor ihn der Falke schlägt.

"Darwin erklärte die sexuelle Selektion mit einem weiblichen Sinn für Schönheit", sagt Kutschera. "Heute wissen wir, dass die Männchen mit dem Schmuck und Verhalten ihre genetische Qualität anpreisen - und dabei meistens ehrliche Signale geben."

Besonders ausgeprägt ist der Zusammenhang bei Amseln: Je mehr Carotin sie im Schnabel einlagern, je roter ist er, und desto stärker ist das Immunsystem, das sie ihren Nachkommen vererben.

Auch die satte Farbe eines Hahnenkamms signalisiert den Hennen Gesundheit und gute Gene. Da Vögel das Carotin mit der Nahrung aufnehmen müssen, beweisen sie ihre Fähigkeit, gutes Futter zu finden.

Fortpflanzung: Erniedrigen und beeindrucken

Überall im Tierreich versuchen Männchen, entweder Rivalen mit ihren Waffen zu erniedrigen und zu vertreiben, oder die Weibchen mit Körperschmuck zu beeindrucken. Diesen besonderen Aufwand vor der Partnerwahl treiben fast immer die männlichen Tiere, während sie später, bei der Aufzucht des Nachwuchses, weniger investieren.

Serie: 200 Jahre Darwin (16): Farbe satt: Der Kamm des Hahns signalisiert Gesundheit und gute Gene.

Farbe satt: Der Kamm des Hahns signalisiert Gesundheit und gute Gene.

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Die Diskrepanz ist schon bei Fröschen erkennbar, die den Laich ihrer Partnerin im Wasser befruchten, bevor beide ihrer Wege schwimmen: Die Spermien des Mannes sind kleiner als die Eizellen der Weibchen. Der Tungara-Frosch muss also mit lauten und komplexen Rufen für sich werben, und damit Weibchen wie auch Fressfeinde anziehen.

Bei vielen Säugetieren ist die Investition in den Nachwuchs noch ungleichmäßiger verteilt. Oft verschwinden Bullen, Hengste oder Böcke nach der Begattung und lassen die zukünftige Mutter ihrer Kinder allein.

Die sucht sich dafür genau aus, wen sie als Kindsvater akzeptiert. Er soll möglichst gute Gene haben, und das lesen die Weibchen aus Verhalten oder Körperbau ab. Ihre Vorliebe richtet sich dabei nicht unbedingt auf ein zweckdienliches Körperteil.

Bei Schwertträger-Fischen zum Beispiel sind verlängerte Spitzen der Schwanzflosse ein begehrtes Merkmal. Womöglich hat das mit einem Zufall begonnen: Irgendwann traf ein Männchen mit verlängerter Schwanzspitze auf ein Weibchen, das diese Eigenschaft attraktiv fand.

Schmuck und Waffe

Deren Kinder erbten die Vorliebe der Mutter und den Körperbau des Vaters. Da beide Eltern auch sonst gute Gene hatten, verbreiteten sich die Anlagen - und Flossenspitzen kamen in Mode.

Solche Merkmale haben oft den Charakter eines Luxusobjekts, das sich der Träger leisten können muss. Die verlängerte Schwanzspitze des Schwertträgers gefällt auch seinen Fressfeinden. Dieses Problem taucht auch dort auf, wo der Schmuck eine handfeste Funktion erfüllt, etwa als Waffe.

Das Geweih eines Elches hilft ihm im Kampf gegen Rivalen, aber es behindert ihn auf der Flucht. See-Elefanten legen sich eine imposante Masse zu, die sie bei Kämpfen brauchen. Aber während sie ihren Harem beherrschen, fressen sie niemals und verlieren viele Zentner an Gewicht, bevor sie entkräftet ins Wasser zurückgleiten.

Von all dem ist auch der Mensch nicht frei. Markantes Kinn und breiter Kiefer machen Männer attraktiv. So wie weitere für Frauen anziehende Körpermerkmale deuten sie auf eine starke Produktion von Testosteron hin.

Das Sexualhormon behindert aber gleichzeitig das Immunsystem bei der Abwehr von Parasiten. Wer also ein markantes Kinn hat und trotzdem gesund ist, muss eine wahrlich gute Konstitution haben - so erklären sich Evolutionsforscher das unbewusste Abwägen der Damenwelt.

Womöglich werden Bärte genutzt, um ein markantes Kinn zu simulieren. Wie Literatur und Scheidungsstatistik zeigen, gibt es beim Menschen kein zuverlässiges ehrliches Signal für Qualität.

Hektisches Robben

Neuere Forschungsergebnisse schwächen auch im Tierreich das Dogma, wonach äußerliche Signale auf gute Gene schließen lassen, und Weibchen unweigerlich anziehen. Vaterschaftstests an der Brut zeigen immer wieder: Selbst wenn Weibchen zuerst ein dominantes oder attraktives Männchen auswählen, stammen in einem mehrköpfigen Wurf auch Junge aus Seitensprüngen.

"Womöglich ist es für die Weibchen besser, die genetische Vielfalt ihrer Kinder zu vergrößern", sagt Axel Meyer. Wer weiß schließlich, was das kommende Jahr bringt. Selbst Hirsche, die ein Revier mit allen Weibchen darin beherrschen, zeugen mitunter nur zwei Drittel aller Kinder ihres Harems.

