Psychologie:Aktivismus: Die dunkle Seite der guten Sache

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Worum es hier auf dem Flinta-March in Berlin-Mitte im Januar 2025 ging? Für einige Demonstranten vermutlich weniger um feministische Politik, sondern mehr um den eigenen Geltungsdrang. (Foto: Fabian Sommer/dpa)

Je mehr Aufmerksamkeit aktivistische Bewegungen erfahren, desto attraktiver wirken sie auf Menschen mit finsteren Persönlichkeitsmerkmalen. Wenn solche Personen ein Thema kapern, kann das den Anliegen schwer schaden.

Von Sebastian Herrmann

Die Alice-Salomon-Hochschule in Berlin stand in den vergangenen Jahren mehrmals im Auge des Shitstorms. Beide Male gaben Vorgänge Anlass für Wirbel, an denen Personen beteiligt waren, welche die zeitgenössische Vokabel „Aktivisten“ am treffendsten bezeichnet. Einmal richteten sich die Aktionen gegen ein Gedicht des Lyrikers Eugen Gomringer. Es war an der Fassade eines Hochschulgebäudes angebracht und transportierte nach Meinung der Aktivisten Sexismus, weil es die Schönheit von Frauen thematisierte und diese damit zu Objekt degradiere. Das Gedicht wurde 2018 entfernt.

Zu Beginn des Jahres 2025 fiel die Hochschule auf, als pro-palästinensische Aktivisten Gebäudeteile besetzten, die Büste der jüdischstämmigen Namensgeberin Alice Salomon mit einem Palästinensertuch und Schmierereien verunstalteten und Symbole der islamistischen Terror-Organisation Hamas im Gebäude anbrachten. Die Polizei rückte an, die Haltung der Hochschulleitung wurde kritisiert und verteidigt, Strafanzeigen gestellt und über Antisemitismus debattiert.

Beide Fälle provozierten enorme Aufmerksamkeit, und es ist  möglich, dass es vielen Beteiligten auch vor allem darum und weniger um ihre proklamierten Ziele ging. Zu dieser Spekulation verleitet die Arbeit der Psychologen Ann Krispenz und Alex Bertrams, die zur dunklen Seite des Aktivismus forschen. Die Forscher der Universität Bern entwerfen gerade eine Theorie, die sie bis dato als Dark-Ego-Vehicle-Principle (DEVP) bezeichnen.

Ihre Hypothese lautet, dass manche Formen des Aktivismus insbesondere auf Menschen mit finsteren Persönlichkeiten anziehend wirken. Demnach würden Personen mit narzisstischem Charakter, einem Hang zu Machtstreben, Manipulation und Psychopathie politische Ziele nicht vorrangig verfolgen, weil sie sich mit diesen identifizieren. Sie treibt vielmehr der Wunsch nach einer Bühne an, auf der sie ihr Bedürfnis nach Bewunderung, Aufmerksamkeit, Geltung und moralischer Selbstüberhöhung befriedigen können.

Derzeit überprüfen Krispenz und Bertrams dieses Dark-Ego-Vehicle-Principle Schritt für Schritt, Thema für Thema und verfolgen damit das Ziel, von Grund auf eine Theorie zu errichten. Die Psychologen sammeln also systematisch Evidenz, überprüfen ihre Hypothesen, um Schicht um Schicht ein Erkenntnisgebäude zu errichten, über dessen Eingang am Ende des Prozesses nicht mehr „Prinzip“ sondern „Theorie“ steht.

Die Ziele sind egal, Hauptsache es gibt eine Bühne

„Dazu haben wir uns auf die Aktivismusformen und Themen gestürzt, die medial gerade sehr präsent sind“, sagt Bertrams, „weil diese für Narzissten wegen der damit verbundenen Aufmerksamkeit attraktiv sein müssten.“ Jüngst haben die Psychologen eine Studie mit fast 4000 Probanden im Fachjournal Current Psychology publiziert, laut deren Ergebnissen Personen mit dunklen Persönlichkeitsmerkmalen empfänglicher für antisemitische Anschauungen sind.

Das Gleiche gilt offenbar auch, und damit verknüpfen sich die Themenfäden mit den erwähnten Vorgängen an der Alice-Salomon-Hochschule, für das weite Feld des feministischen Aktivismus: In einer weiteren in Current Psychology publizierten Studie zeigte sich, dass narzisstische Persönlichkeitszüge mit stärkerem feministischen Engagement korrelierten.

In weiteren Studien haben Krispenz und Bertrams gegenwärtige Aktivismusfelder praktisch durchdekliniert. In den Archives of Sexual Behaviour veröffentlichten sie kürzlich die Prüfung ihrer Thesen im Bereich des LGBQ- und Gender-Identitätsaktivismus. Die Analyse der Daten von knapp 1300 Probanden aus den USA und Großbritannien ergab, dass Personen mit höherem pathologischen grandiosem Narzissmus sich eher in diesen Themenfeldern engagieren. Für den Bereich des Umweltaktivismus, des Engagements gegen sexuelle Gewalt sowie für links-autoritäres Denken haben Krispenz und Bertrams ebenfalls Studien mit vergleichbaren Ergebnissen veröffentlicht. Bislang unpublizierte Daten der beiden legen ihrer Meinung nach nahe, dass der gleiche Zusammenhang für Aktivisten gilt, die gegen das Recht auf Abtreibung kämpfen.

