Süddeutsche Zeitung

Sensationsfund Ardi:Attraktion statt Aggression

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Aufrechter Gang, kleinere Eckzähne, markante Wangenknochen: Forscher Friedemann Schrenk erläutert die Bedeutung von Ardi für die Evolutionsgeschichte des Menschen.

Hubert Filser

Friedemann Schrenk ist Professor für Paläobiologie am Forschungsinstitut Senckenberg und Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Afrikaforschung der Universität Frankfurt. Er befindet sich derzeit auf Grabungen in Malawi.

SZ: Haben die Forscher mit "Ardi" ein fehlendes Bindeglied in der Evolutionsgeschichte der Menschen gefunden?

Schrenk: Ich wäre vorsichtig. Wir haben noch einige ältere Funde, die man noch nicht so recht einordnen kann: den sieben Millionen Jahre alten Sahelanthropus aus dem Tschad und den sechs Millionen Jahre alten Orrorin aus Kenia. Es gibt keinen Grund, die Menschheitsgeschichte und den aufrechten Gang allein vom Ardipithecus abzuleiten.

SZ: Sondern?

Schrenk: Wir müssen die großen Zusammenhänge betrachten. Wir kennen bislang drei Regionen mit Homininen, die aufrecht gingen. Vermutlich gibt es noch mehr, wir haben sie nur noch nicht gefunden. Warum sollte der aufrechte Gang nicht mehrmals unabhängig voneinander entstanden sein?

SZ: Was spricht dafür?

Schrenk: Wenn wir den Ardipithecus zusammen mit den älteren Funden anschauen, fällt auf, dass alle Funde aus Gegenden rund um den tropischen Regenwald stammen. An dessen Rand gab es eine Zone, in der die Entwicklung des aufrechten Gangs einen Selektionsvorteil bot, als der Regenwald vor acht Millionen Jahren allmählich zurückwich und ein lichteres Buschland mit Bäumen entstand.

SZ: Ardi soll auf Bäumen und auf dem Boden gelebt haben.

Schrenk: Ja, das belegt nochmal gut, dass der aufrechte Gang nicht in der Savanne entstanden ist, sondern im Buschland. Das ist eine Bestätigung der Erkenntnisse der letzten Jahre.

SZ: Was hat Sie denn überrascht?

Schrenk: Spannend ist die Konstruktion von Ardis Fuß. Er war so gebaut, dass sie grazil auf den Zweigen spazieren konnte. Sie hangelte sich also nicht an ihnen entlang, wie das Schimpansen tun. Das ist schon eine spezielle Anpassung. Und auf dem Boden lief sie auf zwei Beinen, nicht in dem für Schimpansen typischen Knöchelgang.

SZ: Haben Sie das Skelett schon mal gesehen?

Schrenk: Nein, das wird seit 15 Jahren unter Verschluss gehalten.

SZ: Wieso lässt sich jemand so lange mit der Auswertung Zeit?

Schrenk: Die Präparation der Knochen war schwierig. Allein einen Unterkiefer zu untersuchen, dauert schon drei Jahre. Wenn man ein ganzes Skelett hat, ist das eben sehr viel umfangreicher. Diskussionen gab es nur, weil Tim White selber mal gefordert hatte, dass Funde fünf Jahre nach der Entdeckung für alle Forscher zugänglich sein sollten.

SZ: In der Publikation tauchen hübsche Spekulationen auf: Zum Beispiel sollen die verkleinerten Eckzähne darauf hinweisen, dass Ardipithecus feste Paarbeziehungen einging.

Schrenk: Wenn Menschenaffen-Männchen um ein Weibchen streiten, drohen sie mit den ausgeprägten Eckzähnen. Sie haben also eine soziale Wirkung. Werden die Zähne kleiner, muss das ebenfalls eine soziale Bedeutung haben.

SZ: Vielleicht nur, dass die Männchen weniger aggressiv waren.

Schrenk: Ja, aber gleichzeitig wurden die Wangenknochen breiter. Weibchen ging es also offenbar mehr um Attraktivität und weniger um Aggressivität. Markante Wangenknochen gelten noch heute als attraktiv. Abnehmende Aggressivität zwischen Männchen ist ein Selektionsvorteil, wenn diese nicht mehr nur Weibchen befruchten wollen, sondern auch die Paarbindung wichtig wird und sie sich mit um den Nachwuchs kümmern.

SZ: Das klingt nach Kleinfamilie.

Schrenk: Wenn man lediglich ein paar Knochen hat, versucht man, daraus alles Mögliche abzuleiten. Es kostet viel Energie, solche Zähne zu entwickeln, sie müssen also einen Selektionsvorteil haben. Schimpansen brauchen ihre großen Eckzähne für Drohgebärden. Ardipithecus hat sie nicht mehr gebraucht. Also fragt man: Was war da anders? Da kommt man auf veränderte soziale Strukturen.

SZ: Eine Studentin hat heute auf ihrer Ausgrabung einen Urmenschen-Zahn gefunden, ein Backenzahn war auch der erste Fund beim Ardipithecus.

Schrenk: (lacht) Ja, wer weiß, was da bei uns noch kommen wird.

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Quelle:
SZ vom 02.10.2009
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