Sehschwäche:Macht Bildung kurzsichtig?

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Häufiges Lesen könnte die Ursache für Sehschwäche sein. Sicher ist, dass immer mehr Menschen schlecht sehen.

Werner Bartens

Viele Menschen fehlt ein scharfer Weitblick. In industrialisierten Ländern leidet ein erheblicher Teil der Menschen an Kurzsichtigkeit. Die Gründe dafür sind vielfältig, meist liegt es jedoch an einem Konstruktionsfehler des Auges. Bei der wissenschaftlich als Myopie bezeichneten Beeinträchtigung erscheinen Gegenstände mit zunehmender Entfernung unscharf. Näher an das Auge herangeführt werden sie hingegen wieder scharf.

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Ursache ist meist ein zu langer Augapfel, so dass sich der Brennpunkt der Linse vor und nicht auf der Netzhaut befindet. Wie häufig Kurzsichtigkeit vorkommt, ließ sich bisher nur ungenau ermitteln. Eine Untersuchung amerikanischer Augenärzte legt nun den Schluss nahe, dass immer mehr Menschen kurzsichtig werden ( Archives of Ophthalmology, Bd.127, S.1632, 2009).

Die Forscher von den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA hatten Datensätze aus den Jahren 1971/72 mit Erhebungen aus dem Zeitraum von 1999 bis 2004 verglichen. Während zu Beginn der 1970er Jahre etwa 25 Prozent der Untersuchten kurzsichtig waren, betrug die entsprechende Quote 30 Jahre später schon 41,6 Prozent. Besonders groß war die Zunahme der Sehstörung bei Farbigen und bei Frauen. In die Analyse waren 1971/72 mehr als 4400 Teilnehmer im Alter zwischen zwölf und 54 Jahren eingegangen. 30 Jahre später umfasste der Datensatz fast 10.000 Teilnehmer.

Der genaue Grund für Refraktionsfehler, wie Fehlsichtigkeiten durch ein Missverhältnis zwischen der Baulänge und der Brechkraft des Auges auch genannt werden, ist aber weiterhin unklar. Neben genetischen Faktoren werden immer wieder Umwelteinflüsse angeführt. Hierzu zählt besonders ein höherer Bildungsgrad. Durch längere Ausbildungszeiten und Tätigkeiten im Nahbereich werde das Sehen auf kurze Distanz gefördert und der Weitblick vernachlässigt, so die Vermutung.

"Es existieren jede Menge Theorien zu dem möglichen Mechanismus, aber nichts ist bewiesen, deshalb gibt es keine einheitliche Lehrmeinung", sagt Anselm Kampik, Direktor der Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Eine Theorie macht veränderte Lichtverhältnisse für Kurzsichtigkeit verantwortlich, die andere besagt, dass der Augapfel sich verlängert, wenn der Blick dauernd auf Nähe eingestellt wird." Während der jugendlichen Wachstumsphase ist die Entwicklung des Auges offenbar flexibler. In dieser Zeit finden zumeist auch die größten Anforderungen an Leseleistung und andere Tätigkeiten im Nahbereich statt.

Die amerikanischen Augenärzte um Susan Vitale betonen zwar, dass sich eine Kurzsichtigkeit durch Brillen oder Kontaktlinsen leicht korrigieren lasse. Steige der Anteil der Kurzsichtigen von 25 auf 37 Prozent, würden sich die jährlichen Kosten von zwei auf drei Milliarden Euro erhöhen. "Deshalb ist es für die Gesundheitspolitik wichtig zu wissen, ob immer mehr Menschen kurzsichtig werden", sagt Vitale.

Wenn Kurzsichtigkeit durch Lesen und Naharbeit gefördert wird, könnte dies erklären, warum die Sehschwäche in den USA unter Schwarzen noch stärker zugenommen hat als unter Weißen: Im Vergleich zu den 1970er Jahren haben sie deutlich besseren Zugang zu höheren Schulen und Universitäten. In jüngster Zeit wurde in verschiedenen Studien berichtet, dass der Anteil der Kurzsichtigen in der jüngeren Bevölkerung sowie in aufstrebenden Gesellschaften Südostasiens zugenommen habe. "Der Trend ist weltweit zu beobachten, aber niemand weiß genau warum", sagt Kampik. "Leider sind wir hier auf Spekulationen angewiesen."

© SZ vom 15.12.2009/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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