Und ein See-Elefantenbulle muss immer wieder hektisch über den Strand robben, weil sich am Rande seiner Herde gerade ein Weibchen einem kleineren Männchen hingibt.

Paarung mit allen verfügbaren Männchen

Serie: 200 Jahre Darwin (16): Hektisches Robben, heftige Kämpfe: Bei See-Elefanten ist die Fortpflanzung keine einfache Sache.

Hektisches Robben, heftige Kämpfe: Bei See-Elefanten ist die Fortpflanzung keine einfache Sache.

(Foto: Foto: iStock)

Die Biologin Jana Eccard von der Universität Potsdam hat Ähnliches am Verhalten von Rötelmäusen beobachtet: "In unseren Experimenten verpaaren sich die Weibchen mit allen verfügbaren Männchen. Falls es die ehrlichen Signale der besseren Väter hier überhaupt gibt, dann spielen sie zumindest bei der Partnerwahl keine Rolle."

Allerdings haben die dominanteren Männchen oft einen größeren Anteil am späteren Wurf. Womöglich sind also ihre Spermien schneller als die Samenzellen der schwächeren Geschlechtsgenossen.

Abwehr-Anatomie

Oder es hat eine Auslese gegeben, als sich die befruchteten Eizellen in der Gebärmutter einnisteten. Generell, sagt Eccard, "sollten sich die Biologen die Strategien der Weibchen noch viel genauer ansehen als sie das bisher tun".

Bei vielen Enten zum Beispiel ist die Abwehr unerwünschter Sexualpartner bereits in die Anatomie eingebaut. Bizarre Geschlechtsteile sind entstanden: Eine Entenart hat eine spiralförmige Vagina, in die der Erpel seinen Penis nur mit aktiver Kooperation der Partnerin einführen kann, denn sein Penis hat eine Spiralform mit umgekehrter Drehrichtung.

Andere Wasservögel haben Schein-Vaginas, deren Fortsetzungen als Sackgassen enden und keine Verbindung zum Fortpflanzungstrakt haben; der gewalttätige Erpel kann hier nichts befruchten.

Dafür haben manche der Wasservögel eine Art Bürste am Penis entwickelt, um die Spermien eines Konkurrenten, der das Weibchen vor ihm begattet hat, aus ihrem Genitaltrakt zu entfernen. Libellen sind offenbar auf den gleichen Trick verfallen. Und manche anderen Insekten verkleben den Hinterleib der Partnerin mit einem abgesonderten Tropfen Flüssigkeit, damit kein Nachfolger zum Zuge kommt.

Ein weiterer Mechanismus der sexuellen Selektion sind Tests, denen die Weibchen die Bewerber aussetzen. Weibliche Fruchtfliegen scheuchen ihre Freier in einem wilden Balztanz umher, um ihre Reaktionsfähigkeiten zu erkunden.

Die Weibchen von Schnecken-Buntbarschen im Tanganjika-See in Afrika suchen sich ein Männchen aus, das ganze Apartment-Komplexe von leeren Schneckenhäusern aufgebaut hat, in die sie ihrer Eier legen.

Bizarre Übereinstimmungen

Webervogel-Damen begutachten vor dem Geschlechtsakt das Nest, das der Mann für sie und den Nachwuchs gebaut hat. Feuerkäfer-Weibchen kosten an einer Drüse das Gift, das das Männchen später mit den Spermien auf die Brut gibt, um sie vor Fressfeinden zu schützen.

Die schillernde Vielfalt dieser Mechanismen ist keinesfalls das Werk nur eines Geschlechts: Jede bizarre Eigenschaft der Männchen korrespondiert mit einer nicht weniger bizarren Vorliebe der Weibchen. Sexuelle Selektion hat daher bei vielen Arten einen größeren Einfluss auf die Entwicklung der Arten genommen als die natürliche Auswahl, die Darwin ursprünglich definiert hatte.

Eine Besonderheit der sexuellen Fortpflanzung hat auch beim Menschen wesentlich zum Erfolg der Spezies beigetragen. Weil Frauen im Gegensatz zu den Weibchen im Tierreich kein äußeres Zeichen geben, wann sie ihre fruchtbaren Tage haben, mussten sich Männer mit Kinderwunsch ständig um sie bemühen und immer wieder zum Sex überreden.

Weil bei Homo sapiens beide Partner stark investieren, wählen die Paare einander aus: Die Männer achten auf die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau, die das Schönheitsideal geprägt hat; sie unterstützt ihr Aussehen mit Kleidung und Schminke. Die Partnerin wiederum schätzt im Aussehen und Verhalten des Mannes vor allem seine Fähigkeit und Bereitschaft, für sie und das Kind zu sorgen.

So entstanden im Lauf der Evolution feste Partnerschaften, in denen Mann und Frau gemeinsam für die Aufzucht des im Vergleich zu anderen Tierarten extrem hilflosen Babys sorgten. Es war die Grundlage der menschlichen Kultur, die Homo sapiens ermöglicht hat, alle Kontinente zu erobern. Und kluge Fragen zu stellen.

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