Mit derlei Befunden stehen die Berner Forscher nicht allein. Der Psychologe Hannes Zacher von der Universität Leipzig hat Anfang 2024 im Fachjournal Personality and Individual Differences ähnliche Ergebnisse publiziert. Seine Analyse der Daten von 839 Probanden aus Deutschland zeigte ebenfalls eine Korrelation von aktivistischem Engagement für die Umwelt mit Wesenszügen, die der sogenannten Dunklen Triade zugeschrieben werden: unter anderem die Neigung zu Narzissmus und Machiavellismus. „Solche Bewegungen ziehen auch solche Leute an“, sagt Zacher, „das sind dann eben manchmal Menschen, die weniger umwelt- als einflussbewegt sind.“ Die Ergebnisse, so schreibt der Psychologe in seiner Studie, „liefern weitere empirische Belege für das Dark-Ego-Vehicle-Principle“.

Selbstverständlich sind Einschränkungen nötig. Was sich aus den Ergebnissen der zahlreichen Studien nicht ableiten ließe, das betonen die Psychologen in sämtlichen Publikationen: Zum Beispiel dass die beschrieben Aktivismusformen per se von Narzissmus getrieben seien und ausschließlich von unangenehmen Selbstdarstellern betrieben werden. Natürlich bleibt Raum für ehrlich engagierte Aktivisten. So berichten Krispenz und Bertrams, dass ein altruistisch geprägter Charakter zum Beispiel ebenfalls mit erhöhtem Einsatz für die feministische Sache korreliert.

Beides kann gleichzeitig möglich sein: Dass Themen und Aktivismusformen dunkle und helle Persönlichkeiten anziehen. Ihre Kernthese aber bleibt: Egal, ob es sich um rechte oder linke politische Anliegen handelt, erfahren diese viel Aufmerksamkeit, werden sie für Personen interessant, die dieses Rampenlicht für sich nutzen wollen und denen die Anliegen nur vordergründig am Herzen liegen. Es komme vor allem darauf an, „welche Haltungen diesen Personen in einer bestimmten Situation opportuner erscheinen“, sagen Krispenz und Bertrams.

Die Super-Egos prägen das Bild einer Bewegung

Weitere Studien setzen die sogenannte Dunkle Triade – also die Persönlichkeitsmerkmale Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie – mit einem Hang zu rechtem Gedankengut und verschiedenen Formen politisch korrekter Einstellungen in Zusammenhang. Auch anti-feministische Einstellungen korrelieren mit den entsprechenden Charakterzügen. Und im Journal of Personality and Social Psychology haben Wissenschaftler um Erin Ok berichtet, dass narzisstische Personen eher dazu neigen, öffentlich eine Rolle als tugendhaftes Opfer einzunehmen. Darüber können sie Aufmerksamkeit erzielen und sich selbst einreden, besonders prosoziale Menschen zu sein. Insbesondere narzisstische Züge sowie die Neigung zu Manipulation anderer spielten hier eine Rolle.

Es stecke ein hohes Schadenspotenzial darin, wenn Menschen mit antagonistischen Charakterzügen als Aktivisten auftreten, so die Berner Forscher. „Diese Personen werden womöglich von der schweigenden Mehrheit als typisch für ein Anliegen wahrgenommen und beschädigen dieses“, sagt Krispenz. Menschen mit ausgeprägtem Narzissmus, Geltungsdrang, Machtstreben, dem Bedürfnis nach Nervenkitzel und moralischer Selbstüberhöhung sind schließlich oft auch jene, die sich in Vordergrund und Rampenlicht drängeln. Studien haben gezeigt, dass es gerade Narzissten sind, die nach Führungspositionen, politischem Einfluss, sozialem Status und Ruhm streben. Auch eine Neigung zu Moralspektakel, geringerer Empathie sowie manipulativem und ausbeuterischem Verhalten bringen Forschungsergebnisse mit solchen Charakterprofilen in Zusammenhang.

Das lässt vermuten, dass sich entsprechende Personen in den für ihre Bedürfnisse attraktiven Bewegungen häufig prominente Rollen erstreiten. Zumal die sozialen Medien ein Umfeld bieten, in denen vor allem die schrillsten Stimmen Gehör und Publikum finden. Hier verfügen dunkle Persönlichkeiten also über einen Vorsprung.

Es ist ein Dilemma: Es brauche eine gewisse Neigung zu Narzissmus, etwas Machtstreben und Selbstbewusstsein, um andere Menschen von einem politischen Ziel zu überzeugen, so der Leipziger Psychologe Zacher. Andererseits schrecke ein zu großes Maß davon das Publikum ab und beschädige politische Ziele. Klar ist jedenfalls, dass der Kampf für die gute und manchmal auch nur angeblich gute Sache Gestalten aus dem Schatten lockt, deren Persönlichkeit und Handeln oft im Widerspruch zu ihrem Tugendgetöse stehen. Eine mögliche Lehre könnte also lauten: Je lauter, schriller und unerbittlicher im Namen einer Moral gebrüllt wird, desto größer sollte die Vorsicht sein, mit der die betreffenden Personen und ihre Positionen betrachtet werden.

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Wen interessiert schon die Wahrheit? Hauptsache die Gegenseite kriegt ihr Fett weg. Über das Persönlichkeitsprofil des Aktivismus.

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